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Das traditionelle Feuerstein-Handwerk in "Das Ende der steinernen Welt" ( 1989), der große Markt in "Arcadia" mit seinen Obst- und Gewürzdüften (1992), die Ökonomie des Tangsammelns an der Küste in "Der Mann, der die Welt verbessern wollte" (1997): All das steht im Zeichen dieser Technik, die Crace in seinem ersten und in mancher Hinsicht immer noch schönsten Buch exemplarisch vorgeführt hat, in dem Erzählungsband "Der siebte Kontinent" (1988) mit seinen kleinen, manchmal nur durch einen eigenartigen Baum- oder Insektennamen oder durch ein seltsames abergläubisches Detail aus der Normalität verschobenen Vignetten.
Crace ist neben David Lodge gewiß der bemerkenswerteste zeitgenössische Autor Birminghams. In seinem neuen Roman, der letztes Jahr in England nur knapp den Booker Prize verfehlte, hat er sich den komplizierten Schauplatz im Fremden ausgesucht: das leere Labyrinth der Wüste. Er hat einen Roman über den jungen Jesus geschrieben. Das klingt nach Kabinettstückchen, nach Augenzwinkern oder erschlichenem Pathos. Nichts dergleichen: Dieses Buch, mit dem Ernst des wahrhaft Spielerischen vorgetragen, ist eine ganz einfache Geschichte, in deren Wüstenleere es so komplex hallt, daß der Leser wünscht, der Roman hätte die Länge der Bibel.
In dieser Erzählung von der Zufallsbegegnung einiger Pilger in der judäischen Wüste, die in vierzigtägigem Fasten Heilung von ihrem alten Leben suchen, begegnet der junge Jesus nicht dem Satan, doch den mannigfaltigen Versuchungen, die sein Inneres und alles Äußere bereithalten. Der Leser gerät in eine topographisch und spirituell abgeschlossene Zone mit ihrer eigenen traurigen, komischen, absurden Logik. Krankheit, Unfruchtbarkeit, Hunger nach Erleuchtung und Reinigung und nach etwas gänzlich anderem haben die Handvoll Menschen in die Quarantäne des feindseligen Landstrichs geführt; dort sind sie allein mit der Vielzahl der wenigen anderen und mit ihrem eigenen Begehren. Daß diese Wüstentage zu einer Chiffre für das menschliche Leben im schlecht Allgemeinen verblassen, verhindert das Erzähltalent des Autors. Crace hat eine wunderbare Begabung, die Eigenarten einer Landschaft zu schildern, er gibt eine Art poetisierte Wirtschaftsgeographie in extremer Untersicht, eine Beschreibung alles Nutzbaren oder Gefährlichen aus der Perspektive eines Nomaden oder eines Gestrandeten.
Diese Poesie hat nicht nur Licht, Gestein, Böden, Wasser, Flora, Fauna zum Gegenstand, sie erfüllt auch die lakonisch-detaillierten Schilderungen von handwerklichen Fertigkeiten - etwa der Technik, wie man mit einem Salzkristall und einem Faden zuerst am Ziegenohr eine Zecke und dann mit der blutgefüllten Zecke einen Vogel fängt, einen Steinschmätzer.
Der Vogel dieser Episode dient aber nicht der Nahrung, sondern dem Opfer. Neben den Techniken des Überlebens, Produzierens, Feilschens steht unmittelbar eine in ebenso formalisierten Aktionen ausgeprägte Spiritualität. Die Träume der Menschen von einem anderen Leben werden mit derselben ethnologischen Präzision geschildert wie ihr Essen und Trinken, ihre Überredungsstrategien und Lügenkünste, ihre Waschungen und ihr Schlaf. Wie das Licht vorrückt und wie die Nacht kommt, wie sich in der Einsamkeit unerbittlich die Grundformen der menschlichen Geselligkeit versammeln, wie man Prophet wird, in welchem flüchtigen Aufschrecken aus dem Halbschlaf sich Religion erzeugt, das liest man hier.
Craces Buch von einer fernen und nahen Welt gehört gewiß zu den schönsten Romanen der letzten Zeit, und Walter Ahlers hat es schön übersetzt.
Jim Crace: "Die Versuchung in der Wüste". Aus dem Englischen übersetzt von Walter Ahlers. Blessing Verlag, München 1998. 320 S., geb., 39,80 DM.
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