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Dirk von Petersdorff nimmt die Gegenwart in den Blick, fängt das Schnelllebige ein: Seine Sprache scheut vor nichts zurück, ist komisch und frech, schlägt verspielt Kapriolen, sinniert und phantasiert. Das Triviale und das Abgründige, die flüchtige Beobachtung des Alltäglichen und die Bodenlosigkeit der Existenz, skizziert mit leichter Feder und kräftigen Strichen die Kontingenz der Aktienkurse und die "Kälte, ganz innen, die niemand versteht".
Dirk von Petersdorff,1966 in Kiel geboren, lebt in Saarbrücken und lehrt dort Germanistik. Seinerersten Lyriksammlung "Wie es weitergeht" folgten zwei weitere Gedichtbände, "Zeitlösung" und 1999 "Bekenntnisse und Postkarten". Zuletzt publizierte er den Essayband "Verlorene Kämpfe". 1991 erhielt er den Förderpreis des 'Literarischen März', 1998 wurde er mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet, 2000 mit dem Preis der LiteraTour Nord
Produktdetails
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- Seitenzahl: 92
- Deutsch
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 240g
- ISBN-13: 9783100610058
- ISBN-10: 3100610059
- Artikelnr.: 12777028
Herstellerkennzeichnung
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Aus dem großen grauen Sack
Jeder Griff ein Kniff: Dirk von Petersdorffs Gedichte
Was wäre wohl das Leben ohne Müllabfuhr? Ganz sicher hat Abfallbeseitigung etwas notwendig Erleichterndes, Befreiendes, vielleicht sogar Erlösendes, ohne dessen reguläre Wiederkehr die Gegenwart schon längst in alten Hinterlassenschaften erstickt wäre. Und dennoch sind es gerade jene abgelegenen Winkel, die niemals besenrein gehalten werden und so die Reste des Vergangenen dem Zugriff der Entsorgungsprofis still entziehen, wo sich die interessantesten Entdeckungen machen lassen. Das Aufgeräumte mag für Prosa taugen, zum Dichten aber lädt das Abgefallene ein.
"Ja, Tassen, Zettel, Milka, Mails / und Stifte, Photos, Salmiak: /
Jeder Griff ein Kniff: Dirk von Petersdorffs Gedichte
Was wäre wohl das Leben ohne Müllabfuhr? Ganz sicher hat Abfallbeseitigung etwas notwendig Erleichterndes, Befreiendes, vielleicht sogar Erlösendes, ohne dessen reguläre Wiederkehr die Gegenwart schon längst in alten Hinterlassenschaften erstickt wäre. Und dennoch sind es gerade jene abgelegenen Winkel, die niemals besenrein gehalten werden und so die Reste des Vergangenen dem Zugriff der Entsorgungsprofis still entziehen, wo sich die interessantesten Entdeckungen machen lassen. Das Aufgeräumte mag für Prosa taugen, zum Dichten aber lädt das Abgefallene ein.
"Ja, Tassen, Zettel, Milka, Mails / und Stifte, Photos, Salmiak: /
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Wo kommt das her, man findet nichts / und greift zu einem grauen Sack." So lautet die erste Strophe eines Achtzeilers mit dem Titel "Aufräumen" in Dirk von Petersdorffs Gedichtband "Die Teufel in Arezzo". Fast klingen diese Verse wie die Selbstbeschreibung eines Autors, der offensichtlich gerne alte Zettelkästen durchstöbert und allenthalben Schnappschüsse und Wortschnipsel aufsammelt, um in den Überbleibseln einer großen Tradition womöglich noch Verwertbares zu finden oder sich daraus etwas zu basteln. "Sternendinge" heißt dann so ein Text und kündigt sich im Untertitel gleich als "Stefan-George-Remix" an. Ein anderer heißt "Bierlied mit Benn" und stellt sich, ohne alle Scheu vorm Kalauer, der ganz eigenen Herausforderung, in sieben Strophen so viele Reimworte wie möglich auf diverse Biersorten zu finden. Zwar sind die Restposten bei weitem nicht in jedem Fall so deutlich ausgezeichnet, doch als Leser steht man ständig vor der Frage, wessen Satzbruchstücke wohl jeweils recycelt werden. "Sie haben meine Kleider unter sich geteilt", "Am Grunde der Moldau wandern die Steine", "Was sind wir Menschen doch. / Ein Ball des falschen Glücks", "Komm eilet und laufet ihr flüchtigen Füße": Wo kommt das her? Die dringendere Frage wäre wohl, wohin das alles will.
Sie bleibt bei der Lektüre offen. Es überwiegt der Eindruck, daß hier das Geborgte und Geborgene sich schon selbst genügt. In sechs Gruppierungen sind die Gedichte angeordnet, eine davon trägt den Titel "Kenne dich selbst". Doch alle Selbsterkenntnis verliert sich schnell in Fremdverweisen, weil bereits die Sprachform, die sie wählt, das Bewährte nur um den Preis wahren kann, daß jedes Neue oder Eigene darin verlorengeht. Natürlich ist der Kleist-Preisträger Dirk von Petersdorff ein überaus versierter Dichter. Dabei scheint es allerdings kaum von Belang zu sein, ob er seine aktuellen Bricolagen kreuzbrav reimt, als Sonette, Elegien und Balladen, oder auch als knappe Prosaskizzen präsentiert - zumeist sorgt hier die spürbar selbstbewußte Geste des Präsentierens schon dafür, daß man dem Formenreichtum dieser Lyrik nicht recht trauen mag. Jeder Griff ein Kniff. Was von Petersdorff so alles aus dem Ärmel schüttelt, stammt wohl aus jenem "grauen Sack", zu dem er gerne greift.
Das Titelgedicht gehört zum ersten Abschnitt seines Bandes, der einige Episoden "Aus dem Leben des Franziskus" nachdichtet, um dabei dieser Heiligenvita das Erbauliche durch nüchternen Berichtston auszutreiben. Das Verfahren kennt man spätestens seit Brecht. Allerdings vermittelt Dirk von Petersdorffs Neufassung der Legenden eher ein Gefühl von sachter Sehnsucht nach dem ganzen alten Zauber. Wenn jedenfalls der heilige Franz für die bekannte Teufelsaustreibung sorgt - "Mit einem Sausen in der Luft / und am Ende einem Ploppen / ist der ganze Spuk verpufft" -, stellt uns der Text unausgesprochen vor die Frage, ob Arezzo nicht zuvor ein ungleich interessanterer Ort gewesen ist. Wieder kann man dies als Selbstbefragung eines Autors lesen, der, von den großen Geistern einer Tradition besessen, ihren Spuk nur um den Preis der Selbstverpuffung unterbinden kann. Teufelsfrei läßt es sich in Arezzo sicher leichter leben, aber schlechter schreiben: ein Ploppen macht noch lange kein Gedicht.
Die stärkste Wirkung hinterlassen daher solche Texte, deren Worte wie mit kleinen Widerhaken sich an konkrete Wirklichkeiten kletten. "Reisebilder" heißt ein Abschnitt, der zwölf Momentaufnahmen eines Durchreisenden festhält. Natürlich sind auch hier keine unverstellten Blicke und Beobachtungen möglich, denn jede neuerliche Erkundung vollzieht sich wiederum entlang gebahnter Pfade - das deuten bereits Titel wie "Wanderungen in den Vogesen" oder "Landstraße, Wind, Anaximenes" an. Doch oftmals reibt sich dabei vorgeformte Sprache an einer vorgefundenen Realität und setzt so ungleich größere Energien frei als die sonstigen literarischen Wiederaufbereitungsmaßnahmen.
Das aber bleibt die Ausnahme. Für die Mehrzahl der Gedichte dieses Bandes stellt die zweite Strophe von "Aufräumen" nicht nur die treffendere Diagnose, sondern auch schon die entscheidene Frage: "Da wächst und wuchert das Kleinklein / aus Jobs und Lust, man muss, man will - / und weiß nicht mehr, soll ich das sein?" Man wüßte es wirklich gerne.
TOBIAS DÖRING
Dirk von Petersdorff: "Die Teufel in Arezzo". Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 96 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sie bleibt bei der Lektüre offen. Es überwiegt der Eindruck, daß hier das Geborgte und Geborgene sich schon selbst genügt. In sechs Gruppierungen sind die Gedichte angeordnet, eine davon trägt den Titel "Kenne dich selbst". Doch alle Selbsterkenntnis verliert sich schnell in Fremdverweisen, weil bereits die Sprachform, die sie wählt, das Bewährte nur um den Preis wahren kann, daß jedes Neue oder Eigene darin verlorengeht. Natürlich ist der Kleist-Preisträger Dirk von Petersdorff ein überaus versierter Dichter. Dabei scheint es allerdings kaum von Belang zu sein, ob er seine aktuellen Bricolagen kreuzbrav reimt, als Sonette, Elegien und Balladen, oder auch als knappe Prosaskizzen präsentiert - zumeist sorgt hier die spürbar selbstbewußte Geste des Präsentierens schon dafür, daß man dem Formenreichtum dieser Lyrik nicht recht trauen mag. Jeder Griff ein Kniff. Was von Petersdorff so alles aus dem Ärmel schüttelt, stammt wohl aus jenem "grauen Sack", zu dem er gerne greift.
Das Titelgedicht gehört zum ersten Abschnitt seines Bandes, der einige Episoden "Aus dem Leben des Franziskus" nachdichtet, um dabei dieser Heiligenvita das Erbauliche durch nüchternen Berichtston auszutreiben. Das Verfahren kennt man spätestens seit Brecht. Allerdings vermittelt Dirk von Petersdorffs Neufassung der Legenden eher ein Gefühl von sachter Sehnsucht nach dem ganzen alten Zauber. Wenn jedenfalls der heilige Franz für die bekannte Teufelsaustreibung sorgt - "Mit einem Sausen in der Luft / und am Ende einem Ploppen / ist der ganze Spuk verpufft" -, stellt uns der Text unausgesprochen vor die Frage, ob Arezzo nicht zuvor ein ungleich interessanterer Ort gewesen ist. Wieder kann man dies als Selbstbefragung eines Autors lesen, der, von den großen Geistern einer Tradition besessen, ihren Spuk nur um den Preis der Selbstverpuffung unterbinden kann. Teufelsfrei läßt es sich in Arezzo sicher leichter leben, aber schlechter schreiben: ein Ploppen macht noch lange kein Gedicht.
Die stärkste Wirkung hinterlassen daher solche Texte, deren Worte wie mit kleinen Widerhaken sich an konkrete Wirklichkeiten kletten. "Reisebilder" heißt ein Abschnitt, der zwölf Momentaufnahmen eines Durchreisenden festhält. Natürlich sind auch hier keine unverstellten Blicke und Beobachtungen möglich, denn jede neuerliche Erkundung vollzieht sich wiederum entlang gebahnter Pfade - das deuten bereits Titel wie "Wanderungen in den Vogesen" oder "Landstraße, Wind, Anaximenes" an. Doch oftmals reibt sich dabei vorgeformte Sprache an einer vorgefundenen Realität und setzt so ungleich größere Energien frei als die sonstigen literarischen Wiederaufbereitungsmaßnahmen.
Das aber bleibt die Ausnahme. Für die Mehrzahl der Gedichte dieses Bandes stellt die zweite Strophe von "Aufräumen" nicht nur die treffendere Diagnose, sondern auch schon die entscheidene Frage: "Da wächst und wuchert das Kleinklein / aus Jobs und Lust, man muss, man will - / und weiß nicht mehr, soll ich das sein?" Man wüßte es wirklich gerne.
TOBIAS DÖRING
Dirk von Petersdorff: "Die Teufel in Arezzo". Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 96 S., geb., 17,90 [Euro].
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Ein postmodernes Pathos, ein lyrischer ExistenzialismusHarald Hartung, FAZ
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
"Bisher ist der Lyriker Dirk von Petersdorff eher als ironie- und dekonstruktionsfreudiger Luftikus und Erbe Enzensbergerscher Leichtigkeit aufgefallen, stellt der Rezensent Michael Braun fest. Diesmal aber zeige er sich, teilweise zumindest, von einer anderen Seite. Der hohe Ton wird keineswegs verschmäht, formal dichtet Petersdorff auffallend traditionell, es finden sich: "Sonett, Volksliedstrophe, Emblem", ohne Scheu vor der Idylle. So ganz geht der neue Ernst aber doch nicht mit rechten Dingen zu, räumt Braun ein: Die "diskreten Ironisierungen der Szenerie" bleiben zuletzt kaum einmal aus. Man wird das Gefühl nicht los, dass der Rezensent das, obwohl er es so klar nie sagt, eher bedauerlich findet.
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