wurden vorerst, sicherheitshalber, beide. Bei einem Jagdunfall starb Ende November König Philipp IV. (I.) von Frankreich und Navarra.
Folgen hatten diese, für sich genommen, wenig außergewöhnlichen Ereignisse in den Jahren danach dennoch beträchtliche. Der Stuhl Petri blieb fast zwei Jahre unbesetzt, bis mit Johannes XXII., von seinem Erzfeind Ludwig dem Bayern spöttisch mit "Jakob von Cahors" betitelt, erstmals ein Papst den Thron bestieg, der nurmehr von Avignon aus regierte. Der Streit zwischen den Wittelsbacher und Habsburger Inhabern der deutschen Krone wurde überhaupt erst 1325 mit dem ungewöhnlichen Kompromiss eines Doppelkönigtums - es bestand bis zu Friedrichs Tod 1330 - beigelegt. Die Söhne des Kapetingers Philipp, ebenfalls genannt "der Schöne", verspielten fast das unter ihrem Vater zur Großmacht aufgestiegene Frankreich.
Für Freunde von Verschwörungstheorien jedoch war es eine andere Begebenheit, die 1314 zu einem regelrechten Schicksalsjahr macht. Am Abend des 18. März wurden in Paris auf der Île de la Cité, in Blickweite der Kirche Notre-Dame, Geoffroy de Charnay, Präzeptor der Normandie der "Armen Ritter Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem", also ein ranghoher Tempelritter, und der Großmeister desselben Ordens, Jacques de Molay, auf dem Scheiterhaufen als rückfällige Häretiker hingerichtet. Seit wann die Gerüchte umliefen, der Großmeister habe noch aus den Flammen heraus seine beiden Hauptgegner, Papst Clemens und König Philipp, verflucht und binnen Jahresfrist vor ein höheres, göttliches Gericht zitiert, ist nicht genau festzumachen. Wohl eher umgekehrt mag die Tatsache der Todesfälle der beiden hohen Herren zu dieser Gruselgeschichte gewachsen sein.
So sah das auch Ernst Sommer, als er seinen historischen Roman "Die Templer", zuerst Anfang 1935 im Berliner Kurt-Wolff-Verlag erschienen, mit einem umfangreichen Quellenverzeichnis versah. Die Recherche in all den aufgezählten Büchern, teilweise bis aufs siebzehnte Jahrhundert zurückgehend, glaubt man Sommer, geboren 1888 in Iglau, verstorben im Londoner Exil 1955, gern. Zur "Verwünschung durch de Molay" meint Sommer eher sachlich-kühl: "Chronisten erzählen, der Großmeister habe den Papst auf vierzig, den König auf siebenmal vierzig Tage vor Gottes Richterstuhl gefordert. In Wirklichkeit war es Charnay, dessen letzten Fluch man für solche Ladung gehalten hatte."
Doch nahm Sommer sich genügend erzählerische Freiheiten, die Geschichte, deren Ende man ja kennt, zu einem runden Ganzen zu machen. Etwa, indem er den sozusagen dritten Mann im Bunde, den Ratgeber Philipps des Schönen, Wilhelm von Nogaret - Sommer bleibt bei den deutschen Vornamensvarianten, nennt Jacques de Molay daher auch stets "Jakob (von) Molay" -, ein Jahr länger als in der Realität leben lässt, damit dieser als kalt-berechnender Schurke und direkter Nachfahre der Albigenser gezeichnete Jurist ebenfalls 1314 sein Leben aushauchen kann. In den Quellen bezeugt ist Nogarets Tod für April 1313.
Eine erste bearbeitete Nachkriegsedition von "Die Templer" kam 1950 im Nest Verlag, Nürnberg, heraus. Nun erschien der Roman in der "Bibliothek der Böhmischen Länder (Literatur aus dem Herzen Europas. Von Deutschen und von Tschechen)" im Arco Verlag neu - leider etwas lieblos gesetzt; es wimmelt geradezu von "Hurenkindern" und "Schusterbuben", den unangenehmsten typographischen Fehlleistungen. Immerhin ist die Ausgabe auch als Band 1 der "Gesammelten Werke in Einzelbänden" von Ernst Sommer ausgewiesen. Ein umfangreiches Nachwort des Herausgebers Christoph Haacker macht die herstellerischen Mängel inhaltlich mehr als wett: Auf vierzig Seiten berichtet er nicht nur vom Leben und Wirken Sommers, eines engagierten Advokaten, der von 1920 an in Karlsbad (Karlovy Vary) lebte, als Autor erst dem Expressionismus nahestand, von etwa 1930 an jedoch hauptsächlich historische Erzählungen und Romane schrieb. Auch stammte Sommer aus jüdischer Familie (auch wenn er selbst wohl Agnostiker war) und gehörte der Sozialdemokratischen Partei der Sudetendeutschen an.
Aus mindestens diesen beiden Gründen musste er 1938 aus der soeben durch Hitlerdeutschland zerschlagenen Tschechoslowakei nach England fliehen. Dort erschien 1942 mit seiner Erzählung "Die Gaskammer" eine wichtige frühe Auseinandersetzung mit dem sich anbahnenden Massenmord an den europäischen Juden. Sein international erfolgreichster Roman, "Revolte der Heiligen" über den Widerstand in einem Konzentrationslager, wurde 1944 im mexikanischen Exilverlag El libro libre publiziert.
Haacker bringt diverse Vorschläge zur Interpretation und Rezeption des Templer-Romans, und stützt sich dabei auf Quellen der dreißiger Jahre, etwa Zeitungskritiken und verschiedene Nachlässe, darunter auch den von Ernst Sommer selbst. So deutet Haacker zum Beispiel einen Bezug zwischen den Sodomie-Anklagen gegen die Templer und der Rechtfertigung der Morde an hochrangigen Führern der SA, etwa Ernst Röhm, an.
Kann sein, kann auch nicht sein. Jedenfalls gewinnt der heute doch etwas ältlich wirkende Roman Sommers im Zusammenspiel mit der von Haacker gewürdigten Entstehungsgeschichte und diversen Details aus dem Leben des Verfassers unerwartet an Spannung.
MARTIN LHOTZKY
Ernst Sommer: "Die Templer". Roman.
Hrsg. und mit einem Nachwort von Christoph Haacker. Bibliothek der Böhmischen Länder. Arco Verlag, Wuppertal 2018. 496 S., geb., 24,- [Euro].
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