
Die Stunde der Wahrheit?
Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien
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Gegenwärtig erleben wir die Auflösung der Wissenschaft als Institution in ihrer seit dem Ende des 18. Jahrhunderts überkommenen Gestalt. Wissensgesellschaften sind nicht nur durch die vermehrte Produktion und Anwendung wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft charakterisiert, sondern gleichzeitig durch eine veränderte Art und Weise der Wissensproduktion. Neben der Verwissenschaftlichung der Gesellschaft vollzieht sich eine Vergesellschaftung der Wissenschaft.Seit Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die akademische Wis-senschaft zu einem gesellschaftlichen Funktionssystem, das ...
Gegenwärtig erleben wir die Auflösung der Wissenschaft als Institution in ihrer seit dem Ende des 18. Jahrhunderts überkommenen Gestalt. Wissensgesellschaften sind nicht nur durch die vermehrte Produktion und Anwendung wissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft charakterisiert, sondern gleichzeitig durch eine veränderte Art und Weise der Wissensproduktion. Neben der Verwissenschaftlichung der Gesellschaft vollzieht sich eine Vergesellschaftung der Wissenschaft.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die akademische Wis-senschaft zu einem gesellschaftlichen Funktionssystem, das sich intern immer weiter ausdifferenzierte (immer neue Disziplinen und Teildisziplinen erfand), nach außen relativ geschlossen war und - wenigstens dem Anspruch nach - eine selbstgesteuerte Entwicklung nahm. Wissenschaftliche Forschung bemühte sich, durch Reduktion und Vereinfachung der Natur auf Zusammenhänge, die im Laborexperiment erfaßt und kontrolliert werden können, zu allgemeinen Naturgesetzen zu gelangen. Anwendbar war dieses Wissen in dem Maße, wie sich natürliche Verhältnisse auch außerhalb des Labors auf Laborbedingungen hin "normieren" ließen.
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts macht das Funktionssystem Wissenschaft gravierende epistemische und institutionelle Veränderungen durch. Wissenschaft als Institution löst sich aus ihrer bisherigen sozialen Isolierung; die Grenzen zwischen universitärer Grundlagenforschung und angewandter Industrieforschung verwischen sich; Wissensproduktion ist nicht mehr vorrangig auf die Suche nach Naturgesetzen gerichtet; die Forschung wendet sich vom Laborexperiment ab und arbeitet eher an Modellen und Simulationen; die Einteilung in Disziplinen ist nicht mehr der entscheidende Organisationsrahmen der Forschung. Mit einem Wort, die soziale Distanz zwischen akademischer Wissenschaft und Öffentlichkeit schrumpft.
Diese engere Anbindung der Erkenntnisproduktion an soziale Anwendungskontexte stürzt das wissenschaftliche Wissen in vielfache Legitimationskrisen. Der Versuch der Politik, ihre Entscheidungen durch wissenschaftliche Expertise zu rechtfertigen, bringt die Wissenschaft in Verbindung mit den politischen Lagern und involviert sie in deren Konflikte. Im Dauerclinch zwischen Gutachtern und Gegengutachtern verliert wissenschaftliches Fachwissen seine Glaubwürdigkeit.
Vielleicht am schwersten wiegt aber, daß die Schrumpfung der Distanz zwischen der Wissenschaft und den anderen gesellschaftlichen Systemen den Wissensbegriff selbst verändert. Denn diese relative Distanz der akademischen Wissensproduktion zu sozialen Interessen - Status, Macht und ökonomischer Ertrag - war vielleicht die soziale Voraussetzung für die "Objektivität" wissenschaftlicher Erkenntnis. Der anwendungsorientierten Wissenschaft fällt es schwer, die Erwartungen zu erfüllen, die man traditionell der Wissenschaft gegenüber hegt - nämlich "objektives", sicheres, gewisses Wissen zu liefern. Schlägt also jetzt der Wahrheit die Stunde?
Aus dem Inhalt
- Wissensform und Gesellschaftsstruktur
- Genese und Funktionen des wissenschaftlichen Ethos
- Die Institutionen der akademischen Wissenschaft - Akademien und Universitäten
- Akademische Wissensordnung und Herrschaftsordnung
- Wachstum, Öffentlichkeit der Kommunikation und Qualitätskontrolle
- Von der Gefahrenabwehr zur Risikoprävention. Die Inflationierung wissenschaftlicher Expertise und die Vergeblichkeit ihrer Kontrolle
- Wissenschaft und Politik live
- Ursachen einer neuen Abhängigkeit zwischen Universität und Industrie
- Ökonomisierung der Wissenschaft oder Akademisierung der Industrie?
- Die Wissenschaft entdeckt die Medien
- Das traditionelle Modell der Popularisierung und seine Kritik
- Die 'Medialisierung' der Wissenschaft
- Priorität, Profit und Presse - Kalte Fusion und die Folgen
- Zur Rolle von Wissenschaftlern als Medienstars
- Daniel Goldhagen zwischen medialer Prominenz und wissenschaftlicher Kritik
- 'Peer Review', Betrug und die Externalisierung der wissenschaftlichen Steuerungsmechanismen
- Wissensgesellschaft und neue Epistemologie?
Rezension:
"Einsinkende Altbauten
Verliert die Wissenschaft ihre Autorität?
Noch genießt die Wissenschaft hierzulande unter den Institutionen das zweitgrößte Vertrauen nach dem Bundesverfassungsgericht. Noch reizt das Ansehen der Professoren den Beobachter zu kirchlichen Metaphern, und noch ragen ihre elfenbeinernen Altbauten weit über den moralischen Morast, in dem der Bürger Politik, Wirtschaft und inzwischen auch die Medien versinken sieht.
Doch es mehren sich die Anzeichen dafür, daß diese Erhabenheit der Wissenschaft über den Rest der Gesellschaft akut gefährdet ist. Der Bielefelder Wissenschaftssoziologe Peter Weingart befaßt sich seit Jahren mit diesen Anzeichen.
Nun hat er die -- für sich genommen keineswegs neuen -- Symptome in einem Buch zusammengetragen, das durch drei Eigenschaften besticht: den Reichtum an wohlgeordneten Fakten, die historische Tiefenschärfe und das Fehlen jeglicher Theorieschnörkel, die einem die Lektüre verleiden könnten." (Die Zeit, 22. März 2001)
Seit Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die akademische Wis-senschaft zu einem gesellschaftlichen Funktionssystem, das sich intern immer weiter ausdifferenzierte (immer neue Disziplinen und Teildisziplinen erfand), nach außen relativ geschlossen war und - wenigstens dem Anspruch nach - eine selbstgesteuerte Entwicklung nahm. Wissenschaftliche Forschung bemühte sich, durch Reduktion und Vereinfachung der Natur auf Zusammenhänge, die im Laborexperiment erfaßt und kontrolliert werden können, zu allgemeinen Naturgesetzen zu gelangen. Anwendbar war dieses Wissen in dem Maße, wie sich natürliche Verhältnisse auch außerhalb des Labors auf Laborbedingungen hin "normieren" ließen.
Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts macht das Funktionssystem Wissenschaft gravierende epistemische und institutionelle Veränderungen durch. Wissenschaft als Institution löst sich aus ihrer bisherigen sozialen Isolierung; die Grenzen zwischen universitärer Grundlagenforschung und angewandter Industrieforschung verwischen sich; Wissensproduktion ist nicht mehr vorrangig auf die Suche nach Naturgesetzen gerichtet; die Forschung wendet sich vom Laborexperiment ab und arbeitet eher an Modellen und Simulationen; die Einteilung in Disziplinen ist nicht mehr der entscheidende Organisationsrahmen der Forschung. Mit einem Wort, die soziale Distanz zwischen akademischer Wissenschaft und Öffentlichkeit schrumpft.
Diese engere Anbindung der Erkenntnisproduktion an soziale Anwendungskontexte stürzt das wissenschaftliche Wissen in vielfache Legitimationskrisen. Der Versuch der Politik, ihre Entscheidungen durch wissenschaftliche Expertise zu rechtfertigen, bringt die Wissenschaft in Verbindung mit den politischen Lagern und involviert sie in deren Konflikte. Im Dauerclinch zwischen Gutachtern und Gegengutachtern verliert wissenschaftliches Fachwissen seine Glaubwürdigkeit.
Vielleicht am schwersten wiegt aber, daß die Schrumpfung der Distanz zwischen der Wissenschaft und den anderen gesellschaftlichen Systemen den Wissensbegriff selbst verändert. Denn diese relative Distanz der akademischen Wissensproduktion zu sozialen Interessen - Status, Macht und ökonomischer Ertrag - war vielleicht die soziale Voraussetzung für die "Objektivität" wissenschaftlicher Erkenntnis. Der anwendungsorientierten Wissenschaft fällt es schwer, die Erwartungen zu erfüllen, die man traditionell der Wissenschaft gegenüber hegt - nämlich "objektives", sicheres, gewisses Wissen zu liefern. Schlägt also jetzt der Wahrheit die Stunde?
Aus dem Inhalt
- Wissensform und Gesellschaftsstruktur
- Genese und Funktionen des wissenschaftlichen Ethos
- Die Institutionen der akademischen Wissenschaft - Akademien und Universitäten
- Akademische Wissensordnung und Herrschaftsordnung
- Wachstum, Öffentlichkeit der Kommunikation und Qualitätskontrolle
- Von der Gefahrenabwehr zur Risikoprävention. Die Inflationierung wissenschaftlicher Expertise und die Vergeblichkeit ihrer Kontrolle
- Wissenschaft und Politik live
- Ursachen einer neuen Abhängigkeit zwischen Universität und Industrie
- Ökonomisierung der Wissenschaft oder Akademisierung der Industrie?
- Die Wissenschaft entdeckt die Medien
- Das traditionelle Modell der Popularisierung und seine Kritik
- Die 'Medialisierung' der Wissenschaft
- Priorität, Profit und Presse - Kalte Fusion und die Folgen
- Zur Rolle von Wissenschaftlern als Medienstars
- Daniel Goldhagen zwischen medialer Prominenz und wissenschaftlicher Kritik
- 'Peer Review', Betrug und die Externalisierung der wissenschaftlichen Steuerungsmechanismen
- Wissensgesellschaft und neue Epistemologie?
Rezension:
"Einsinkende Altbauten
Verliert die Wissenschaft ihre Autorität?
Noch genießt die Wissenschaft hierzulande unter den Institutionen das zweitgrößte Vertrauen nach dem Bundesverfassungsgericht. Noch reizt das Ansehen der Professoren den Beobachter zu kirchlichen Metaphern, und noch ragen ihre elfenbeinernen Altbauten weit über den moralischen Morast, in dem der Bürger Politik, Wirtschaft und inzwischen auch die Medien versinken sieht.
Doch es mehren sich die Anzeichen dafür, daß diese Erhabenheit der Wissenschaft über den Rest der Gesellschaft akut gefährdet ist. Der Bielefelder Wissenschaftssoziologe Peter Weingart befaßt sich seit Jahren mit diesen Anzeichen.
Nun hat er die -- für sich genommen keineswegs neuen -- Symptome in einem Buch zusammengetragen, das durch drei Eigenschaften besticht: den Reichtum an wohlgeordneten Fakten, die historische Tiefenschärfe und das Fehlen jeglicher Theorieschnörkel, die einem die Lektüre verleiden könnten." (Die Zeit, 22. März 2001)