aufzunehmen.
Doch Innis rüttelt an den Stäben seines unsichtbaren Gefängnisses. In dem entlegenen Flecken St. Aubin ist man auf ein Auto angewiesen. Doch Starr, der Innis sowenig Platz wie möglich in seinem Junggesellenleben einräumt, behält seinen Lada für sich, er fährt allein zu den Scheunentänzen und Saufgelagen in den Nachbargemeinden. Innis braucht Geld, um auszubrechen, er setzt alle Hoffnung auf Cannabissämlinge, die er heimlich im Dachstuhl der Blockhütte züchtet.
David R. MacDonald, der 1940 auf Cape Breton Island geboren wurde, macht die Klaustrophobie des Ortes spürbar. Sein Roman spielt, vor der Ankunft des Internet und der Satellitenschüssel, in den siebziger Jahren, als die Menschen dort mit Hilfe von verkratzten Schallplatten, mäßigen Fernsehshows und größeren Mengen Dosenbier überwinterten. Wer nach draußen telefoniert, hängt an einem Gemeinschaftsanschluß, jeder kann mithören. Innis, der anfangs noch auf seine Anonymität bedacht ist, kapituliert schnell.
Die Einheimischen züchten hier ihre Stammbäume wie andere Leute Rosen. Eine der vielen Randfiguren des Romans, die als Überlebende einer anderen Epoche daherkommen, ist der alte Dan Rory, der jede Föhre in seinem Wald kennt, fließend Gälisch spricht und der "das zweite Gesicht", also die Gabe des Hellsehens, hat. Doch die keltische Kultur der Einwanderer, die um 1800 Neuschottland besiedelten, befindet sich im Zerfallsstadium.
Starrs neue Freundin Claire, eine auffallend attraktive Enddreißigerin, wird bald zum Gegenstand von Innis' Tagträumen und Phantasien. Der Taugenichts, der außer Gefälligkeitsjobs und Streifzügen durch das Dickicht der Wälder keine Beschäftigung hat, wirbt erst verhalten, dann immer unverhohlener. Die erotische Spannung zwischen den beiden wächst im gleichen Maß wie das Mißtrauen von Starr. Der schwelende Konflikt entlädt sich in einem Faustkampf zwischen Neffe und Onkel. Kurz darauf verschwindet Claire. Innis entdeckt, daß seine Cannabispflanzen niedergemäht wurden, was seine Zukunftspläne zunichte macht. Aus Rache vergiftet er eine Quelle, die die Wasserleitungen des Onkels speist.
"Die Straße nach Cape Breton" ist ein eigenwilliger Beitrag zum Thema des heimkehrenden kanadischen Exilanten. Andere amerikanisch-kanadische Schriftsteller wie Annie Proulx oder Alistair MacLeod haben das Terrain bereitet. In ihren Romanen kehrt der Protagonist zur Kultur der Einheimischen zurück, er findet seine Wurzeln und seine Bestimmung. MacDonald bricht diese Leseerwartungen. Das wird besonders deutlich an seiner Art der Landschaftsschilderung. Bei MacDonald sind die Wälder auf Kap Breton abweisend und undurchdringlich, die Küste birgt auch im Sommer ihre Gefahren. Einmal rudern Innis und Claire hinaus, geraten in ein Gewitter und können sich mit knapper Not vor dem Schiffbruch retten.
In diesem Debütroman konkurrieren zwei Erzählanliegen um die Aufmerksamkeit des Lesers: die mögliche Assimilation des Protagonisten in die einheimische Kultur und seine Reifeprüfung. Das Ende bleibt offen, man erfährt nicht, ob Innis seinen Onkel vergiftet, ob er Cape Breton verläßt, ob er an Claires Nonchalance verzweifelt oder über sich selbst hinauswächst. Doch diese Offenheit ist eigentlich eher Unverbindlichkeit; MacDonald weicht seinem Thema aus. Hätte Innis sich zwischen Rückkehr und Flucht entschieden, dann hätte er auch als Figur Gestalt angenommen. So bleibt er bis zum Ende irritierend kraftlos.
TANYA LIESKE
David R. MacDonald: "Die Straße nach Cape Breton". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Heidi Zerning. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 352 S., geb., 19,90 [Euro].
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