die Konsensrunden der alten Bundesrepublik bevölkerten, machen die Lobbys aus ihrer Parteilichkeit wenigstens keinen Hehl. Das Setzen auf einen Wettstreit der Egoismen steht freilich, wie der Fernsehreporter Thomas Leif und der Politikwissenschaftler Rudolf Speth als Buchherausgeber darlegen, immer noch im Ruf einer neoliberalen Irrlehre ("Die stille Macht." Lobbyismus in Deutschland. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003. 385 S., br., 32,90 [Euro]).
Dabei diente die Lobby ursprünglich als Kontrollstelle für Parlamentarier. Vor jeder Abstimmung erwarteten die amerikanischen Kongreßmänner des neunzehnten Jahrhunderts ein Spießrutenlaufen. In der Wandelhalle ("lobby") riefen die verschiedensten Gruppierungen den Volksvertretern ihre Abwählbarkeit ins Gedächtnis - fast eine demokratische Fassung jenes Mementos, das römische Kaiser an ihre Sterblichkeit erinnerte. An diese Urszene knüpfen die Verteidiger des Lobbyismus an: Als in den Prozeß der politischen Willensbildung eingebaute Rückkopplung beugt er der Loslösung der Legislative von ihrer Umwelt vor. Lobbys erscheinen so als "Dolmetscher" zwischen Funktionssystemen ohne gemeinsame Sprache. Besonders im Babylon der Brüsseler Verwaltung, welche den Kontakt zum Souverän stets zu verlieren droht, leisten die Lobbyisten - so der Politikwissenschaftlers Rinus van Schendelen - unverzichtbare Botendienste.
Auch in den Interviews des Bandes treten die Lobbyisten als Pfadfinder durch die Labyrinthe der Ministerialbürokratie auf. Wolf-Dieter Zumpfort, Vorsitzender des Berliner "Collegiums", verlangt vom guten Lobbyisten die Fähigkeit zum Marsch durch die Institutionen - also die telefonische Begleitung eines Gesetzesentwurfs "über den Referenten, über den Referatsleiter, den Unterabteilungsleiter und den Abteilungsleiter". Ausgerechnet dem Lobbyisten, scheinbar der natürliche Feind des Reformbremsers, ist die graue Seele des Beamten näher als der schmierige Glanz eines Moritz Hunzinger.
Längst lodert kein Fegefeuer der Eitelkeiten mehr in den Vorzimmern der Macht. In aller Bescheidenheit treten Lobbyisten als Dienstleister auf. So deutet der im Oktober 2003 von seinen Aufgaben entbundene Telekom-Lobbyist Karlheinz Maldaner an, die Hauptstadtrepräsentanz erspare streßgeplagten Vorstandsmitgliedern die Zeitungslektüre. Selbst für niedere Büroarbeiten sind sich Lobbys nicht zu schade: So bitten Ministerien, wie Maldaner bekennt, "um Hilfestellung bei der Formulierung von Gesetzestexten oder spezifischen inhaltlichen Fragestellungen". Offenbar sind Lobbyisten bloß die ersten Diener ihres Staates, die jedem angesichts der komplexen Materie um Worte ringenden Referatsleiter ein paar Adjektive schenken.
Welche Gefahren dieses "Regieren ohne Regierung" birgt, sehen auch Leif und Speth. Ihr Band enthält das Belastungsmaterial eines Schwarzbuchs und das Know-how eines Handbuchs. Manche Beiträg rechten mit den Lobbys - so die Abrechnung des Journalisten Gottlob Schober mit der Privatisierung der Telekom und dem Volksbetrug mit der Volksaktie. Andere Texte lesen sich wie PowerPoint-Präsentationen für den Wettbewerb um die schönste Lobby.
Doch gerade die unreine Heuristik dieses Bandes, der eine Mischung aus Außenperspektiven und Innenansichten präsentiert, macht ihn zum schillernden Dokument. Das Klischee von den Strippenziehern erfährt deutliche Korrekturen. So räumt die Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Birger Priddat über die "Beratungsresistenz" der Politik mit dem Vorurteil auf, Politiker stünden unter dem Einfluß ökonomischer Theorien. Die Untersuchung des Soziologen Jochen Roose über die NGOs zeigt die Verwandtschaften zwischen den scheinbar artfremden Formen des Protests und des Lobbyismus auf.
Leider bleibt der Mut zur Interpretation in diesem materialreichen Dossier die Ausnahme. Vielmehr bilden die Einzeldarstellungen zu verschiedensten Lobbys und Verbänden - vom Straßenbau bis zur Pharmabranche, von den Städten bis zu den Gewerkschaften - den Volksauflauf in den Vorzimmern fast im Maßstab eins zu eins ab. Sogar die Herausgeber lassen sich in ihrem Aufsatz über die neuen Bürgerbewegungen die Chance zu einer Deutung dieser paradoxen Lobbys gegen die Lobbys entgehen. Doch trotz einer konzeptionellen Unausgegorenheit, die sich auf der Textoberfläche in zahlreichen Schlampigkeiten spiegelt und offenbar die Kehrseite hoher Aktualität darstellt, eröffnet der Band faszinierende Perspektiven auf eine von der Wissenschaft bislang gemiedene Mikrophysik der Macht. Vielleicht ist im Gewimmel der Lobbys mehr über das Funktionieren der Demokratie zu lernen als über ihr Scheitern.
ANDREAS ROSENFELDER
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