Beete verordnen ließ statt der bisherigen Medikamente. Seine "natürliche" Gesundheitspolitik kostete nach heutigen Schätzungen 340 000 Menschen das Leben. Auch von der (realen) Gewalt auf den Straßen hielt er nichts und erklärte sie zu einem reinen "Wahrnehmungsproblem".
Diese verzweifelte, politische Situation bildet den Hintergrund für Duikers großen Liebes-, Schwulen- und Pop-Roman, der von einer Höllenerfahrung mit ungewissem Ausgang erzählt. Der junge Autor, 1974 in Soweto, dem berühmtesten Township Südafrikas, geboren, bedient sich mit größter Virtuosität und raffinierten Verfremdungen eines klassischen Musters - der Unterweltfahrt -, um eine zerrissene Gesellschaft vor uns aufzublättern. Sein Held Tshepo, schwarz und gebildet, ist ein empfindsamer und nachdenklicher junger Mann. Er studiert in Kapstadt Journalismus und führt ein ganz normales Studentenleben - geht viel aus, liebt Rap-Musik, kifft -, bis er einen Nervenzusammenbruch erleidet. Der Roman setzt mit einem quälenden Selbstgespräch in der psychiatrischen Klinik ein, die eher einem Gefängnis als einem Krankenhaus gleicht, mit ihrer menschenverachtenden Hackordnung zwischen schweren und leichten Fällen.
Tshepos "cannabisinduzierte Psychose", so die offizielle Diagnose, erfüllt seine beste Freundin Mmabatho mit tiefen Schuldgefühlen, denn sie hatte ihm den ersten Joint gedreht. Er selbst ist ratlos: "Ich ertrank in meinem eigenen Leben, in meinem eigenen Tun. Es war so, als hätte ich jemanden umgebracht und wäre dann vor mir selbst davongelaufen. Und seitdem bin ich auf der Flucht. Ich hab' mir das Hirn zermartert nach einem Wort für das schreckliche Gefühl in mir drin. Diese dumpfe Hässlichkeit, die immer da ist, wenn ich die Augen schließe. Es ist so widerlich."
K. Sello Duikers zweiter Roman (der bei seinem Erscheinen 2002 begeistert aufgenommen und mit dem Charles-Bosman-Preis ausgezeichnet wurde) ist aus mitreißenden, pointierten Monologen und erinnerten Gesprächen komponiert. Neben den Hauptfiguren treten, wie vor einer imaginären Kamera, weitere Freunde auf und beschreiben behutsam die Verwirrungen der beiden: ihre Angst und Selbstgerechtigkeit, die Angebereien und Ressentiments, aber auch ihre tiefe Freundschaft, die noch aus der gemeinsamen Kindheit im Township herrührt. Der Autor lässt auch zwei Täter zu Wort kommen, die Tshepo vergewaltigt haben - ein früherer Mitbewohner und ein Patient der Klinik -, und stürzt den Leser damit in Seelenqualen, weil er keine Monster, sondern schmerzerfüllte, verletzte Menschen sieht.
Jeder Ort, an den Duiker seinen kindlich liebessehnsüchtigen Helden schickt, erlegt ihm eine schwere Prüfung auf: In der Psychiatrie muss er den Einstieg in das furchterregende Bergwerk seiner Psyche wagen und sich den Hass gegen seinen Mafia-Vater eingestehen, der die Mutter ermorden ließ. Und nach der Entlassung verliebt er sich in einer Wohngemeinschaft in Chris, einen Ex-Sträfling, der Homosexuelle verachtet und ihn mit Knast-Ritualen quält. Ausgerechnet in einem schwulen Sex-Club, dem einzigen Ort, an dem er Arbeit findet, erfährt er zum ersten Mal Sanftmut und Achtung. Sorgsam und geduldig wie ein Handwerker erkundet er dort die Lustpunkte des männlichen Körpers. Und während er massiert und tröstet, hört er aus den unzähligen Lebensbeichten die Grundwahrheit heraus, dass Sex, welcher Art auch immer, eine Universalsprache der Menschen ist und ihr wichtigster Zugang zur Phantasie. Man könnte den Club mit dem bezeichnenden Namen "Steamy Windows" (beschlagene Fenster) als Tshepos Schule der Empfindsamkeit sehen. Denn ähnlich wie Hubert Fichtes legendäre Romanfigur Jäcki entdeckt er hier, als radikaler Ethnograph der Lust, verborgene Empfindungen wie einen unbekannten Kontinent.
"Zärtlichkeit ordnen", hatte Fichte in den Entwürfen zu seinem unvollendeten Erzähl-Projekt notiert, und genau das versucht Tshepo verzweifelt, denn er beharrt darauf, dass auf der Rückseite von Hässlichkeit und Gemeinheit die Liebe zu finden sein muss. Seine Schwäche, jeden Moment klarsichtig und trotzdem mit größter Emphase zu durchleben, ist gleichzeitig seine größte Stärke. Er nimmt an Straßenkindern, die sich bewegen wie kleine ängstliche Tiere, den abstoßenden Geruch der Vernachlässigung wahr und leidet mit dem Touristen, der, blind für die Realität, vor seinen Augen überfallen wird. Alles in dieser Gesellschaft ist fließend, unberechenbar und latent grausam: Der schicke Club, in dem er eine berauschende Schwulenparty erlebt, lässt ihn beim nächsten Mal als Schwarzen nicht ein, und die Rasta-Fete in einem verfallenen Gemeindehaus, das er als harmonischen, lustvollen Ort bewundert, entpuppt sich als Familienhölle. Ein raffiniertes Erzählmodell erzeugt Sog und Spannung dieses Romans, in dem sich das Positive aus ineinandersteckenden Ambivalenzen entwickelt. "Vielleicht gibt es uns, damit wir die Welt daran erinnern, dass das Leben nicht unschuldig ist, dass es eine Hure ist, eine Nymphomanin, die das Risiko liebt", erklärt Tshepos Lieblingskollege Sebastian, eine anmutige Drag-Queen.
Wie qualvoll es ist, zwischen lauter Bruchstellen den eigenen Lebensweg zu finden, bezeugen die vibrierenden, sich für alle Arten von Erfahrung öffnenden Monologe, die auf dem schmalen Grat zwischen Scharfsinn und einem flapsigen Sarkasmus balancieren. Einen ganzen Tag lang irrt Tshepo klagend durch Kapstadts schrecklichstes Elendsviertel, verflucht die Gier der Reichen und die Grausamkeit der Armen und fühlt sich gefangen zwischen den Gespenstern des alten und den Zombies des neuen Afrika. "Wie hilfst du Leuten, wenn das Getto in ihren Köpfen steckt", fragt er deprimiert und sehnt eine Orgie der Anarchie herbei, die diese Widersprüche wegfegt. Erst ein schimpfender Fahrer, dem die Sätze scheinbar wie Wolken aus dem Mund quellen, ernüchtert und tröstet ihn. Wie Fichtes "lyrischer Reporter" ist er in der Stadt unterwegs und verwandelt seine hilflose Wut in genaue, poetische Bilder.
K. Sello Duiker lässt seinen traurigen Helden, der von einer menschlichen Republik ohne rassische Diskriminierung, ohne sexuelle Einschränkung, dafür aber mit einer etablierten Gleichberechtigung der Frau träumt, zuletzt bescheiden in einem Heim für Straßenkinder arbeiten und dort einen kleinen Raum prekärer Balance schaffen.
Für sich selbst fand der Autor jenseits seiner Angst und Verwundbarkeit diesen Raum nicht. Nach einem Nervenzusammenbruch im Januar 2005 nahm er sich, im Alter von nur dreißig Jahren, das Leben.
NICOLE HENNEBERG
K. Sello Duiker: "Die stille Gewalt der Träume". Roman.
Aus dem Englischen von Judith Reker. Das Wunderhorn, Heidelberg 2010. 527 S., geb., 26,80 [Euro].
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