1934 geschrieben. Er erzählt eine Liebesgeschichte, und er erzählt von der opfervollen Rettung einer Standarte eines alten Kavallerieregiments, und es macht den ganzen Zauber dieses schönen Buches aus, wie der Autor die nur scheinbar einander fremden Themen aufeinander zuführt und miteinander verschränkt.
Ich habe diesen Roman erstmals als Schüler 1952 gelesen und jetzt, nach 45 Jahren, ein zweites Mal. Vieles hatte ich vergessen, bestimmte Elemente, an die ich mich erinnerte, erwiesen sich nun beim Wiederlesen als Erinnerungspartikel aus Romanen von Joseph Roth. Das grandiose Schlußtableau in Schönbrunn aber, das mein Gedächtnis ebenfalls Roth zugeordnet hatte, steht bei Lernet-Holenia, dessen "Standarte" den Vergleich mit Roths "Kapuzinergruft" nicht zu scheuen braucht.
Daß Lernet-Holenias Roman 1934 erschien, kann nicht ganz so zufällig gewesen sein. Vielleicht hat den Autor die politische Zerrissenheit dieses Rest-Österreichs bis hin zu den bürgerkriegsähnlichen Unruhen daran erinnert, welch ein faszinierendes Gebäude diese völkervereinende Monarchie über Jahrhunderte hinweg gewesen ist, am Ende Opfer von nationalistischen Abspaltungstendenzen, die aus dem Reich einen Haufen zerstrittener Zwergstaaten machten und es anfällig werden ließen für Faschismus und Nationalsozialismus.
Wie dieser politische Nachlaß der einstigen Donaumonarchie sich entwickeln würde, konnte Lernet-Holenia 1934 auch bei lebhaftester Phantasie nicht ahnen, aber er hat die Auflösung der verbindenden Reichsidee in diesem Roman eindringlich beschrieben, wenn etwa beim Zusammenbruch der Balkanfront der Feind nicht mehr der Gegner jenseits des Flusses (hier die Franzosen und Briten) ist, sondern die Regimenter der k. u. k. Armee untereinander sich zerfleischen, Regimenter aus Kroaten, Polen, Ruthenen, Slowaken, Slowenen, Tschechen, Ungarn und was da sonst noch so viele Jahrhunderte hindurch friedlich unter dem Doppeladler miteinander gelebt hatte, zusammengehalten vom Glanz der Krone, von der Klammer der Monarchie, die von den Verlierern des Krieges dann gar nicht schnell genug abgeschafft werden konnte.
Das ist Joseph Roths Thema gewesen, aber auch das von Alexander Lernet-Holenia, dem heute Vergessenen, dessen Roman "Die Standarte" sich wie ein Nekrolog auf die Reichsidee liest und so eindrucksvoll erzählt, wie Menschen für diese Idee mit dem Leben zahlen, aber diese Idee, verkörpert in den alten Feldzeichen, dann resigniert zerstört wird.
Man kann den Verlag nicht genug dafür loben, daß er so mutig war, dieses Buch wieder aufzulegen, obwohl es ihm schwerlich gedankt werden wird. Der Stoff, der hier so meisterhaft erzählt wird, gehört nicht eben zu den Themen, die heute gefragt sind. Doch große Romane haben noch immer modische Tendenzen überstanden.
Alexander Lernet-Holenia: "Die Standarte". Roman. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1996. 328 S., geb., 39,80 DM.
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