Volkswirtschaft unter Einbeziehung der Transaktionskosten zu analysieren. Durch diese Brille sieht man mehr, als wenn man nur auf die Güterpreise und -kosten schaut.
Man sieht zum Beispiel, was die Infrastruktur kostet, ohne die Güterbewegungen nicht möglich sind, von Straßen bis zur Vorhaltung des Instituts "Privateigentum", und man kann fragen, ob die Leute, die Nutzen daraus ziehen, die Kosten dafür tragen. Ein wichtiger Gesichtspunkt für Umweltpolitik. Was ein "Gut" ist, richtet sich nicht nach Angebot und Nachfrage, sondern danach, ob es jemand haben will, von der Pinkelmöglichkeit bis zur ewigen Seligkeit. Die Wirtschaftstheoretiker nennen diese Betrachtungsweise "methodischen Individualismus". Da stets alle alles haben wollen, muß dieser Individualismus aber Unterscheidungen einführen, die nicht am Individuum hängen. Er nennt sie "Institutionen". Albrecht Söllner beschreibt sie als "Spielregeln", als "Verhaltensbeschränkungen, die sich die Menschen selbst auferlegen, um ihre Interaktionen zu gestalten". Merkwürdigerweise nennt er auch die Treue zu diesen Regeln ein "Gut", als ob man darauf verzichten könnte.
Zu den Transaktionskosten gehört der Aufbau eines Kundenstammes. Deshalb ist die Beobachtung des Deutsch-Amerikaners Albert O. Hirschmann ökonomisch wichtig, daß man auf Unannehmlichkeiten mit Abwandern oder mit Widerspruch reagieren kann. Wenn mir mein alter Autohändler beim Kauf eines Neuwagens keinen zufriedenstellenden Preis bietet, kann ich entweder zu einem anderen Händler gehen, also abwandern, oder verhandeln, also widersprechen. Söllner hat dieses Schema intelligent ergänzt. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen keine Alternativen habe, kann ich schweigen oder Opportunist werden. Wenn ich dem Händler treu bleiben, ihn nicht verärgern und gleichwohl seinen Preis nicht zahlen will, kann ich mir die Hände schmutzig machen und ihn ein wenig täuschen.
Das ist die Situation, um die es dem Buch geht: Schmutzige Hände. Söllner verwendet viel Mühe darauf, diese Situation zu beschreiben, zu variieren und zu analysieren, mit durchaus bemerkenswerten Beobachtungen wie der, daß Schweigen schwer wahrnehmbar ist. Auch dem Nichtfachmann erscheint alles plausibel und als wirtschaftswissenschaftlicher Fortschritt. Da unterdrückt man gern den kleinen Ärger über den Versuch, die Organisationssoziologie neu zu erfinden, zumal Söllners Grafiken, Tabellierungen und Schemata besonders gut gelungen sind.
Normalerweise sprechen wir allerdings in erhabeneren Zusammenhängen von "Schmutzigen Händen", etwa mit dem Parteifunktionär Hoederer aus Sartres Stück: "Glaubst du, man kann unschuldig herrschen?" Sartres Erzählung vom Konflikt zwischen dem wohlverstandenen Interesse der kommunistischen Partei und ihrer offiziellen Politik ist denn auch Söllners Schulbeispiel. Mit Recht meint er, eine solche Situation müsse in allen Organisationen, also auch in Unternehmen, auftauchen. Man kann noch weiter gehen. Sie muß immer entstehen, wenn Normen festgeschrieben werden. Jede Festschreibung gerät über kurz oder lang in einen Gegensatz zur Entwicklung der Gesellschaft, der nur dadurch aufzuheben ist, daß sich irgend jemand die Hände schmutzig macht. Genaugenommen ist sogar jede Rechtsänderung schmutziger Verrat an denen, die das frühere Recht treu befolgt und im Vertrauen auf seine Geltung investiert haben. Der Schmutz reicht daher bis in die Institutionen der Wirtschaft. Aber wenn Institutionen das freie Spiel der Kräfte ermöglichen sollen, dann zersetzt der Schmutz nicht nur die Institutionen, er macht zugleich das Spiel unmöglich, und dann besteht die Spannung zwischen Organisationsinteresse und Regeltreue nicht mehr.
Söllner kommt zu einem anderen Ergebnis, weil er "Treue" nicht funktional auf das Wirtschaftsspiel bezieht, sondern zu einem Interesse des Unternehmens, zu einem "Gut" erklärt, das gegen das Wohl des Unternehmens getauscht werden kann. Woher die Regeln kommen, die dieses Spiel stabilisieren, erklärt er freilich nicht, obwohl es wichtig wäre. Denn wenn die Institutionen, die den Eigennutz begrenzen, verkauft, eingetauscht oder sonstwie in Frage gestellt werden, lohnt sich für das Individuum nichts mehr, weil es seines jeweiligen Erwerbs nicht mehr sicher sein kann. Schon gar nicht lohnt es sich, das Wohl der Organisation mit einer Regelverletzung zu fördern. Ein nutzenmaximierendes Individuum wird vielmehr die Situation der Schmutzigen Hände meiden wie der Teufel Weihwasser. Ob sich eine Regelverletzung lohnt, kann es nicht wissen und kann das Management nicht entscheiden. Das Urteil bleibt der Nachwelt vorbehalten und ist dem Kosten/Nutzen-Kalkül entzogen. Sartres "Schmutzige Hände" enden damit, daß man nicht weiß, ob Hoederer den nächsten Tag überlebt.
GERD ROELLECKE
Albrecht Söllner: "Die Schmutzigen Hände". Individuelles Verhalten in Fällen von institutionellen Misfits. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2000. XIV, 225 S., geb., 148,- DM.
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