Werbung ebensowenig von der Lektüre des Buches abschrecken läßt wie durch sein süß-kitschiges Titelbild und die ersten 60 langweiligen Seiten, wird belohnt mit einer spannenden und gut geschriebenen Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte. Rüdiger Jungbluth, bereits bekannt als Chronist von Unternehmerfamilien und Familienunternehmen durch ein Buch über die Quandts, arbeitet die Faktoren des Erfolgs der Oetkers sehr gut heraus, ebenso wie die Abhängigkeit der Unternehmer vom gesellschaftlichen Umfeld und ihre Verstrickung in die Zeitläufte.
Von Anfang an war für den Erfolg der Oetkerprodukte ihre Ausrichtung auf "Qualität, Werbung und Nützlichkeit" das erfolgsentscheidende Merkmal. Lange bevor sogenanntes Quality-Management zu einer Modeerscheinung wurde und lange bevor das Wort Marketing hierzulande jemand kannte, wandte man in Bielefeld beides an - abgeguckt bei der Nachtigall, die mit ihrem Gesang auf sich aufmerksam macht. Waren es in der Weimarer Republik die schweren Umstände durch Inflation und Weltwirtschaftskrise, welche die Führung eines Unternehmens zur Herausforderung werden ließen, so war es im Dritten Reich die Balance zwischen Abstand und Nähe zu den Nationalsozialisten und in der jungen Bundesrepublik das unternehmerische Gespür für Wachstumsmärkte, das für den Erfolg verantwortlich war.
Während die Vorkriegs- und Kriegszeit historisch interessant ist, könnte die Nachkriegsgeschichte der Oetkers ein Lehrbuch für heute sein. Der unternehmerische Mut, den wir heute oft vermissen, findet sich dort. Auch wenn es vor 50 Jahren leichter war, als Nahrungsmittelhersteller und Schiffsreeder auch noch eine Versicherung zu gründen, eine Bank zu kaufen, sich im Biergeschäft zu engagieren und selbst in der Filmförderung eine große Rolle zu spielen - die Entscheidungsfreude liest sich nicht nur erfrischend, sondern erinnert daran, daß nur persönliches Engagement Veränderung und Wachstum mit sich bringt.
Über kleine Lücken in dem Buch sieht man gern hinweg - angesichts der verweigerten Kooperation von Familie und Unternehmen konnte der Autor sie nicht schließen. Den positiven Gesamteindruck schmälert es nur wenig, daß offenbleibt, ob die Familie jemals Mehrheitsgesellschafter der Kochs-Adlernähmaschinen-Werke war, wie der Kontakt zwischen dem Oetkervorstand Richard Kaselowsky und der Deutschen Bank zustande kam und welche Motive für den Einstieg der Oetkers in das heute erfolgreiche Reedereigeschäft maßgeblich waren. Der Autor ist um Objektivität bemüht, beschreibt die großen Leistungen der Familie, verschweigt aber auch nicht ihre Fehler (Einstieg ins Filmgeschäft, Aufbau einer europäischen Biermarke oder der Bau einer Brauerei in Alaska). Insgesamt bleibt eine einhundertjährige Erfolgsgeschichte eines Familienunternehmens. Die Grundsätze, an die sich die Familie hält, sind geblieben: sparsame Mittelverwendung, Scheu vor Schulden, klare Strategien und langfristige Planung. Mehr braucht man nicht, um erfolgreich zu sein - damals nicht und heute auch nicht.
GEORG GIERSBERG
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