herausarbeitete.
Sein neues Buch ist solide recherchiert und gut geschrieben, es überrascht aber kaum. Wer die internationale Politik in einer guten Zeitung mitverfolgt, kennt die meisten Fakten und Daten. Frankopans Leistung liegt vielmehr in der Kompilation und Verdichtung. In fünf Kapiteln identifiziert der Autor "Straßen", auf denen sich Weltpolitik heute abspielt. In "Die Straßen in den Osten" zeigt er, wie der Westen seit seinem Sieg im Kalten Krieg an Einfluss in der Welt verliert. Symptome dafür sind: Russische Oligarchen und arabische Scheichs übernehmen englische Fußballclubs, Olympische Spiele und Fußball-WMs finden in China, Südkorea, Russland, oder Qatar statt, der neue Louvre eröffnete in Abu Dhabi. Chinesische Milliardäre kaufen alteingesessene Weingüter in Frankreich und Luxusimmobilien in Vancouver, die neue chinesische Mittelklasse lässt die bisherigen Reiseweltmeister, Amerikaner und Deutsche, bei den Tourismusausgaben zurück. "Straßen ins Herzstück der Welt" argumentiert, dass sich die Vereinigten Staaten und die EU politisch selbst zerlegen, während Asien Spannungen ab- und multilaterale Organisationen aufbaut. Das Herzstück der Welt liegt jedoch zwischen der Türkei und Japan, so Frankopan, wo 4,5 der 7,6 Milliarden Menschen leben und das Gros der Rohstoffe lagert - Öl, Gas, seltene Erden. Was dort passiere, bestimme deshalb den Lauf des 21. Jahrhunderts.
In "Die Straßen nach Peking" widmet sich Frankopan der chinesischen "Belt and Road Initiative". Ausgestattet mit einer Billion Dollar, hat sie das Zeug, China als Weltmacht zu verankern. Mittlerweile sind mehr als 80 Länder Teil des Megaprojekts - in Zentralasien, in Süd- und Südostasien, im Mittleren Osten, in Mittel- und Osteuropa, selbst in Afrika und der Karibik. Peking gibt Kredite für den Bau von Straßen, Eisenbahnen und Häfen, finanziert Kraftwerke, Pipelines und Flughäfen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Da ist zum einen der Energiebedarf der chinesischen Wirtschaft, der bedient wird. Zum anderen kann die chinesische Stahl-, Zement- und Metallindustrie ihre Überproduktion in den gigantischen Infrastrukturprojekten im Ausland absetzen und überflüssige Bauarbeiter dort beschäftigen. Schließlich geht es Peking um Sicherheits- und Machtinteressen: Nachbarn wie Afghanistan sollen durch Infrastrukturprojekte stabilisiert, Territorialansprüche auf das Südchinesische Meer wortwörtlich zementiert, wichtige Knotenpunkte wie Häfen in Sri Lanka, São Tomé und Príncipe, Pakistan, Griechenland oder den Malediven kontrolliert werden. Zugleich kauft sich Peking massiv in rohstoffreiche afrikanische Länder ein und verdrängt die ehemaligen Kolonialmächte und die Vereinigten Staaten als deren wichtigste Handelspartner. Sein verlockendes, aber verlogenes Versprechen: sich nicht in innere Angelegenheiten der meist diktatorisch regierten Länder einzumischen. Geld bekommt nur, wer keine Beziehungen zu Taiwan unterhält und China nicht kritisiert. "Früher einmal führten alle Straßen nach Rom", schreibt Frankopan. "Heute führen sie nach Peking."
Der Aufstieg Chinas wird von anderen, allen voran Amerika unter Trump, nicht mehr einfach hingenommen. Davon handelt das Kapitel "Straßen der Rivalität". Obwohl Trump wenig von Militärstrategie und ökonomischen Zusammenhängen versteht, so erkennt er doch besser als seine Vorgänger, dass sich Peking nicht länger in die von Amerika geschaffene und dominierte liberale Weltordnung einbinden lässt. Allerdings verschärft Trump in den Augen Frankopans den Konflikt unnötig, indem er Strafzölle auf chinesische Importe verhängt und zu stark auf eine enge Partnerschaft mit Chinas Konkurrenten Indien setzt. Zugleich verprellen die Amerikaner durch ihre konfrontative Politik gegenüber EU und Nato alte Bündnispartner. Wie also geht es weiter mit der Welt? Frankopan zeichnet ein für den Westen ernüchterndes Bild: "Die Konstanz und Kohärenz von Chinas Botschaft steht in markantem Gegensatz zu der aus Washington, die zufällig, erratisch und voller Widersprüche ist". Trump treibe Iran, Pakistan und Russland in die Arme Pekings, zudem schwinde der militärtechnologische Vorsprung Amerikas. Die Machtverlagerung von West nach Ost gehe einher mit allen Ungewissheiten einer Übergangszeit, aber es gebe keinen Zweifel, dass das 21. Jahrhundert das asiatische sei.
Das ist alles im Kern richtig, wenn auch nicht neu oder gar originell. Natürlich ist es eine Herkulesaufgabe, angesichts einer Vielzahl von Brandherden und im Dauergewitter von Trumps Tweets und Putins Macho-Posen die Weltpolitik einzuordnen und die großen Linien zu zeichnen. Als Historiker reiht Frankopan indes lieber Indizien aneinander, zeigt Pro- und Contra-Argumente auf, als dass er sein Argument theoretisch unterfüttert. Ein paar Grafiken zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, des Pro-Kopf-Einkommens oder der Verteidigungsausgaben der Protagonisten hätten geholfen, die vielen Detailbeobachtungen besser einzuordnen. Letztlich unterschätzt Frankopan die militärische Stellung Amerikas und die Angst vieler Anrainer vor Chinas aggressivem Verhalten. Japan, Vietnam, Indonesien, Australien und Indien etwa erhöhen ihre Rüstungsbudgets und bauen ihre Verteidigungskooperation untereinander und mit Washington aus. Die Zukunft der Welt ist offener, als Frankopan glaubt.
STEPHAN BIERLING
Peter Frankopan: Die neuen Seidenstraßen. Gegenwart und Zukunft unserer Welt.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2019. 346 S., 22,- [Euro].
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