Lusitania sank auch das Ansehen des Deutschen Reiches in den Vereinigten Staaten ins Bodenlose. 128 der 1198 Opfer waren Amerikaner. Die zur Rechtfertigung von deutscher Seite vorgebrachten Argumente, dass mit Inseraten in amerikanischen Zeitungen vor der Reise über den Atlantik gewarnt worden sei und dass das Schiff Munition mitgeführt habe, konnten gegen die Empörung nichts ausrichten. Der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten zwei Jahre später kündigte sich hier an.
Der Brite Colin Simpson hat 1972 in einem Buch behauptet, dass die britische Admiralität unter Winston Churchill genau darauf spekuliert und die Versenkung der Lusitania bewusst gefördert habe. Beweisen konnte er es nicht. Für seine These lassen sich Lücken in der Aktenüberlieferung der Admiralität und Ungereimtheiten im Prozess gegen die Reederei anführen. Die gewichtigeren Indizien sprechen allerdings gegen eine solche "Verschwörungstheorie". Gerade die Tatsache, dass die Lusitania große Mengen dringend benötigter Munition und weiterer militärischer Vorprodukte an Bord hatte, machte sie zu wertvoll und gleichzeitig zu heikel für eine kalkulierte Katastrophe. Trotz aller gemeinsamen antideutschen Empörung griff die englische Opposition die Regierung im Parlament wegen mangelnder Vorsichtsmaßnahmen scharf an.
Ein fortwährendes Spekulationsobjekt ist die Lusitania jedoch vor allem, weil sie ein Geheimnis mit ins Seegrab genommen hat: Nachweislich hat U-Boot-Kommandant Walther Schwieger nur einen Torpedo abgeschossen, er selbst und zahlreiche Überlebende des Untergangs berichteten aber von einer zweiten, weit heftigeren Explosion. Erst sie hat nach allgemeiner Überzeugung zum rasend schnellen Untergang innerhalb von 18 Minuten geführt. Zunächst lag die Vermutung nahe, dass die mitgeführte Munition explodiert sei. Als diese Möglichkeit aufgrund technischer Gründe ausschied, war von einer Kesselexplosion die Rede. Der Wrackforscher Robert Ballard vertrat in einem 1995 erschienenen Buch die Ansicht, dass Kohlenstaub in Brand geraten sei.
Der irische Amateurhistoriker Patrick O'Sullivan fügt jetzt eine neue Version hinzu: Seiner Meinung nach explodierten 46 Tonnen Aluminiumstaub, die als Rohstoff für die Herstellung von Munition in England dienen sollten. Das würde bedeuten, dass die Passagiere doch Opfer der militärischen Konterbande geworden wären. Aber dieses Geheimnis der Lusitania wird sich wohl nie klären lassen.
Selbst dann wären die rechtlichen und moralischen Fragen nicht gelöst, die den Kern des andauernden Interesses an der Lusitania-Katastrophe ausmachen: Die Briten verstießen bei der Mitführung von kriegswichtiger Konterbande auf Passagierschiffen gegen Völkerrecht. Unbewaffnete Schiffe durften nicht warnungslos versenkt werden, sondern mussten durchsucht und anschließend als Prise in einen Hafen geleitet werden. Doch die Eigenarten des gerade erst zur schlagkräftigen Waffe entwickelten U-Boots machten ein solches Vorgehen praktisch unmöglich. Aufgetaucht riskierte es die eigene Versenkung durch Rammung oder versteckte Bordgeschütze, mit denen viele Handelsschiffe ausgerüstet worden waren. Laut einer offiziellen britischen Liste gehörte auch die Lusitania zu den bewaffneten Hilfskreuzern, tatsächlich waren allerdings nie Kanonen montiert worden. Fatal war, dass die deutsche Marineleitung den U-Boot-Kommandanten de facto freie Hand bei der Auswahl ihrer Ziele gab, die diese immer wieder zur Versenkung von Passagierschiffen nutzten. Auch die Bemühungen der Politiker um eine Abwägung von militärischem Nutzen und diplomatischen Folgen wurden dadurch torpediert.
Von der Aluminiumstaub-Theorie abgesehen, bietet O'Sullivan nichts wesentlich Neues zur Geschichte der Lusitania. Aber er hat alles Wissenswerte zusammengetragen und liefert in knappen Exkursen die nötigen Hintergrundinformationen über den Handelskrieg, zur deutsch-englischen Flottenrivalität und zur Entwicklung des U-Boot-Baus. Vor allem handelt es sich bei seinem Werk um ein Bilderbuch mit zahlreichen Fotografien, Gemälden und Karten.
MATTHIAS ALEXANDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main