Zerstörung und millionenfachen Tod für diejenigen, die ihr im Wege stehen oder von den Nazis als lebensunwert stigmatisiert werden. Schließlich aber stehen auch die allermeisten Deutschen vor dem Nichts, sind vertrieben, ausgebombt, Opfer des eigenen kollektiven Größenwahns.
1945 teilt sich die Geschichte Deutschlands für einige Jahrzehnte. Die beiden neu gegründeten deutschen Staaten stehen sich ideologisch und politisch feindlich gegenüber. Die Grenze zwischen ihnen gilt als besonders gefährlich. Zu Beginn der sechziger Jahre wird sie von den kommunistischen Machthabern der DDR martialisch befestigt und ausgebaut, ganz besonders in Berlin. Erst 1990 löst sich der Ost-West-Konflikt auf, und die beiden deutschen Staaten vereinigen sich.
All dies hat die Lisa in Berlin miterlebt. Ihre Lebensgeschichte wäre an anderen Orten, zu anderen Zeiten vielleicht ganz friedlich und ohne dramatische Aufs und Abs verlaufen. Aber in Deutschland, in Berlin ging das nicht. Klaus Kordon hat diese Lebensgeschichte lakonisch und unsentimental niedergeschrieben, aber doch so, daß man der Energie und den Stehaufqualitäten dieser tapferen Frau viel Hochachtung und große Sympathie entgegenbringt. Die wichtigsten Stationen dieses Lebens sind in den großformatigen Bildern von Peter Schimmel wiedergegeben. Schimmel arbeitet mit den Mitteln der Comic-Ästhetik, und es gelingen ihm eindrucksvoll verdichtete Momentaufnahmen des privaten Lebens von Lisa und ihrer Familie, aber auch der politischen Vorgänge, die dieses private Leben mitprägen und zum Teil zerstören.
Deutsche Geschichte im Spiegel des Lebens einer, wie man so sagt, einfachen Frau - das ist hier großartig gelungen. Denn die Lisa ist kein Klischee, und was ihr zustößt, Freud wie Leid, macht uns mit ihr zusammen froh oder traurig. Da Klaus Kordon wirklich mit ganz wenigen Worten auskommt, ist ihm ein Meisterstück an Zurückhaltung und Aussparung gelungen. Diese Eigenschaften des Textes kommen wegen des Kontrastes zu den üppig und detailreich ausgeschmückten, indes niemals süßlich werdenden Bildern Peter Schimmels besonders gut zur Geltung. Bild und Text ergänzen einander gerade auch deshalb so gut, weil jedes für sich eigenständig bleibt und die Bilder zum Beispiel nicht einfach eine Verdoppelung dessen sind, was im Text ohnehin schon formuliert ist. Vor mehr als zehn Jahren erschien dieses Buch bereits in einem anderen Verlag und erhielt Preise, aber doch nicht die verdiente Beachtung. Wie gut, daß es nun noch einmal in neuer Ausstattung aufgelegt wurde.
Die schönste und anrührendste Passage findet sich ganz am Schluß: Am Ende ihres langen Lebens - Lisa ist da schon ein klein bißchen gaga - kommt es ihr manchmal so vor, als kämen alle die Menschen, mit denen sie es zu tun hatte, zu Besuch, die Toten wie die Lebenden. Und da muß sie manchmal richtig laut lachen.
WILFRIED VON BREDOW
Klaus Kordon, Peter Schimmel: "Die Lisa". Eine deutsche Geschichte. Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2002. 41 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 6 J.
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