letzte Metro" genannten Anthologie junger tschechischer Literatur versammelt, und alle sind kneipenerfahren, was heißt: gut im Trinken, Rauchen, Zuhören, Beobachten und Geschichtenerzählen. In Tschechien wird das Gesamtkunstwerk aus stetigem Alkoholzufluss und Redekunst schon lange geübt, es gibt sogar ein eigenes Wort dafür: bafeln. Spätestens seit Bohumil Hrabal ist das abschweifende, assoziative, ein bisschen schwermütige, aber auch mit einer Prise Surrealismus gewürzte Erzählen in der Kneipe weltberühmt.
Und, wie die Texte der achtzehn Autorinnen und Autoren zeigen, von denen die meisten nicht mehr ganz so blutjung sind, wie der Untertitel verspricht, sondern eher mittleren Alters und, in Tschechien jedenfalls, bereits bekannt und anerkannt, ist es noch immer sehr lebendig. Emil Hakl zum Beispiel, der vielleicht am meisten gefeierte und berühmteste, in viele Sprachen übersetzte Beiträger des Bandes, hat mit "Planet Zizkov" eine wundervolle mehrstimmige Kneipen- und Freundschaftsgeschichte beigesteuert, die den Sound von David Foster Wallace nach Prag holt. Und Filip Topol, Musiker, Dichter, Pianist und Legende des tschechischen Undergrounds, beschreibt den 30. Februar im Leben eines von seiner Trinkdringlichkeit und seiner Depression gleichermaßen angetriebenen Musiksüchtigen, eines durch Prag stolpernden, auf den Hund gekommenen Wiedergängers des Hoffmannschen Johannes Kreisler, in einer Sprache, die rotzig und zugleich vornehm ist, ganz große Schreibkunst, wunderbar musikalisch durchgeführt.
Der seit der Verfilmung seiner "Alois Nebel"-Graphic-Novel auch außerhalb von Prag und Tschechien bekannte Jaroslav Rudis dagegen schwächelt in seiner Erzählung "Windstille", der einzigen, die nicht in Tschechien, sondern auf Rügen spielt, was ihr die freche Urwüchsigkeit geraubt hat, die die anderen Texte ausmacht. Dafür sind einige der in Deutschland noch ganz unbekannten Autoren und vor allem Autorinnen schöne Entdeckungen. Hana Lundiaková erzählt von einer Amour fou, die sich lustvoll ins Betrügernetz einer Roma-Sippe vergaloppiert und eine treue Seele sehr allein zurücklässt. Und Tereza Semotamová knüpft mit Zartheit, Zärtlichkeit die ersten Fäden einer scheuen Liebe, die sich sacht aufschwingt, für einen Tag, und dann das Weite sucht, ehe ihr feines Gespinst aushärtet und sich in ein Korsett verwandelt, das den Atem raubt.
Václav Kahuda, auch er geübt in vielen Metiers, er arbeitete als Stuckateur, Nachtwächter, Heizer und Totengräber, und also lebens- und menschenkundig, lässt einen Mann ein Mädchen wiedertreffen, nach zehn Jahren, ganz zufällig auf einer Straßenbahninsel, zwei, die sich beim Hundeausführen kennenlernten und Freunde wurden, jetzt ist die Kleine ausgewachsen und Studentin, und der Mann hat einen schon fast weißen Bart. Das erfährt man alles so nebenher, während die beiden einander, statt mit der Straßenbahn zu fahren, nach Hause begleiten und im Reden wieder so vertraut miteinander werden wie sie es früher waren, vor zehn Jahren.
Die sogenannten kleinen Sprachen und die in ihr geschriebene Literatur haben es nicht leicht in der Welt, sie brauchen Dolmetscher, Übersetzer, um Leserinnen und Leser zu gewinnen. So auch die Tschechen - denn wer von uns ist schon dieser schönen, schwierigen Sprache so mächtig, dass er ohne Vermittler mitbafeln könnte? Die beiden Herausgeber der "Letzten Metro" haben unter den jüngeren Schriftstellern des Nachbarlandes eine Auswahl getroffen, die ein wenig das Klischee bedient, aber auch so frisch und modern ist, dass sie neugierig macht auf mehr. Dazu wird bald Gelegenheit sein, denn 2019 ist Tschechien Gastland der Buchmesse in Leipzig.
Bettina Hartz
Martin Becker, Martina Lisa (Hg.): "Die letzte Metro. Junge Literatur aus Tschechien". Aus dem Tschechischen von Martina Lisa. Voland & Quist, 208 Seiten, 18 Euro
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