hinzugefügt. Er untersucht unter Heranziehung der relevanten deutschen Quellen die Indien-Politik der DDR, die im Beobachtungszeitraum vom politisch-wirtschaftlichen Sorgenkind zum "Superalliierten" der Sowjetunion wurde und gar glaubte, sich als "Musterknabe" des östlichen Bündnisses präsentieren zu dürfen.
Auf dem indischen Subkontinent wurden nach 1945 ebenfalls neue Kräfte spürbar. Das Ende der britischen Kolonialherrschaft hatte mit Pakistan und Indien zwei politisch-religiös entgegengesetzte Machtzentren innerhalb der Region entstehen lassen. Während Pakistan die Nähe zum westlichen Bündnis suchte, bezog Indien unter dem wortgewaltigen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru als "blockfreier Staat" Position und sicherte sich damit sowohl sowjetische Unterstützung als auch großes Ansehen in denjenigen ehemaligen Kolonien, die nun einen "dritten Weg" suchten.
Unter Stalin blieb Indien für die SED unbeachtet, als ein immer noch vermeintlich von Großbritannien und zunehmend von den Vereinigten Staaten abhängig geltendes Gebilde, das in Fragen der Deutschland-Politik der DDR keinen Nutzen bringen werde. Ein dilettantisch vorbereiteter Besuch des indischen Philosophen und Botschafters in Moskau, Sarvepalli Radhakrishan, beim Präsidenten Wilhelm Pieck in Ost-Berlin im Jahr 1952 verlief ergebnislos. Piecks Desinteresse an Indien entsprach dem Klischee eines nur halb unabhängigen Indien, dem die eigentliche Befreiung noch bevorstand.
Erst in der Tauwetterperiode nach Stalins Tod 1953 erfolgte eine auf bilateralen Kontakten der jeweiligen kommunistischen Parteien basierende Annäherung. Für die SED-Diktatur wäre die völkerrechtliche Anerkennung durch Indien ein unschätzbarer Erfolg gewesen, zumal man auf die Signalwirkung eines solchen Schrittes auf die anderen in die Selbständigkeit entlassenen Staaten spekulierte und eine "Anerkennungswelle" erwartete. Die SED-Führung versuchte daher, über Nehru an Profil zu gewinnen. Sie sah sich dabei auch als Vermittler in territorialen Fragen und vermied nach außen eine allzu große Nähe zur Sowjetunion. Diese Bemühungen erwiesen sich allerdings angesichts der komplexen indischen Grenzkonflikte als unmöglich und scheiterten spätestens mit dem indisch-chinesischen Krieg von 1962. Die Ost-Berliner Vorschläge wurden zwar höflich angehört, aber nicht weiterverfolgt: Die DDR blieb ein diplomatisches Leichtgewicht.
Erfolgreicher war das Bemühen, die indische Öffentlichkeit zu beeinflussen. Die SED verstand es geschickt, sich in Indien als das "bessere Deutschland" zu präsentieren. Wirtschaftlich hatte man allerdings wenig zu bieten, nicht zuletzt im Vergleich zum Wirtschaftsgiganten Bundesrepublik. Diese leistete nicht nur milliardenschwere Entwicklungshilfe, sondern lieferte auch im freien Handel zwar vergleichsweise teure Ware, die aber hochwertig und zuverlässig war. Ganz anders dagegen die DDR-Produkte. Zu einem Fiasko wurde beispielsweise die in den späten sechziger Jahren als Propagandacoup herausposaunte Lieferung von 10 000 DDR-Traktoren, die schon nach wenigen Monaten aufgrund von technischen Mängeln und indischen Massenprotesten unter immensem Devisen- und Prestigeverlust wieder eingestellt wurde.
Der SED-Funktionär Albert Norden bilanzierte gegenüber dem zuständigen Sekretär Günter Mittag, nachdem er im Herbst 1970 von Ulbricht mit einer Sondermission nach Indien beauftragt worden war: "Wie Du erkennen kannst . . ., ist dies das zwar wichtigste, aber leider nicht das einzige Beispiel für Exporte unsererseits nach Indien, die weder qualitäts- noch termingerecht vorgenommen werden. Die westdeutsche Botschaft . . . hat dafür gesorgt, dass die von den Amis, den Westdeutschen und einigen indischen Großtrusts finanzierte Presse geradezu kampagnenmäßig aus diesen Affären größtes Kapital gegen die DDR schlägt." Für die DDR war die peinliche Angelegenheit, die mit dem Rückkauf und der kostspieligen Umrüstung der Traktoren einherging, ein "Politikum ersten Ranges", zumal die Aufnahme diplomatischer Beziehungen inzwischen in greifbare Nähe gerückt war.
Für Indien waren die - vernachlässigenswerten - Wirtschaftsbeziehungen nicht entscheidend für die Aufnahme der Beziehungen. Auch die von Ost-Berlin in die Wege geleitete sogenannte "Freundschaftsbewegung" und zahlreiche kulturelle Initiativen, die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ihren Höhepunkt erreichten, machten in Indien, wie der Verfasser betont, keinen erkennbaren Eindruck und gaben letztlich auch nicht den Ausschlag für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR. Als die Staatschefin Indira Gandhi, ganz in den Traditionen ihres Vaters stehend, am 8. Oktober 1972 die DDR völkerrechtlich anerkannte, war das eine souveräne und selbstbewusste indische Entscheidung, die mögliche westdeutsche Gegenmaßnahmen inzwischen als vernachlässigenswerte Größe einschätzte und die Anerkennung der DDR vor dem Hintergrund der weltweiten Entspannung vollzog. Den Weg zu dieser Entscheidung zeigt die solide Studie, die bislang unbekannte Details der Weltpolitik des "zweiten deutschen Staates" vorstellt und überzeugend interpretiert.
JOACHIM SCHOLTYSECK
Johannes H. Voigt: Die Indienpolitik der DDR. Von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952-1972). Böhlau Verlag, Köln 2008. 717 S., 69,90 [Euro].
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