wenigstens ein klein wenig am Echo des brachialen Wortes aufzurichten. "Die große Beleidigung" - so könnte der Titel einer Hauptseminararbeit der Neueren Germanistik lauten, Untertitel "Die frühen Prosawerke und Gedichte Wolf Wondratschek als lyrische Protestform gegen die gesellschaftliche Situation in der Bundesrepublik in den siebziger und achtziger Jahren." Leider lautet so aber nun Wolf Wondratscheks neuestes Buch.
Statt für den Saloon will er nun mit aller Gewalt für den Salon schreiben, das tut man, denkt er, am besten, wenn man Erzählungsbände herausgibt, dann sogar noch in der "Edition Akzente", und schließlich, damit man ihm auch außerhalb Münchens seinen Anspruch ansieht, vermerkt der Autor auf der letzten Seite: "Die Erzählungen wurden alle in Wien geschrieben." Das war offenbar weder ein Dank an irgendeinen altruistischen Literaturfonds, dem ansonsten gern an solcher Stelle gedankt wird, noch der Dank an eine seiner Mäzenatinnen, dem man hier erwartet hatte - nein, hier dankt der Dichter offenbar seiner urbanen Muse. Und dazu hatte er sich die Stadt auserkoren, die so irritierend souverän tut, als hätte es das zwanzigste Jahrhundert nie gegeben. Leider hat Wien diese Gunstbezeugung ausweislich der vorliegenden Erzählungen auf recht resolute Weise unerwidert gelassen.
In den Wettkampf um die prätentiöseste Erzählung gehen die Nummern 1 und 4: In der ersten Erzählung geht es um alternde Künstler (können alternde Künstler eigentlich nicht irgendwann einmal auch über etwas anderes schreiben?). Schlimmer noch: Es geht um einen Mann, der auf einer Party in München den Satz sagt: "Ich möchte etwas schaffen, das ich, ohne mich zu schämen, Giotto zeigen könnte." Dann kommen vierzig recht müde Seiten, wo man diesen Regisseur kennenlernt, der sein Leben durch eine Kohorte von Regieassistentinnen angenehm gestalten läßt, aber dennoch blind wird. Ganz am Ende dann fährt der Regisseur mit dem Fahrrad nach Padua, um nun endlich bei Giotto vorbeizuschauen. Warum nicht spätestens hier, wenn schon nicht beim Autor, so doch vielleicht beim Lektor oder dem Verleger der Kitschalarm ausgelöst wurde, wird auf lange ein Rätsel der deutschen Literaturgeschichte bleiben. Erzählung Nummer 4 versucht gegen diese Prätention die Wucht der ungebrochenen Biederkeit ins Spiel zu bringen, doch der Geiger, der Angst vor dem Auftritt hat, langweilte offenbar selbst den Autor dermaßen, daß hier, acht Seiten vor Toresschluß, ganz urplötzlich der junge Wolf Wondratschek dem Alten ins Wort fällt und ein "Groß und dunkel ist die Welt, ansonsten aber ein Saunabetrieb" in den vollgegeigten Konzertsaal grölt.
Doch so, wie man ihm den Cowboy nie ganz abnahm und auch den Macho nicht, so wirkt auch der Biedermann, den Wondratschek hier spielen will, unfreiwillig komisch. "Früher begann der Tag mit einer Schußwunde" (1969) hieß eines seiner ersten Werke, und sein frühe Kurzprosa war von frischer Präzision. Heute räsonniert er: "Kinder, verstehe es, wer will, lieben Schußwaffen". Vier Erzählungen, als plaudere ein alter Schwerenöter am flackernden Kaminfeuer, doch alle anderen sind schon schlafen gegangen. Vier Schüsse in den Ofen.
FLORIAN ILLIES
Wolf Wondratschek: "Die große Beleidigung". Vier Erzählungen. Hanser Verlag, München 2001. 144 S., br., 28,- DM.
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