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Produktdetails
- Verlag: Fest
- Originaltitel: False Dawn
- Seitenzahl: 334
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 608g
- ISBN-13: 9783828600867
- ISBN-10: 3828600867
- Artikelnr.: 24922345
Herstellerkennzeichnung
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Ein Zerrbild des globalen Kapitalismus
Die merkwürdige Wende des John Gray
John Gray: Die falsche Verheißung. Der globale Kapitalismus und seine Folgen. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 334 Seiten, 39,80 DM.
Pessimisten geben den Ton an, wenigstens literarisch. Der Erfolg des globalen Kapitalismus am Ende des Jahrhunderts steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu den Prognosen seiner Schädlichkeit. Steigende Aktienkurse sind Zeichen wachsenden Vertrauens der Anleger in die künftige Ertragskraft der Unternehmen. Die Konjunktur der vor platzenden Seifenblasen warnenden Literatur ist die Kehrseite: Misstrauen angesichts der damit verbundenen erhöhten Risiken. John Grays Buch über die falsche
Die merkwürdige Wende des John Gray
John Gray: Die falsche Verheißung. Der globale Kapitalismus und seine Folgen. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 334 Seiten, 39,80 DM.
Pessimisten geben den Ton an, wenigstens literarisch. Der Erfolg des globalen Kapitalismus am Ende des Jahrhunderts steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu den Prognosen seiner Schädlichkeit. Steigende Aktienkurse sind Zeichen wachsenden Vertrauens der Anleger in die künftige Ertragskraft der Unternehmen. Die Konjunktur der vor platzenden Seifenblasen warnenden Literatur ist die Kehrseite: Misstrauen angesichts der damit verbundenen erhöhten Risiken. John Grays Buch über die falsche
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Verheißung des Kapitalismus liest man besser als Symptom dieser Ambivalenz denn als Diagnose der wirklichen Verhältnisse globaler Märkte.
Grays zentrale These lautet: Der globale Kapitalismus zeichnet sich durch eine fundamentale Instabilität aus. Wenn das stimmen sollte, müsste demnächst mit großen Erschütterungen des internationalen Wirtschaftssystems gerechnet werden. Schuld daran trage eine übersteigerte Verehrung der freien Märkte, die in Wirklichkeit nur eine kurzlebige Abweichung vom normalen Lauf der Dinge sei. Falsch sei vor allem das prometheische Verhältnis des ökonomischen Rationalismus gegenüber der Natur, das dieser mit dem Marxismus-Leninismus gemein habe. Das verleitet Gray zu einer besonders merkwürdigen These: Die Marktwirtschaft habe nach 1989 in Russland mindestens ebenso schädliche Wirkung verursacht wie zuvor siebzig Jahre lang das Sowjetsystem. Beherrscht werde die Ideologie der freien Märkte allenthalben von den Interessen der Vereinigten Staaten, die dadurch ihre Sonderstellung durchsetzen könnten. Die psychischen Folgen für die Menschen seien verheerend: Mittelschichten würden entwurzelt, ein neues Proletariat entstehe. Das verändere auch die Gesellschaft, meint Gray: Ehen würden geschieden, das Leben gerate aus den Fugen - Destabilisierung allenthalben.
Gray ist ein konservativer Antikapitalist. Und er ist ein Konvertit. Das erklärt einiges von der apodiktischen Wucht seiner These. Der Professor für "Europäisches Denken" an der London School of Economics hat in den achtziger Jahren, als er noch in Oxford gelehrt hat, als einer der maßgeblichen Theoretiker von Margaret Thatcher gegolten. Er hat Bücher über Friedrich A. Hayek und Isaiah Berlin geschrieben. Damals ist er ein Liberaler gewesen und kein Konservativer. Jetzt warnt er vor den Gefahren des Liberalismus. Welche theoretische, historische oder biographische Erfahrung ihn zur Konversion gebracht hat, verrrät Gray nicht. Das ist schade.
Grays Zerrbild des globalen Kapitalismus kennt auch einen positiven Gegenentwurf: das kontinentaleuropäische Modell eines breit ausgebauten Wohlfahrtsstaates mit aktiver staatlicher Intervention und einer Unternehmensstruktur, die garantiert, dass die Interessen aller Anspruchsgruppen eines Betriebs vertreten werden. Hier kenne man weder hire und fire noch eine einseitige Verehrung des Kurses der Aktie. Märkte sollten nicht nur ökonomisch effizient sein, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, meint Gray. Sosehr der Autor diese europäische Alternative zum freien Markt auch bewundert - allzu viel Zukunftshoffnung gibt er dem Modell freilich nicht. Grund dafür ist indessen nicht die Strukturkrise eines in die Jahre gekommenen Wohlfahrtsstaates, der für seine Finanzierung nicht mehr einstehen kann, sondern ein neues Gresham'sches Gesetz, dem zufolge der schlechte Kapitalismus dem guten Kapitalismus überlegen sei: Die Harmonisierung der Marktwirtschaften nach unten schreite voran.
Somit kennzeichnet der Autor ein doppeltes geschichtsphilosophisches Untergangsszenario: Der ungestüme Wettbewerb besiege in einer beschleunigten Abwärtsspirale die soziale Marktwirtschaft, womit er sich nur selbst die Apokalypse bereite. Nur eine grundlegende Reform des Weltwirtschaftssystems werde uns vor dem Untergang bewahren, predigt Gray. Die Vorschläge, die er dafür unterbreitet, liegen auf der Linie der Ideen von George Soros oder Paul Krugman: Die Politik müsse wieder die Steuerungshoheit über die Ökonomie zurückgewinnen und der Liberalisierung soll eine neue Regulierung der Kapitalmärkte entgegengesetzt werden. Am originellsten ist die Renaissance, die der ungarische Ökonom Karl Polanyi derzeit erlebt - nicht nur bei Gray, sondern auch bei vielen anderen antikapitalistischen Skeptikern - ob sie George Soros oder Joschka Fischer heißen. Polanyi hat den Prozess einer Autonomwerdung der Ökonomie als "Große Transformation" beschrieben: Dabei habe man übersehen, dass Geld, Arbeit und Boden nicht wie Waren und Dienstleistungen dem freien Spiel des Marktes unterworfen werden dürften. Das wollen die heutigen Kapitalismus-Kritiker wieder rückgängig machen. Während sie sich für den Boden nicht mehr allzu sehr interessieren, plädieren sie um so nachhaltiger dafür, die Arbeits- und Finanzmärkte zu regulieren.
Aber hat das Beschäftigungsproblem Kontinentaleuropas nicht gerade mit seinen regulierten rigiden Arbeitsmärkten zu tun? Und ist für die Schwierigkeiten in Japan nicht das kranke Bankensystem verantwortlich? Dass freie Märkte effektiver arbeiten als geschlossene, dass sie den Völkern erst die Möglichkeit geben, ihren komparativen Vorteil in der globalen Wirtschaft auszuspielen und wachsender Wohlstand den Menschen ermöglicht, entsprechend ihren Präferenzen zu leben, das kann einem alten Hayek-Deuter wie Gray nicht verborgen geblieben sein. Aber er spricht nicht davon. Dass Asien durch eine liberale Öffnung seiner Grenzen und einen Abbau vieler Handelshemmnisse, nicht aber durch wohlfahrtsstaatlichen Interventionismus vorangekommen ist, weiß Gray ebenfalls. Dass das anmaßende Wissen der Politik allemal dem experimentierenden Entdeckungsverfahren der Märkte unterlegen ist, davon muss Gray ebenfalls gehört haben. In seinem Buch hat solche Lektüre keine Spuren hinterlassen. Es wird gleichwohl seine Leser finden, denen die Pflege des Ressentiments wichtiger ist als die deutende Theorie.
RAINER HANK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grays zentrale These lautet: Der globale Kapitalismus zeichnet sich durch eine fundamentale Instabilität aus. Wenn das stimmen sollte, müsste demnächst mit großen Erschütterungen des internationalen Wirtschaftssystems gerechnet werden. Schuld daran trage eine übersteigerte Verehrung der freien Märkte, die in Wirklichkeit nur eine kurzlebige Abweichung vom normalen Lauf der Dinge sei. Falsch sei vor allem das prometheische Verhältnis des ökonomischen Rationalismus gegenüber der Natur, das dieser mit dem Marxismus-Leninismus gemein habe. Das verleitet Gray zu einer besonders merkwürdigen These: Die Marktwirtschaft habe nach 1989 in Russland mindestens ebenso schädliche Wirkung verursacht wie zuvor siebzig Jahre lang das Sowjetsystem. Beherrscht werde die Ideologie der freien Märkte allenthalben von den Interessen der Vereinigten Staaten, die dadurch ihre Sonderstellung durchsetzen könnten. Die psychischen Folgen für die Menschen seien verheerend: Mittelschichten würden entwurzelt, ein neues Proletariat entstehe. Das verändere auch die Gesellschaft, meint Gray: Ehen würden geschieden, das Leben gerate aus den Fugen - Destabilisierung allenthalben.
Gray ist ein konservativer Antikapitalist. Und er ist ein Konvertit. Das erklärt einiges von der apodiktischen Wucht seiner These. Der Professor für "Europäisches Denken" an der London School of Economics hat in den achtziger Jahren, als er noch in Oxford gelehrt hat, als einer der maßgeblichen Theoretiker von Margaret Thatcher gegolten. Er hat Bücher über Friedrich A. Hayek und Isaiah Berlin geschrieben. Damals ist er ein Liberaler gewesen und kein Konservativer. Jetzt warnt er vor den Gefahren des Liberalismus. Welche theoretische, historische oder biographische Erfahrung ihn zur Konversion gebracht hat, verrrät Gray nicht. Das ist schade.
Grays Zerrbild des globalen Kapitalismus kennt auch einen positiven Gegenentwurf: das kontinentaleuropäische Modell eines breit ausgebauten Wohlfahrtsstaates mit aktiver staatlicher Intervention und einer Unternehmensstruktur, die garantiert, dass die Interessen aller Anspruchsgruppen eines Betriebs vertreten werden. Hier kenne man weder hire und fire noch eine einseitige Verehrung des Kurses der Aktie. Märkte sollten nicht nur ökonomisch effizient sein, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, meint Gray. Sosehr der Autor diese europäische Alternative zum freien Markt auch bewundert - allzu viel Zukunftshoffnung gibt er dem Modell freilich nicht. Grund dafür ist indessen nicht die Strukturkrise eines in die Jahre gekommenen Wohlfahrtsstaates, der für seine Finanzierung nicht mehr einstehen kann, sondern ein neues Gresham'sches Gesetz, dem zufolge der schlechte Kapitalismus dem guten Kapitalismus überlegen sei: Die Harmonisierung der Marktwirtschaften nach unten schreite voran.
Somit kennzeichnet der Autor ein doppeltes geschichtsphilosophisches Untergangsszenario: Der ungestüme Wettbewerb besiege in einer beschleunigten Abwärtsspirale die soziale Marktwirtschaft, womit er sich nur selbst die Apokalypse bereite. Nur eine grundlegende Reform des Weltwirtschaftssystems werde uns vor dem Untergang bewahren, predigt Gray. Die Vorschläge, die er dafür unterbreitet, liegen auf der Linie der Ideen von George Soros oder Paul Krugman: Die Politik müsse wieder die Steuerungshoheit über die Ökonomie zurückgewinnen und der Liberalisierung soll eine neue Regulierung der Kapitalmärkte entgegengesetzt werden. Am originellsten ist die Renaissance, die der ungarische Ökonom Karl Polanyi derzeit erlebt - nicht nur bei Gray, sondern auch bei vielen anderen antikapitalistischen Skeptikern - ob sie George Soros oder Joschka Fischer heißen. Polanyi hat den Prozess einer Autonomwerdung der Ökonomie als "Große Transformation" beschrieben: Dabei habe man übersehen, dass Geld, Arbeit und Boden nicht wie Waren und Dienstleistungen dem freien Spiel des Marktes unterworfen werden dürften. Das wollen die heutigen Kapitalismus-Kritiker wieder rückgängig machen. Während sie sich für den Boden nicht mehr allzu sehr interessieren, plädieren sie um so nachhaltiger dafür, die Arbeits- und Finanzmärkte zu regulieren.
Aber hat das Beschäftigungsproblem Kontinentaleuropas nicht gerade mit seinen regulierten rigiden Arbeitsmärkten zu tun? Und ist für die Schwierigkeiten in Japan nicht das kranke Bankensystem verantwortlich? Dass freie Märkte effektiver arbeiten als geschlossene, dass sie den Völkern erst die Möglichkeit geben, ihren komparativen Vorteil in der globalen Wirtschaft auszuspielen und wachsender Wohlstand den Menschen ermöglicht, entsprechend ihren Präferenzen zu leben, das kann einem alten Hayek-Deuter wie Gray nicht verborgen geblieben sein. Aber er spricht nicht davon. Dass Asien durch eine liberale Öffnung seiner Grenzen und einen Abbau vieler Handelshemmnisse, nicht aber durch wohlfahrtsstaatlichen Interventionismus vorangekommen ist, weiß Gray ebenfalls. Dass das anmaßende Wissen der Politik allemal dem experimentierenden Entdeckungsverfahren der Märkte unterlegen ist, davon muss Gray ebenfalls gehört haben. In seinem Buch hat solche Lektüre keine Spuren hinterlassen. Es wird gleichwohl seine Leser finden, denen die Pflege des Ressentiments wichtiger ist als die deutende Theorie.
RAINER HANK
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dies ist eine Kritik des Neoliberalismus und der Globalisierung aus der Sicht eines Anhängers der sozialen Marktwirtschaft, meint Rezensent Gerd Roellecke,eine politische Kampfschrift zwar, aber eine mit "hohem Anspruch". Gray lehne den Kapitalismus nicht grundsätzlich ab, fordere aber, dass er sich den Besonderheiten einer Kultur anpasse. In China etwa gebe es nicht wie in den USA oder Europa eine Kultur des Individuums, sondern der Familie. Die wirtschaftlichen Erfolge der Auslandschinesen zeigten, dass eine kulturelle Anpassung des Kapitalismus möglich sei, wenn sie rechtlich abgesichert werde. Dafür müsse man aber vom "Washington Consensus" abkommen, also vom Aberglauben, der ganz und gar freie Markt werde schon alles regeln.
© Perlentaucher Medien GmbH
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