Geschäft zu machen, und nur wenn die Frist zwischen zwei Romanen zu lang wird, billigen die Verlage ihren Autoren gemeinhin einen entsprechenden Auswahlband zu.
Das verwundert, denn es versuchen sich auch die besten Autoren immer noch gerne an dieser Form. Daß Erzählungen ausgerechnet deswegen kein Publikum erreichen sollten, weil jeweils mehrere davon in einem Band zu finden sind, ist auch nicht recht zu verstehen. Drago Jancar, der bedeutendste slowenische Romancier der Gegenwart, schreibt seit bald dreißig Jahren auch solche Prosa, von der allerdings nur ein kleiner Teil ins Deutsche übersetzt wurde. Neben vier Romanen kann man jetzt immerhin den zweiten Sammelband seiner Erzählungen auch auf deutsch lesen, und wenn das Wort nicht durch reichlichen Gebrauch abgegriffen wäre, müßte man nicht zögern, "Die Erscheinung von Rovenska" als Weltliteratur zu bezeichnen.
Die faszinierende titelgebende Geschichte, die etwa fünfzig Seiten füllt, führt ins 19. Jahrhundert zurück und zeigt, formal souverän verschränkt, einen Herrscher und seinen fanatischen Lakaien, einen Kaiser und "seinen dunklen und unbekannten Schatten".
Alles beginnt an jenem Frühjahrstag 1856, als auf der kroatischen Adriainsel Losinj der habsburgische Erzherzog Maximilian den Grundstein für eine große Mole legt, an der die Schiffe der Welt freilich niemals anlegen werden. Während er seine Rede hält, erschrickt er über einen Hünen vor sich, mit einem "mächtigen Kopf, der auf einem dünnen Hals saß, der wiederum aus einem eng geknöpften Kragen emporragte, und ihn hündisch ergeben aus tiefliegenden Augen ansah".
Der spätere Kaiser von Mexiko ist auf seinen treuesten Untertan getroffen, der ihm in den nächsten Jahren überallhin folgen und ihm als unermüdlicher Arbeiter, dann als ergebener Soldat und schließlich als berüchtigter Schlächter dienen wird. Der Mann mit dem Riesenschädel und einem Backenbart, der ihn seinem Herrn karikaturistisch ähnlich erscheinen läßt, ist ein slowenischer Maurer. Ein paar Jahre später wird er sich jenen zehntausend Bauern, Proletariern, Arbeitslosen und Abenteurern anschließen, die den Erzherzog als Freiwillige übers Meer begleiten. Einige Großgrundbesitzer hatten dem Habsburger, der in seinem Schloß Miramare bei Triest über imperialen Träumen melancholisch geworden war, die Kaiserkrone von Mexiko versprochen.
Das Desaster dieses Unternehmens, das mit unzähligen Toten, dem Triumph der Republik und der Hinrichtung Maximilians endete, schildert Jancar in düsteren Bildern: "Für die Tausenden, die ihm in der Überzeugung nachgezogen waren, sie seien die neuen Conquistadoren auf dem Weg ins Land leichter Kriegssiege, hielt die Vorsehung Gottes, die mit der Conquista schon ein paar Jahrhunderte zuvor aufgeräumt hatte, vermutlich eine noch härtere Probe bereit. Darin kamen wölfische Kriegsschreie vor, blutige Stumpfe abgehauener Arme, aus denen das Blut spritzte, Uferinsekten, Gelbfieber in den Gefangenenlagern, Fliegen, die im Sand lebten und sich in die Haut bohrten, am liebsten in Wunden, aus denen man sie herausdrehen mußte."
Der getreue Diener seines Herrn, der einfältige slowenische Riese, hält die Republikaner für "Türken", die er als gottesfürchtiger Mann reihenweise massakriert. Am Ende kehrt er, einer der wenigen Überlebenden des Freiwilligenheeres, auf dem Schiff mit dem Leichnam Maximilians nach Europa zurück. Die Mole von Losinj, schlägt Jancar den Bogen in die Gegenwart, ragt heute noch kühn ins Meer hinaus; nur hat niemals ein Schiff daran angelegt, denn die Fachleute von Marine, Bauamt und Handel hatten nicht bedacht, daß der Wind an dieser Stelle zu stark ist, die Wellen über den steinernen Wellenbrecher hinwegfegen und jedes Schiff zerschellen würde.
Auch in den acht anderen Erzählungen geht es um historisches Verhängnis, persönliches Scheitern, um kühne Pläne, die vor der Wirklichkeit zunichte werden, freilich auch um einzelne, die in Qual und Bedrängnis Größe zeigen. Jancar erzählt, was aus jenem Slowenen wurde, der 1914 in Triest bei einem unbekannten Iren namens James Joyce Privatstunden in Englisch nahm. Er berichtet, was es mit den Augen auf sich hat, die der kroatische Diktator Pavelic angeblich seinen Feinden ausstechen ließ und nach dem Zeugnis mehrerer Schriftsteller in einer Schale auf seinem Schreibtisch aufbewahrte. Eine andere Erzählung gilt einer Nacht des 16. Jahrhunderts, als die Scheiterhaufen brannten und in einem slowenischen Jüngling jenes Feuer der Überzeugung entfacht wurde, das aus ihm den slowenischen Luther, den Reformator und Bibelübersetzer Primos Trubar machte.
Jancar geht meist von einem verbürgten Fall aus. Von den nüchternen Fakten entfernt er sich mit phantastischen Episoden, Mutmaßungen, Reflexionen, mit Spiegelungen des Geschehens in anderen Schicksalen oder Epochen. Freilich nimmt er den historischen Fall nicht bloß als Anlaß, sondern kehrt immer wieder zu ihm zurück, und die ganze Palette an gestalterischen Mitteln wendet er auf, um diesen einen Fall mit all dem, was er einst bedeutet hat und uns heute noch sagen könnte, auszuloten. Jede einzelne Erzählung entfaltet dabei verschwenderisch eine Fülle an Motiven, Ideen und Geschichten, aus der andere, weniger freigebige Autoren ganze Romane bauen. Bescheidener, anspruchsvoller gibt es Jancar diesmal in "Erzählungen", die zum Besten der zeitgenössischen europäischen Prosa gehören.
Drago Jancar: "Die Erscheinung von Rovenska". Erzählungen. Aus dem Slowenischen übersetzt von Klaus Detlef Olof. Folio-Verlag, Wien/Bozen 2001, 194 S., geb., 34,- DM
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