dienlichere gefunden werden können, die unsrer ganzen Erkenntnis eine andere Gestalt geben würden".
Vierzig Jahre nach Lamberts Klage hatten Deutschlands Denker ihre Fachsprachen um Tausende Neologismen bereichert. Die Geistesgegenwart der Bildungselite zeitigte in den Alltagssprachen vielfältige Wirkungen. Begriffliche Innovationen aus akademischen Diskursen gingen schnell in die allgemeine Sprachpraxis über. Der Kölner Literatur- und Kulturwissenschaftler Erich Kleinschmidt beschreibt solche Entspezifizierung von Fachbegriffen als "kulturpoetische Metamorphisierung". Die um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts geprägte "Intensität", abgeleitet aus dem lateinischen Partizipialadverb "intensus" für "heftig, stark, gespannt", sollte bestimmte physikalische Phänomene bezeichnen. Wenige Jahrzehnte später gebrauchten Philosophen, Theologen, Seelenärzte und Dichter den Begriff der Naturkundler, um kulturelle Phänomene zu deuten und die Abgründe der Psyche zu vermessen. Die kaum erforschte Karriere des Begriffs zeichnet Kleinschmidt als "Beleggeschichte" in systematischer Absicht nach. Durch "Belegarbeit" will er die wissenspolitische Leistungskraft einer offenen "Denkfigur" zeigen.
Dem Prospekt folgen Kapitel zu den "Formierungsgeschichten" des Wortfeldes von Intensität. Danach werden die "Theorieräume" aufgesucht, in denen der neue Modifikationsbegriff entfaltet wurde. Aus weit geöffneten Fenstern blickt der Autor auch nach England, Frankreich und Italien. Bei allen Suchbewegungen wiederholt der Belegesammler immer wieder seine These: Der Terminus "Intensität" wurde im Kontext der physikalischen Debatten über Temperatur und Licht geprägt, um ihre sinnliche Erfahrbarkeit graduell zu messen. Später übertrugen die Physiker "Intensität" und weniger prägnante Begleitbegriffe wie "Intension", "Dichtigkeit" und "Gradation/Degradation" aus der "Photometrie", der Messung der Lichtintensität, und Wärmelehre auf komplexe, strittige Theoreme wie Spannung und Kraft. Dazu analog suchten die Definitionsexperten in systematischen Disziplinen "Intensität" neben Qualität, Quantität und Extensivität beziehungsweise Größe als "vierte" Klasse möglicher philosophischer und mathematischer Begriffsbildung zu bestimmen. Mit Intensität assoziierte man Vorstellungen von stetigen Übergängen, Prozessualität, Überschichtung, Gradabstufung und Nuancierung. Die Gradualität machte den Begriff für die Deutung von Ideenbereichen attraktiv, die sich einem Denken in alternativen Distinktionen und definitorischen Ausgrenzungen entzogen.
1745 übersetzte Diderot Shaftesburys "An Inquiry Concerning Virtue, or Merit" aus dem Jahre 1711. In seiner Lehre vom "degree of passion" hatte Shaftesbury Intensitätsmomente von "affections" und Leidenschaften bestimmen wollen, um an Maßen der "natural proportion" die Tugend anzustrebender "right balance" zu erläutern. Diderot erfaßte den Grad mütterlicher Zärtlichkeit als "intensité". In der deutschen Übersetzung von Alexander Pope's "An Essay on Man" wurden die graduellen Annäherungen an Vollkommenheit als "allmälige Gradation" umschrieben. Dieser Gradationsbegriff fand Eingang in den pädagogischen Diskurs und die Debatten der Nerven- und Seelenärzte. In Lehrbüchern der Neuropsychiatrie beschrieben Universitätsmediziner die Leiden von Menschen, deren "Geist und Sinne durch eine unmerkliche Gradation in den vollständigen Grad von Unempfindlichkeit" versinken könne. Jakob Michael Reinhold Lenz sprach 1775 davon, daß in der deutschen "Sprache noch unendlich viele Handlungen und Empfindungen der Seele namenlos" geblieben seien. So rückten "Intensität" und ihr verwandte Begriffe im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts ins Zentrum eines Psycho-Diskurses über die höchstmöglichen Steigerungen aller menschlichen Handlungs-, Denk-, Erlebens- und Empfindsamkeitsformen. Dank ihrer pluralen Wahrnehmungsmedialität avancierte Intensität zum Adorationssignet schöpferischer Individuen, die den "Intensitätsfortschritt" zur "Graderhöhung der Menschheit" primär an ihre genialische Selbstmächtigkeit banden, den Zersplitterungen einer das Subjekt überfordernden Gegenstandswelt durch konzentriert gesteigerte Reflexivität standzuhalten. "Ist intensiv der Verstand geübt, so erhält er seine Kraft auch im Zerstreuten", erklärte Friedrich von Hardenberg, Autor eines Brouillons zur "Entstehung des Begriffs Dichtigkeit (Intensität)". Analog sollte im ethischen Diskurs "moralische Intensität" den "sinnlichen Trieb" beherrschen. Herder sah diesen "intensiven, innigen Menschen" phänotypisch durch simple, tiefgeprägte Züge ohne unstetes Auge gekennzeichnet, Goethes "Wilhelm Meister" pflegte seine Innigkeit, um Vollkommenes zu schaffen, und die Romantiker feierten solche "Innigkeit des Genies" als den höchsten Steigerungsgrad ästhetisch entgrenzter Produktivität. Neue Modi der Selbstbeobachtung wurden konzipiert und Perspektiven möglicher menschlicher Empfindungen.
Kleinschmidts Datenbanken enthalten vor allem Belege aus den Texten der deutschen Klassischen. Hier lassen sich begriffsgeschichtliche Recherchen effizient durchführen, weil kritische Editionen dank Register den Zugriff auf einschlägige Quellen ermöglichen. Leider ignoriert der Literaturwissenschaftler die begriffshistorische Kärrnerarbeit der Allgemeinhistoriker. Obgleich er seine "erste Beleggeschichte" als "grundlegende Studie" anpreist, bedenkt er nirgends die Perspektivität seiner literaturwissenschaftlichen "Engführung" auf die "Höhenkammliteratur" einiger Meisterdenker. Allen Ernstes versichert Kleinschmidt dem Leser, daß "zum Thema des Buches im historischen Ausschnitt keine einschlägige Sekundärliteratur existiert", weshalb er im Literaturverzeichnis "auf eine Aufführung der wenigen explizit benutzten und zitierten Forschungsliteratur" verzichtet. Von Kosellecks Studien zu den neuen "Bewegungsbegriffen" der "Sattelzeit" nimmt er ebensowenig Notiz wie von den Debatten um die Methodologie von Begriffshistorie und "historical semantics", die Zusammenhänge zwischen sprachlichen Äußerungen und konfliktreichem "management of meaning" in den Blick nimmt. So bleiben gradationssemantisch zentrale Debatten über die "Perfektibilität des Christentums", die Analogielehre und die "Intensitätsgrade" sexueller "Befriedigungsakte" unberücksichtigt. Doch bei Johann Heinrich Campe kann man lesen, daß die "Innigkeit (intension) unserer Empfindungen in dem Maße abzunehmen pflegt, in welchem sie der Ausdehnung (Extension) nach sich über mehrere Gegenstände erstrecken". Folglich sind Hinweise auf die mangelnde Extensität einer Zettelsammlung zur Intensität nur deplaziert. Mehr noch: "Intension" ist, nach Wilhelm Traugott Krugs "Allgemeinem Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften", "eigentlich die Spannung und die dadurch verstärkte Wirksamkeit eines Dinges. Daher sagt man auch, ein Ding habe viel Intensität, wenn es viel innere Kraft oder einen starken Gehalt hat." Den hat Kleinschmidts buchtechnisch schön gestaltete kleine Studie gerade dadurch, daß sie der "gespannten Verfaßtheit des inneren Lebens" Vorrang vor den oberflächlichen Extensitäten der Welt gibt.
Erich Kleinschmidt: "Die Entdeckung der Intensität". Geschichte einer Denkfigur im 18. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 160 S., br., 19,- [Euro].
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