Trennung von Paul eine Hypothese. Für Sylvie entsteht eine Art inneres Vakuum. Wie betäubt verrichtet sie ihre vielen Pflichten. Während sie noch um den Schein ringt, beginnt ihr straff organisiertes Leben zu entgleisen.
Sylvies Gemütslage erinnert an die der Emma Bovary, und wie diese wählt sie erotische Eskapaden, um sich ihrer eigenen Lebendigkeit zu versichern. Zuvor schreibt sie Briefe, einen an den Schachfreund ihres Vaters, der sie höflich, aber bestimmt zurückweist. Einen an Jerry, einen Engländer, der in ihrem Hotel ein Buch hat liegenlassen. Jerry antwortet humorvoll. Sylvie fährt nach London, um die Wohnung des Vaters aufzulösen. Sie liest ihre eigenen Briefe an den Vater, erkennt, wie "zwergenhaft" ihr bisheriges Leben war, sie betrügt Paul mit Jerry. London, die Briefe, der Ehebruch, all dies steht wie eine Synkope in der Mitte des Romans. Als Sylvie zurückkehrt, ist die Wandlung vollzogen. Sie verläßt Paul.
Die englische Autorin Janet Davey hat diesen Roman einer Wandlung wie ein Kammerspiel inszeniert. Ihr Personal ist klein, es gibt noch die Angestellte Maude, mit der Paul Sylvie betrügt; Yvette, eine so geschwätzige Stiefmutter, daß das Klischee winkt, was Davey nur einmal und nur hier unterläuft; schließlich tritt Felix auf, der diskrete Kellner, der manche Panne behebt.
Sie alle geben im Restaurant die immer gleiche Abendvorstellung, während es hinter den Kulissen knirscht. Davey zeigt sich hier stilsicher, sie vermeidet offensichtliche Pointen, spitzt ihr Thema unaufhaltsam zu. In der Mitte des Romans richten Paul und Sylvie eine Pensionsfeier aus. Noch während die Reden gehalten werden, bricht der Ehrengast tot zusammen. An diesem Abend, den Sylvie perfekt meistert, wird das Restaurant zum Guckkasten. Der Tod ist auf dieser Bühne immer präsent. Man erinnert sich, daß das Hotel an einer großen Straße gelegen ist, die keinen anderen Zweck als den des Transits erfüllt: Hier geht es nach Frankreich, dort nach England.
Im Innersten geht es in "Die englische Korrespondenz" auch um Sylvies Spagat zwischen zwei Kulturen, was Janet Davey auch stilistisch zum Ausdruck bringt. Sie hat den Plot britisch poliert, inklusive einer Intrige und eines Denouement, die sich um den verschwundenen Brief ranken. Die Dialoge hingegen wirken höchst französisch. Es wird viel geredet und messerscharf aneinander vorbeiparliert. Sylvies Gespräche mit Paul geben subtile Miniaturen des Scheiterns ab, die von Bettina Abarbanell vorzüglich ins Deutsche übertragen wurden.
Janet Davey hat einen kunstvollen Debütroman geschrieben, der aus wenig viel macht und der trotz seiner melancholischen Grundstimmung leicht wirkt. Wer das englische Theater liebt oder die Filme von Eric Rohmer, wird ihn mögen.
TANYA LIESKE
Janet Davey: "Die englische Korrespondenz". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bettina Abarbanell. Kunstmann Verlag, München 2004. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
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