Kooperationen mit deutschen Häusern zu Übernahmen des Werks gegenstandslos geworden waren. Es erlebte schließlich 1938 in Prag seine Uraufführung, im Jahr vor dem dortigen deutschen Einmarsch. Krenek war nicht anwesend; das Risiko einer Reise in die schon damals vom Hitler-Regime bedrohte Tschechoslowakei empfand er als zu groß. Zwei Monate später wanderte er mit seiner Frau in die Vereinigten Staaten aus, wo er sich bereits großer Popularität erfreute. Nach dem Krieg wurde er zu einem der wichtigsten Vertreter der Neuen Musik.
Ein Leben wie ein Roman. Und tatsächlich hat Krenek daraus selbst auch eine Novelle gemacht: "Die drei Leben des Anton K.". Er schrieb sie im Frühjahr 1938, als er rastlos durch Europa reiste, um lange vereinbarte Konzertengagements noch zu erfüllen, während er gleichzeitig seine Emigration vorbereitete. Österreich gehörte seit März zum Deutschen Reich, und damit war Kreneks Reisepass ungültig geworden; eine Neuausstellung hätte nur in einem deutschen Konsulat erfolgen können, wovor er begreiflicherweise zurückscheute. Die resultierende Unsicherheit in den vielen fremden Ländern ist das Thema der Geschichte um Anton K., dessen Nachnamensinitial man gerne auf "Krenek" zurückführen kann.
Wohl mehr aber noch auf Kafka und dessen Figur des Josef K. aus dem "Proceß"-Roman. Nicht nur, dass Krenek dieses Buch schätzte; er lässt Kafka als Vorbild sogar in die Handlung der Novelle einfließen, als deren Protagonist sich bei einem Konsul um eine Reisemöglichkeit durch dessen Land bemüht, aber auf die unterschiedlichsten bürokratischen Hindernisse stößt: "Ich frage mich, Herr Konsul, ob Sie die Schriften Franz Kafkas kennen. Denn es scheint mir nachgerade, als sei ich in eine Maschinerie geraten, die mich nie mehr loslassen soll und die in beängstigender Weise an die Albträume jenes Autors erinnert." Der Konsul aber kennt Kafkas Bücher nicht nur, sondern antwortet Anton K.: "Es ist Ihnen gewiss nicht entgangen, dass Sie ein Namensvetter der Hauptfigur in Kafkas Romanfragmenten sind." Worauf der Diplomat auch noch eine mehrere Seiten lange Erörterung des tatsächlich klassisch kafkaesken Organisationsprinzips seiner Tätigkeit folgen lässt, die er in der Bemerkung gipfeln lässt: "Die selbstgenügsame Herrlichkeit unseres Treibens ist ein lebendiges Abbild des unerkennbaren, ewigen Gesetzes, wie es dem Dichter vorgeschwebt haben mag." Ein Bürokrat, der Kafkas Bürokratievision als Ansporn empfindet - bösartiger als Krenek hat wohl kaum jemand über Politik gespottet.
Bei der englischen Übersetzung seiner Novelle, die der Autor, nunmehr amerikanischer Staatsbürger, 1955 in einer Zeitschrift unterbrachte, entfiel just die ganze Passage zu Kafka - offenbar traute Krenek dem Publikum seines neuen Heimatlandes keine entsprechende Literaturkenntnis zu. Dafür spricht auch, dass die deutsche Erstveröffentlichung im Rahmen eines Sammelbands mit literarischen Arbeiten Kreneks 1965 das Kafka-Gespräch wieder enthielt. Wirkung erzielte die Novelle aber nicht. Die nun vorliegende Neuausgabe ist die erste.
Sie bietet gleich beide Fassungen: die deutsche und die englische. Das ist philologisch reizvoll und erhöht die Chance auf breitere Wahrnehmung, die dem Buch schon deshalb zu wünschen ist, weil es bei der verdienten Edition Memoria erscheint, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, an im Nationalsozialismus verfemte und dadurch vergessene Künstler zu erinnern. Nun ist Krenek heute weitaus präsenter als die meisten anderen Autoren im Verlagsprogramm, aber das liegt an seiner Musik. Wie geschickt er auch einen Text zu komponieren verstand, das beweist "Die drei Mäntel des Anton K." eindrucksvoll. Der Titel verdankt sich übrigens einem phantastischen Element der Novelle, das die Freude an deren Lektüre noch erhöht und den Leser am Ende ähnlich produktiv ratlos zurücklässt, wie sich wohl auch Ernst Krenek im Jahr 1938 gefühlt haben wird.
ANDREAS PLATTHAUS
Ernst Krenek: "Die drei Mäntel des Anton K. / The Three Overcoats of Anton K". Novelle.
Zweisprachige Ausgabe, hrsg. von Matthias Henke. Edition Memoria, Hürth 2020. 144 S., Abb., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main