Kundschaft zu ködern, die ratschlagende Schlagzeile zur Suppe? Und was soll und heischt das mittig gesetzte Blatt des Eschenahorns auf einem ansonsten hübsch sachlich gehaltenen Buchdeckel und Schutzumschlag? Fächert und flüstert uns dergestalt die alte Weltesche Yggdrasil Lebensweisheit zu? Ja, welche nur? Womöglich hat man sich beim Layout nichts dabei gedacht - und wäre gleichwohl auf einen Kern gestoßen? Zuletzt, sind die zehn, warum nicht sieben, wichtigsten Fragen des Lebens auf immerhin 250 Seiten tatsächlich "in aller Kürze beantwortet"? Geht das überhaupt?
Nein, so geht es wahrlich nicht: Kein Buch hat es verdient, sogleich beiseitegestellt zu werden, nur weil man einen Geschmack zu wittern vermeint. Reichlich zehn Seiten Eingang, ein Bibelstich noch und das Studium des Finales sei jedwedem vergönnt. Erst dann ahnt man, ob es lohnt. Und siehe da: Dieses Buch ist, komplett gelesen, gar nicht so schlimm, ja stellenweise erbaulicher und wohlbedachter, als es daherkommt. Überdies erörtert der Autor, der sich gegen Ende zum Titeleinfall bekennt, diesen selbst sehr aufrichtig.
Gregor Eisenhauer denkt und formuliert im ganzen Buch redlich; er müht sich durchaus gelehrt, "offen und ehrlich" (wie man heute so sagt) und hierbei aufs Gewöhnliche, nicht aufs "Große & Ganze" zielend, einige Sinnfragen des Lebens erbaulich zu läutern. Dabei fragt er lieber als zu antworten; das ist klug, wohl auch zwingend. Man versteht ja nichts ohne Frage - nicht mal Antworten! Und das Buch erzählt lieber, als wuchtig und dunkel zu philosophieren.
Im Stil obwiegt der plauderhaft-feuilletonistische Ton, und alles ist sehr zeitnah dem "wirklichen Leben" der um 1960 Geborenen, in Berlin-Mitte Lebenden entnommen. So liest es sich leichthin - auch wo es Längen hat. Dieser plaudernde Gestus und der andererseits ernst und gründlich gestimmte Ton verdanken sich dem Umstand, dass der Autor und gelernte Philosoph professionell Nachrufe für eine Berliner Tageszeitung schreibt. Diese Leichenreden betreffen gewöhnliche Menschen. Der Autor befleißigt sich hierbei eines dienlichen, besser einfach als auch exemplarisch gehaltenen Stils. Überdies zielten er und der Verlag offenkundig auf kein explizit philosophisches Werk, sondern auf ein gemeinverständliches und natürlich quotenträchtiges Lesebuch. Etliche Proben seiner Nachrufe sind vom Autor in den Text geflochten. Diese Nekrologe sind knapp und trefflich gehalten wie Grabinschriften; geschrieben wie mit verhaltenen Paukenschlägen, Adagio, in Moll. Das prägt den Stil des ganzen Buches, das gleichfalls knapp gereiht, Satz für Satz, dann allerdings eher heiter extemporiert, in Dur daherkommt.
Die "Hypotaxe", der komplex verschachtelte Schreibstil, wie ihn Kleist, Kant oder Jean Paul pflegten, wird ja vom Geistgeiz (vulgo: Zeitgeist) gern als "altmodisch" abgetan, weil ihn wohl selten noch einer versteht oder erträgt und schon gar nicht beherrscht. Es obsiegt nun allerorten der leichte, knappe, "parataktische" Stil, wie er sich in der Agitation und Predigt bewährt, tauglich überdies zur leichtgängigen Unterhaltung. Das mag bedauerlich sein, aber es ist so.
Welches nun sind die zehn wichtigsten Fragen? Es geht um Tod und bemessene Lebenszeit, um Glück, Schönheit, Wahrheit, Gott und Engel, und es sind weit mehr als nur zehn Fragen in zehn Kapiteln abgehandelt. All diese Themen sind längst, vielfach und gründlich behandelt, von den Alten und immer wieder. Man könnte zu Leben und Tod Jankélévitch und die Bibel lesen. Über Engel haben sich und uns Thomas und Kaltenbrunner in Taumel versetzt. Gracian, Clausewitz, Tan Daoji sind kluge Ratgeber und Denker; heute sind es nicht nur Becker, Böhringer und Marquard. François Jullien erläutert den Zweifel alten chinesischen Denkens am "Glück".
Das alles und noch viel mehr schenkt erbauliche und hilfreiche Lektüren. Es geht aber auch einfach so, bei Eisenhauer: "Tun Sie alles, um am Leben zu bleiben! Gehen Sie jeden Tag eine halbe Stunde spazieren! Wenn Sie diese Gewohnheit beibehalten, werden Sie nicht ewig leben, aber Sie werden länger leben, und Sie werden klüger, wachsamer und menschenfreundlicher sein, als wenn Sie zu Hause rumsitzen. Mehr kann Ihnen kein Philosoph versprechen." Mag sein. Wie aber steht's um den anfänglichen Argwohn? Nun, die Korrelation von Vorurteil und Wirklichkeit beträgt - klar doch: einer Studie zufolge - ungefähr 0,7. Das ist ein nur oder doch ziemlich mittelstarker statistischer Zusammenhang.
THOMAS KAPIELSKI
Gregor Eisenhauer: "Die 10 wichtigsten Fragen des Lebens in aller Kürze beantwortet".
Dumont Buchverlag, Köln 2014. 254 S., geb., 18,- [Euro].
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