der Kipplage fertig zu werden", in der sich die Erde um die Sonne dreht. Für William Fiennes werden sie so zu Gefährten auf dem Weg von der Schattenseite zurück ans Licht.
Im Alter von fünfundzwanzig Jahren war Fiennes krank geworden. Die Erinnerung an sein im Buch namenlos bleibendes Leiden - "ein fremdes Land ..., wo ich nichts mehr erkannte oder verstand" - liegt wie eine dunkle Wolkendecke über seiner autobiographischen Erzählung, die eine Reise auf den Spuren der Gänse, von Texas bis nach Baffin Island vor der Küste Kanadas, beschreibt. Fiennes las während seiner Genesung Paul Gallicos Geschichte "Die Schneegans" und begann, "über die geheimnisvollen Signale" nachzudenken, die einen Vogel zum Aufbruch zwingen. Als er in Eagle Lake, einer Präriestadt westlich von Houston, ankam, hockten Sumpfhordenvögel auf den Telegrafendrähten.
Fiennes langweilt mit endlosen ornithologischen Details und fasziniert durch überraschende Beobachtungen aus der Vogelperspektive. Die Sumpfhordenvögel sitzen auf ihren Drähten "wie Noten auf Notenlinien"; im Sportsman's Restaurant essen die Jäger unter den toten Blicken ausgestopfter Vögel ihre Brathähnchen. Fiennes ist ein Meister der ironischen Distanzierung: Wenn er unter den blaßblauen Baumwollhosen, dem verwaschenen Sweatshirt der alten Dame, die ihm in Austin Unterschlupf gewährt, die "leichten Knochen eines Vogels" vermutet - "ihr weiches, weißes Haar hatte die zarte, flaumige Beschaffenheit von Daunen" -, dann nicht ohne das spöttische Augenzwinkern des versierten Erzählers, der um die eigene Verblendung weiß.
Fiennes fährt von Winnipeg mit dem Muskeg Express nach Churchill an der Hudson Bay; er unternimmt eine essayistische Exkursion in die Geschichte der Bahnlinie, er beschreibt Fichten- und Pappelwälder, "ein Stockentenmännchen, einen Grünkopf", das mit dem Zug "um die Wette nach Norden" rast. Unter den Menschen, denen Fiennes begegnet, bleibt vor allem der kleine Mann mit blanken Schuhen und sauberen Bügelfalten in Erinnerung, den Fiennes im Speisewagen kennenlernt.
Der Mann hat seinen Stuhl zum Fenster gedreht, sein Blick hängt an der vorbeiziehenden Landschaft: Ziellos - weil er die Züge liebt, weil er ein unstetes Leben führt - fährt er die sechsunddreißig Stunden zwischen Winnipeg und Churchill bereits zum neunzehnten Mal. "Ich fahre nur", sagt er lapidar, "fahre einfach nur Zug." Der Mann hat kein Geheimnis, seine Rastlosigkeit ist wie der pulsierende Flügelschlag der Schneegänse im Wind. "Die Wildnis", heißt es einmal, sei ein Teil von uns, "weil sie die gleichen Dinge benötigt wie wir." Daß sie ungenießbar sind, mag man den Schneegänsen angesichts dieser Erkenntnis verzeihen.
THOMAS DAVID
William Fiennes: "Der Zug der Schneegänse". Eine Reise zwischen Himmel und Erde. Aus dem Englischen übersetzt von Ilse Strasmann. Carl Hanser Verlag, München 2004. 271 S., geb., 19,90 [Euro].
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