Glück" also zu tun? Mit einem Essay über Vladimir Nabokov? Den Notizen einer leidenschaftlichen Nabokov-Leserin? Einem philosophischen Exkurs über Zeit, Erinnerung und die Möglichkeiten, beides in Literatur zu bannen? Lila Azam Zanganehs die Genregrenzen fröhlich sprengendes literarisches Debüt handelt von so ephemeren Zuständen wie Glück und Entzücken, hervorgerufen durch Literatur, genauer: die Lektüre der Werke Nabokovs. Es ist eine wissenschaftlich exakte, aber keineswegs wissenschaftlich durchgeführte Recherche und ein Abenteuerbericht aus einer fernen, doch sehr bewohnbaren Galaxie, dem Nabokov-Universum. Vor allem aber ist "Der Zauberer" eine Liebeserklärung an das Lesen - und zwar an das einzig wahre, das anstrengende und angestrengte, das gewissenhafte Lesen, also eines, das schwierigen Wörtern, Sätzen und Gedanken nicht ausweicht, sondern das sich auf Autor und Werk einlässt mit Haut und Haar und allem Darunterliegenden.
Dass der Autor für Zanganeh Vladimir Nabokov heißt, macht ihr Buch so vielschichtig, einsichtsreich und lebendig - aber man muss als Leser weder selbst Nabokovianer sein, noch die Verehrung der Autorin für ihren Gegenstand teilen, um die Lektüre zu genießen. Allerdings ist Nabokov ein ungemein geeigneter Kandidat für das Plädoyer zur Lektüre schwierigerer Literatur. Denn Zanganeh nimmt sich nicht etwa den so geliebten wie bezwingbaren "Pnin" vor, sondern vor allem "Lolita", "Ada oder Das Verlangen" und "Fahles Feuer" - mithin jene Romane, die Nabokovs Ruf als schwieriger Autor entscheidend beflügelt haben. Das für Zanganeh ergiebigste Buch aber ist seine Autobiographie "Erinnerung, sprich".
Sie habe sechs Kapitel gebraucht, um zu begreifen, dass der Kerl, von dem hier nur als "VN" oder "Vladimir" die Rede ist, tatsächlich echt sei, soll eine literaturferne Freundin Zanganehs nach der Lektüre zu ihr gesagt haben. Das bezeugt weniger die Unbildung der Leserin (die sich als Nächstes übrigens prompt "Ada" vorgenommen haben soll) als die Leistung der Autorin, der es gelingt, eine als Obsession getarnte Hommage auf einen der größten Stilisten des zwanzigsten Jahrhunderts anzustimmen, die sich ständig Anleihen beim großen Vorbild nimmt und dennoch vollkommen eigenständig ist.
Die Anlage des Buches scheint auf den ersten Blick so verspielt und flatterhaft wie die Route eines jener seltenen Schmetterlinge, hinter denen Nabokov sein Leben lang mit kindlicher Freude und in kurzen Hosen herjagte. Zanganeh beginnt das Buch mit einer gezeichneten Karte, die ihre in Kapitel eingeteilte Reiseroute durch das Lesewunderland "Glück" verzeichnet. Dahinter steckt ihre Vorstellung von Nabokov als "eine unsterbliche Alice in der realen Welt", dessen Bücher für die hingebungsvolle Leserin nicht nur eine Anleitung zum Glücklichsein darstellen, "sondern Glück an sich".
Das spezifische Glück Nabokovs sieht Zanganeh in einer "einzigartigen Art des Betrachtens, Staunens und Begreifens". Diesen Dreiklang sucht sie schreibend nicht nur nachzuvollziehen, sondern will seine Neugier und Ekstase mit dem Leser teilen. Dafür verwandelt sich ihr reales Ich, das gelegentlich auch auftaucht, immer wieder in ein fiktives. Einmal imaginiert sie etwa ein Gespräch, das sie mit Nabokov am Comer See führt, "ungefähr zehn Monate nach der Vollendung von ,Ada'" - und damit gut ein Jahrzehnt vor Zanganehs Geburt. Es geht um Nabokovs Leben in Amerika, und er gibt unter anderem zu Protokoll, dass er die Vereinigten Staaten "für eine der kultiviertesten Nationen der Welt" halte und dass er dort seine besten Leser gefunden habe - die junge Frau mit dem langen dunklen Zopf, die vor ihm sitzt, darf sich da getrost miteinschließen. Sie unterhalten sich auch über VNs Liebesaffäre mit der englischen Sprache - die Fähigkeit zum eleganten Sprachwechsel bildet als Gemeinsamkeit zwischen Autor und Novizin einen roten Faden des Buches. Nabokov rühmt das Englische als "flüssiges Glas, das ich nach Belieben drehen und wenden kann, um meine lichtdurchlässigen Perlen zu formen" - ebenjene "Bewusstseinsexplosionen", die für Zanganeh zu "Spielarten der Erinnerung" werden.
Ein anderes Mal spießt die Leserin in ihrem Paradiesgarten einzelne Nabokovsche Wortfindungen auf wie Tracheentrophäen und liefert ihre persönlichen Übersetzung des spezifischen Zaubers etwa von "Cochlea" (Schnecke oder Feentreppe), "himmelgetränkt" (Sonnenwolken satt) oder "palpebral" (ein modisches Synonym für die dunkle Unterwelt unter geschlossenen Lidern). Und selbstredend wird Nabokov auch als Entomologe gewürdigt, der den Kescher schwang wie einen Zauberstab und sich furchtlos einmal einen Monarchfalter einverleibte - "roh".
Andere Kapitel sind konventioneller gehalten, aber darum nicht weniger mitreißend. Zunächst beschäftigt sich Zanganeh mit Nabokovs Biographie, genauer: mit dem Heranschleichen des Todes bis zum 2. Juli 1977. Da ist sie selbst erst zehn Monate alt, eine Tragik, in der sie später ein Lebensmuster ausmacht: "Allem, was ich anfing, wohnte das Ende von etwas Größerem, Bedeutenderem inne."
Der Grund dafür liegt in ihrer eigenen Biographie, die immer wieder aufblitzt. Der Wunsch nach der eigenen Nabokov-Lektüre wurde bereits als Kind in Zanganeh geweckt, als ihre Mutter "Lolita" las und der Tochter beschied, das sei "noch nichts" für sie. Bald darauf las die Mutter, die 1979 als "letzte auf der endlos langen Warteliste, die man für die allerletzte das Land verlassende Maschine aufrief" die iranische Heimat verlassen hatte, hingerissen "Erinnerung, sprich" und übersetzte für die Tochter Passagen, "die sie aufs Herzzerreißendste an ihre eigene Kindheit erinnerten". Doch nicht die Sehnsucht nach der Vergangenheit habe sie in die Spracharme Nabokovs getrieben, schreibt Zanganeh, sondern einzig der Zauber seiner Prosa, "die mir von Sprachen sang, von denen ich wusste, dass sie die meinen waren". Die "angehende Fanatikerin" liest jede Seite, jeden Satz wieder und wieder; "Ada oder Das Verlangen" beendet sie erstmals nach vier Monaten.
Kein Wunder, dass der Zeit - und mit ihr Nabokovs Fähigkeit, ihre Flüchtigkeit in "göttlichen Einzelheiten" und Momenten für immer einzufangen - besondere Bedeutung zukommt. Doch die Detektivin ist keineswegs nur im Ungefähren unterwegs. So erleuchtet sie mit vielen Details und Beispielen, wie Nabokovs erste Liebe Ljussa Schulgin durch sein gesamtes Werk spukt, und widmet seiner Frau Véra Jewsejewna eindrucksvolle Passagen. 2003 lernt sie den Sohn Dmitri Nabokov kennen und freundet sich mit ihm an; einige der anrührendsten der zahlreichen beiläufig eingestreuten Privatinformationen dürften hier ihre Quelle haben.
Die besten Passagen aber sind die, in denen Zanganeh erzählt, was sie bei ihrer Lektüre von "Ada" und "Lolita" sieht und hört. Denn "der große Schriftsteller des Glücks zu sein" bedeutet natürlich nicht, "glückliche Geschichten über einfache, glückliche Figuren zu erzählen". Die romantisch begonnene Inzestliebe von Van und Ada interpretiert sie als schicksalshafte Bewusstwerdung der Liebenden, deren Glück erst "vor der Kulisse ihrer qualvollsten Stunde" himmelhoch steigt.
Lila Azam Zanganeh ist eine Beziehungsherstellerin. Die Beziehungen, die sie am liebsten knüpft, sind die zwischen ihrer Wahrnehmung und der Nabokovs. Das Ziel ihrer Schatzsuche ist es, den Leser mit ihrer Freude an den irrationalen, unlogischen und unerklärlichen Schattierungen der Schönheit von Sprache und Literatur anzustecken. Es ist ihr geglückt.
Lila Azam Zanganeh: "Der Zauberer". Nabokov und das Glück.
Aus dem Englischen von Susann Urban. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2015. 240 S., geb., 22,95 [Euro].
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