schwierigen Namen haben"), und zum zweiten sei es eben krankmachend für das Kind, daß niemand mit ihm spiele und ihm vertraue.
So gesehen hat es Sammy, die Hauptfigur in Harry Mazers neuem Kinderroman "Der unsichtbare Junge", besser, familiär zumindest. Er lebt bei seiner Mutter, die sich viel um ihn kümmert. Gesund ist er aber auch nicht, er leidet an etwas, das Härtling ebenfalls eine Krankheit "mit schwierigem Namen" nennen würde: Sammy hat das Down-Syndrom. Den Leuten, die ihnen einen Blödmann nennen, widerspricht er: "Ich bin ein besonderer Mensch."
Eines Tages läuft Sammy weg, weil er den Eindruck hat, daß sich jetzt selbst seine geliebte Mutter gegen ihn stellt. Dabei verirrt er sich im nahe gelegenen Wald. Seine Zeit dort macht den Hauptteil des Romans aus: Im Wald trifft Sammy den aus einem Heim ausgebüxten Jungen Kevin. Schon wenn man Mazers Beschreibung von Kevins wildem Gesicht mit den verfilzten, fransigen Haaren, die ihm über die Augen fallen, gelesen hat, ahnt man, daß zwei derart unterschiedliche Jungens miteinander Probleme haben werden, sobald sie sich nur unterhalten. Und tatsächlich sind die beiden Kinder wie Feuer und Wasser. Der verängstigte Sammy bemüht sich, freundlich zu Kevin zu sein, der ihn aus Angst, Sammy würde ihn verraten, nicht mehr gehen läßt. Als er feststellt, was Sammy alles mit sich machen läßt, ohne aggressiv zu werden, entwickelt er einen geradezu sadistischen Spaß daran, ihn über Nacht zu fesseln, ihn am Weglaufen zu hindern und vor den hungrigen Augen seines Gefangenen Kuchen zu essen.
Doch an Sammys Arglosigkeit prallen selbst die ärgsten Späße ab, so daß es für Kevin keinen besonderen Lustgewinn bringt, ihn zu quälen. Sehr langsam, mit Rückschlägen und kleinen Streitereien, freunden die beiden ungewöhnlichen Außenseiter sich an, sie holen sich ihr Essen aus den Mülleimern einer nahen Siedlung, fangen Kaninchen; sie spielen Karten oder gehen baden.
In dieser gemeinsamen Zeit - bis Sammys Heimweh zu groß wird - lernen die beiden Wichtiges voneinander: Sammy, daß er zu mehr imstande ist, als seine Helfer jenseits der Waldgrenze glauben, und Kevin, daß nicht alle Menschen ihm Übles wollen. In Bruchstücken erzählt Kevin seine Geschichte, die von Armut und Vernachlässigung zeugt, und Harry Mazer zeigt auf sehr anrührende Weise, wie es dem behinderten Jungen gelingt, das Vertrauen des Heimkinds zu gewinnen. Dem amerikanischen Schriftsteller, der, zum Teil zusammen mit seiner Frau Norma, über hundert Kinder- und Jugendbücher geschrieben hat, sind mit den beiden Charakteren in "Der unsichtbare Junge" eindringliche Studien kindlicher Verstörung gelungen.
Silke Scheuermann
Harry Mazer: "Der unsichtbare Junge". Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Krutz-Arnold. Verlag Sauerländer, Aarau, 2000. 127 S., geb., 24,95 DM. Ab 12 J.
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