kannte, noch einen "Woyzeck", wie ihn Udo Samel im Frankfurter Schauspiel aufgeführt hat.
Karl Emil Franzos, im Revolutionsjahr 1848 in Czortków geboren, hat sich einen Namen gemacht mit seinen Geschichten über die ostjüdische Schtetl- und Gettowelt, die er nicht traditionell verklärte, sondern aus der Perspektive des aufgeklärten Humanisten ob ihrer Rückständigkeit kritisierte. Die geistige Enge der "Kotstädtchen" wollte er ausgerechnet in der Zeit des aufkommenden Antisemitismus aus dem Geist des deutschen Idealismus, mit Goethe und Lessing, überwinden.
Sein Opus magnum behielt er allerdings in der Schublade, wo seine Schwester den Roman posthum entdeckte und 1905 veröffentlichte. "Der Pojaz" erzählt das Leben eines ostgalizischen Komödianten namens Sender Glatteis, der es vom Sohn eines Hausierers und Geschichtenerzählers über das Fuhrmannshandwerk bis zur Rolle des Shylock bringt. Sein Weg zu Shakespeare gleicht bisweilen einem Spießrutenlauf, vor allem in der Schule. Nachdem er freilich das Theater in Czernowitz betreten und den weisen "Nathan" entdeckt hat, lernt er schließlich doch Deutsch: bei einem Wiener Legionär, den die Revolution nach Galizien verschlagen hatte.
Der jüdische Bajazzo stirbt früh. Aber die Romanfigur vom Rande des k. u. k. Imperiums mit seiner ethnischen Vielfalt hatte einen jüdischen Wanderschauspieler inspiriert, den Max Reinhardt entdeckte. Alexander Granach spielte Anfang 1933 den Mephisto im "Faust I" am Berliner Schauspielhaus und wurde nach Hitlers Machtübernahme durch Gustaf Gründgens ersetzt. Oskar Ansull hat nun mit seiner szenischen Lesung drei Porträts miteinander verknüpft: den "Pojaz" mit seinem geistigen Vater und mit seinem Vollender, der aus dem Land der von Franzos so verehrten Dichter und Denker fliehen mußte.
CLAUDIA SCHÜLKE
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