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Andre Green
Gebundenes Buch
Der Kastrationskomplex
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Der Kastrationskomplex
Produktdetails
- Verlag: edition diskord
- Seitenzahl: 157
- Abmessung: 190mm
- Gewicht: 209g
- ISBN-13: 9783892956112
- Artikelnr.: 06589228
Herstellerkennzeichnung
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Dann kommt der Schneider mit der Scher' . . .
André Green holt den Kastrationskomplex aus seinem Tornister
Die erste Pointe muß im Deutschen verlorengehen: "Der Kastrationskomplex" ist nämlich in Frankreich in der Reihe "Que sais-je" bei den Presses Universitaires de France erschienen; das heißt, daß der Text in das allgemeine Bildungsbewußtsein eingehen soll. Was weiß ich über den Kastrationskomplex? Green meint: Schande, ihr modernen Psychoanalytiker, ihr wißt nichts mehr davon oder wollt nichts davon wissen. Ich wiederum, André Green, habe keine Lust mehr, mich mit euren laxen Abweichlereien von der strikten Freudschen Lehre zu beschäftigen, deswegen öffne ich jetzt meinen Tornister und lege euch ein strenges
André Green holt den Kastrationskomplex aus seinem Tornister
Die erste Pointe muß im Deutschen verlorengehen: "Der Kastrationskomplex" ist nämlich in Frankreich in der Reihe "Que sais-je" bei den Presses Universitaires de France erschienen; das heißt, daß der Text in das allgemeine Bildungsbewußtsein eingehen soll. Was weiß ich über den Kastrationskomplex? Green meint: Schande, ihr modernen Psychoanalytiker, ihr wißt nichts mehr davon oder wollt nichts davon wissen. Ich wiederum, André Green, habe keine Lust mehr, mich mit euren laxen Abweichlereien von der strikten Freudschen Lehre zu beschäftigen, deswegen öffne ich jetzt meinen Tornister und lege euch ein strenges
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Altersbuch vor.
Das strenge, von Erika Kittler makellos übersetzte Buch ist ein schönes, mit Entschiedenheit und altmodischem Naturforscherpathos geschriebenes und doch auch wieder verwirrendes Buch. Es changiert zwischen hellsichtigen theoretischen Passagen und ernormem Formalismus, einer doktrinären Altersstarre, einhergehend mit Dissoziationen, die dem Ganzen wieder einen gewissen Charme verleihen, weil der Autor sich um die Vernähung der Fäden nicht weiter schert.
Nach einem fulminanten ersten Teil, in dem der Leser einen Überblick über die anthropologischen und biologischen Kastrationsdiskurse bekommt, zeichnet der zweite, der Kernteil, die Genesis von Freuds Theorie nach; im dritten Teil werden zeitgenössische Perspektiven gestreift. Für Green ist erst die psychoanalytische Theorie der Schlüssel, der eine Begriffsbildung erlaubt, die den Sinn der Kastration und ihrer für die Gesellschaft konstitutiven Symbolisierungen rettet. Ein treffenderer Titel als "Kastrationskomplex" wäre wohl gewesen: Ödipuskomplex und Kastrationsprinzip.
Green konstatiert die vielen theoretischen Brüche bei Freud. Indes wurde Freud sich zunehmend darüber klar, welche Rolle die Kastrationsangst spielt. Wäre nicht der Inzestwunsch die Lust der Lüste, dann bedürfte es nicht der Kastrationsdrohung. Sie bedeutet das Ende der Lust, führt zum Ödipuskomplex und ermöglicht damit, was Green die "doppelte Differenz" nennt: die Differenz der Geschlechter und der Generationen, sie ermöglicht Leben und Sterben. Insofern ist der "Kastrationskomplex" hauptsächlich ein Freud-Buch. Green zufolge hat Melanie Klein die psychoanalytische Theorie nicht einfach "um ein Kapitel" erweitert. Sie erfährt vielmehr eine "Mutation, die sie grundlegend verändert hat". Da Green Kleins Trouvaillen natürlich gleichzeitig auch bewundert, begnügt er sich mit einem non liquet: es bleibt offen, wie die präödipalen Entdeckungen der Melanie-Klein-Schule mit dem Ödipuskomplex, den Klein ja nie verleugnet, sondern bloß nicht behandelt hat, verbunden werden. Es bleibt offen, wie sich psychotische Angst mit ihren präödipalen Wurzeln zur Kastrationsangst verhält.
Hier benimmt sich der sonst so französische Green wie die Engländer, die verschiedene Theorieansätze ja unverbunden nebeneinander stehenlassen und dann doch wieder als glühende Anwälte des ehernen Gesetzes des Sexus auftreten, Napoleons Diktum über die Anatomie, die das Schicksal sei, bekräftigen und Freuds Entwicklung vom Aufklärer zum Rekonstrukteur der Gesellschaft hervorheben.
Auch wenn sein Freud-Plädoyer so schlüssig ist wie seine Kritik an Lacan und Lévi-Strauss, würde man doch gern erfahren, wie sich denn eigentlich die frühen Ängste der Mutterbeziehung in die ödipale Beziehung transformieren und wie die Hypostase des Vatermordwunsches sich mit dem Wunsch verträgt, den Vater auch als Bundesgenossen zu haben. Kurz, zu welchen Revisionen des zentralen Paradigmas der jüdisch-christlichen Tradition die historischen Veränderungen zwingen, fragt Green nicht. Statt dessen kehrt er zum liberalen Bündnis zwischen klinischer Praxis und politischer Aufklärung zurück, ohne die gegenwärtigen Bedingungen dieses Bündnisses zu beleuchten. Sosehr er Freud bewundern mag - dessen Schreibbewegung vollzieht er in seinem metatheoretischen, eher ins Philosophische gehenden Duktus nicht nach: Die Mischung von Metapsychologie und Deutungsvorgaben, die bei Freud die Spannung erst aufbaut, übergeht er. Hätte er sich darauf eingelassen, wäre er zwangsläufig dabei gelandet, als letzte Instanz der Theorie die Fälle selbst ins Zentrum zu stellen.
Am Schluß des Buches steht ein Bekenntnis zur Diesseitsreligion; es mutet insofern merkwürdig an, als Freud hier für etwas verantwortlich gemacht wird, was in Wirklichkeit eine uralte Vorgeschichte hat: nämlich das Lust-Unlust-Prinzip. Die hedonistischen Ethiken der griechischen Antike sind ein einziges Lust-Unlust-Rechnen; und in der Kathederpsychologie zu Freuds Zeiten war das Lust-Unlust-Prinzip der übliche Sammelbehälter, in den alles Psychische hineingeschüttet wurde. Mit seiner Überzeugung, daß sich das Leben eher genießen lasse, wenn man Lust aufzuschieben vermag, steht Freud also in einer ganz alten und in einer zeitgenössischen Tradition zugleich. Mit diesem Regulativ ist das Lust-Unlust-Prinzip der höchste private und der höchste zivilisatorische Wert; die Regulierung des Lebensgenusses erfolgt durch die segensreiche Wirksamkeit des Kastrationskomplexes.
Weil Inzest und Tod durch das "negative Symbol der Kastration" miteinander verbunden sind, lautet Greens "letztes Wort": "Darum sucht man die Lösung des Rätsels über das psychische Leben ebenso vergeblich in einem sogenannten ,Diesseits der Sexualität' wie in einem Jenseits von ihr." Das strenge Buch, dem man seine Bewunderung nicht versagen kann, wirkt übrigens bei allem Engagement für die Sexualität erstaunlich unerotisch. Ein über die Theorie hinausschießender Reiz stellt sich nicht einmal ex negativo im Sinne des Verbotenen ein, das uns "gerade scharf macht". Das enzyklopädische Prinzip ist der libidinösen Entdeckerfreude am Ende doch in die Quere gekommen. CAROLINE NEUBAUR
André Green: "Der Kastrationskomplex". Aus dem Französischen von Erika Kittler. edition diskord, Tübingen 1996. 157 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das strenge, von Erika Kittler makellos übersetzte Buch ist ein schönes, mit Entschiedenheit und altmodischem Naturforscherpathos geschriebenes und doch auch wieder verwirrendes Buch. Es changiert zwischen hellsichtigen theoretischen Passagen und ernormem Formalismus, einer doktrinären Altersstarre, einhergehend mit Dissoziationen, die dem Ganzen wieder einen gewissen Charme verleihen, weil der Autor sich um die Vernähung der Fäden nicht weiter schert.
Nach einem fulminanten ersten Teil, in dem der Leser einen Überblick über die anthropologischen und biologischen Kastrationsdiskurse bekommt, zeichnet der zweite, der Kernteil, die Genesis von Freuds Theorie nach; im dritten Teil werden zeitgenössische Perspektiven gestreift. Für Green ist erst die psychoanalytische Theorie der Schlüssel, der eine Begriffsbildung erlaubt, die den Sinn der Kastration und ihrer für die Gesellschaft konstitutiven Symbolisierungen rettet. Ein treffenderer Titel als "Kastrationskomplex" wäre wohl gewesen: Ödipuskomplex und Kastrationsprinzip.
Green konstatiert die vielen theoretischen Brüche bei Freud. Indes wurde Freud sich zunehmend darüber klar, welche Rolle die Kastrationsangst spielt. Wäre nicht der Inzestwunsch die Lust der Lüste, dann bedürfte es nicht der Kastrationsdrohung. Sie bedeutet das Ende der Lust, führt zum Ödipuskomplex und ermöglicht damit, was Green die "doppelte Differenz" nennt: die Differenz der Geschlechter und der Generationen, sie ermöglicht Leben und Sterben. Insofern ist der "Kastrationskomplex" hauptsächlich ein Freud-Buch. Green zufolge hat Melanie Klein die psychoanalytische Theorie nicht einfach "um ein Kapitel" erweitert. Sie erfährt vielmehr eine "Mutation, die sie grundlegend verändert hat". Da Green Kleins Trouvaillen natürlich gleichzeitig auch bewundert, begnügt er sich mit einem non liquet: es bleibt offen, wie die präödipalen Entdeckungen der Melanie-Klein-Schule mit dem Ödipuskomplex, den Klein ja nie verleugnet, sondern bloß nicht behandelt hat, verbunden werden. Es bleibt offen, wie sich psychotische Angst mit ihren präödipalen Wurzeln zur Kastrationsangst verhält.
Hier benimmt sich der sonst so französische Green wie die Engländer, die verschiedene Theorieansätze ja unverbunden nebeneinander stehenlassen und dann doch wieder als glühende Anwälte des ehernen Gesetzes des Sexus auftreten, Napoleons Diktum über die Anatomie, die das Schicksal sei, bekräftigen und Freuds Entwicklung vom Aufklärer zum Rekonstrukteur der Gesellschaft hervorheben.
Auch wenn sein Freud-Plädoyer so schlüssig ist wie seine Kritik an Lacan und Lévi-Strauss, würde man doch gern erfahren, wie sich denn eigentlich die frühen Ängste der Mutterbeziehung in die ödipale Beziehung transformieren und wie die Hypostase des Vatermordwunsches sich mit dem Wunsch verträgt, den Vater auch als Bundesgenossen zu haben. Kurz, zu welchen Revisionen des zentralen Paradigmas der jüdisch-christlichen Tradition die historischen Veränderungen zwingen, fragt Green nicht. Statt dessen kehrt er zum liberalen Bündnis zwischen klinischer Praxis und politischer Aufklärung zurück, ohne die gegenwärtigen Bedingungen dieses Bündnisses zu beleuchten. Sosehr er Freud bewundern mag - dessen Schreibbewegung vollzieht er in seinem metatheoretischen, eher ins Philosophische gehenden Duktus nicht nach: Die Mischung von Metapsychologie und Deutungsvorgaben, die bei Freud die Spannung erst aufbaut, übergeht er. Hätte er sich darauf eingelassen, wäre er zwangsläufig dabei gelandet, als letzte Instanz der Theorie die Fälle selbst ins Zentrum zu stellen.
Am Schluß des Buches steht ein Bekenntnis zur Diesseitsreligion; es mutet insofern merkwürdig an, als Freud hier für etwas verantwortlich gemacht wird, was in Wirklichkeit eine uralte Vorgeschichte hat: nämlich das Lust-Unlust-Prinzip. Die hedonistischen Ethiken der griechischen Antike sind ein einziges Lust-Unlust-Rechnen; und in der Kathederpsychologie zu Freuds Zeiten war das Lust-Unlust-Prinzip der übliche Sammelbehälter, in den alles Psychische hineingeschüttet wurde. Mit seiner Überzeugung, daß sich das Leben eher genießen lasse, wenn man Lust aufzuschieben vermag, steht Freud also in einer ganz alten und in einer zeitgenössischen Tradition zugleich. Mit diesem Regulativ ist das Lust-Unlust-Prinzip der höchste private und der höchste zivilisatorische Wert; die Regulierung des Lebensgenusses erfolgt durch die segensreiche Wirksamkeit des Kastrationskomplexes.
Weil Inzest und Tod durch das "negative Symbol der Kastration" miteinander verbunden sind, lautet Greens "letztes Wort": "Darum sucht man die Lösung des Rätsels über das psychische Leben ebenso vergeblich in einem sogenannten ,Diesseits der Sexualität' wie in einem Jenseits von ihr." Das strenge Buch, dem man seine Bewunderung nicht versagen kann, wirkt übrigens bei allem Engagement für die Sexualität erstaunlich unerotisch. Ein über die Theorie hinausschießender Reiz stellt sich nicht einmal ex negativo im Sinne des Verbotenen ein, das uns "gerade scharf macht". Das enzyklopädische Prinzip ist der libidinösen Entdeckerfreude am Ende doch in die Quere gekommen. CAROLINE NEUBAUR
André Green: "Der Kastrationskomplex". Aus dem Französischen von Erika Kittler. edition diskord, Tübingen 1996. 157 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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