und stiller Beharrlichkeit betreibt, eine willkommene Bereicherung dieses einschlägigen Rollenfachs. Der späte Gian Maria Volonté wäre die ideale Besetzung gewesen.
Neben Scalzi agiert eine Figur, deren Geschicke den Fall des Anwalts unmittelbar betreffen, ohne daß sich die Wege der beiden jemals kreuzen. Mit ihm, Natale, fängt alles an. Der ehemalige Pferdezüchter verdient sein Geld auf dem Besitz des Dottore Gambassi und hilft beim Bau einer Schnellstraße, die in dieser Gegend eigentlich niemand braucht. Als er eines Abends allein arbeitet, bricht er plötzlich mit dem Radlader ein und wird von der Erde verschluckt. Nur leicht verletzt, doch durch den Schock wie gelähmt, findet sich Natale in einem Höhlensystem wieder, das in alten Zeiten als Kultstätte gedient haben muß. Vor allem aber entdeckt er einen Schatz: die von Gambassi verwahrten Drogengelder der 'Ndrangheta, der kalabrischen Mafia.
Das ist, in aller Kürze, die Geschichte. Scalzi kommt ins Spiel, als er einen ägyptischen Archäologen verteidigen soll, der durch eine Intrige ins Gefängnis geriet, nachdem er dem Depot der Mafia ebenfalls auf die Spur gekommen war. Dabei hatte er nur die Zeichen zu lesen verstanden. Das Gelände oberhalb der Höhlen ist übersät mit behauenen Steinen, die aussehen wie Kapuzenmänner, und die Straßenarbeiten fördern ständig neue Blöcke zutage. Sie sind, was eine Nebenfigur einmal "das ungewöhnliche Detail" dieses Falles nennt: Zeugnisse einer untergründigen, einer im buchstäblichen Sinne "verschütteten" Wahrheit, deren Spur durch die Anlage einer schönen glatten Schnellstraße für alle Zeit getilgt werden soll.
Es sind diese symbolhaften Steine, die dem Kriminalfall seine zeitkritische und "metaphysische" Ebene sichern. Filastò unterstreicht diese Bezüge durch formale Mittel, von denen die Wahl der Erzählzeit das wirkungsvollste ist. Dieser Roman ist durchgehend im Präsens geschrieben. Der Effekt, mit dem das geistesverwandte Autorenpaar Fruttero und Lucentini ebenfalls experimentiert hat, ist eine fast erdrückende Unmittelbarkeit, die Akteure und Leser jederzeit auf gleicher Höhe hält. Das Geschehen vollzieht sich sprunghaft und szenisch, so daß die Ereignisse nicht direkt wiedergegeben, sondern auf eine manchmal recht umständliche Art aus zweiter Hand berichtet werden müssen.
Die Stärke des Verfahrens ist freilich ebenso offensichtlich. Nicht nur spektakuläre Aktionen, sondern auch sachliche Einzelheiten: Protokolle, Dialoge, Beschreibungen, präsentieren sich direkt und voller Intensität. Es entsteht eine Atmosphäre, wie man sie aus den ältesten Erzählungen kennt. Mythisch und archaisch ist die Unaufhaltsamkeit des Geschehens, mythisch und archaisch ist die Gewalt, die sich mit aller Drastik entlädt und doch so folgerichtig und selbstverständlich erscheint wie nur irgendeine Alltäglichkeit.
Filastòs Roman bietet unzählige Akteure auf und kennt am Ende nur Statisten. Sie alle erscheinen als Figuren in einem vielschichtigen, doch anonymen Spiel. Herausgehoben sind allein Natale und Scalzi. Auch sie vermögen dem Schicksal nicht zu trotzen, doch sie haben es auf ihrer Seite. Natale, der um sein Leben kämpft, findet zufällig einen ungeheuren Schatz. Scalzi, der von allen und selbst von seinem Mandanten getäuscht wird, entwirrt die Fäden der Geschichte. Auch dies geschieht zufällig, wie so vieles in diesem Roman, der von einer Welt erzählt, in der Logik und Archaik ineinandergleiten. Einsam sind die Tapferen. RALF KONERSMANN
Nino Filastò: "Der Irrtum des Dottore Gambassi." Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Julia Schade. Aufbau Verlag, Berlin 1997. 414 S., geb., 46,- DM.
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