-, ein solches Schicksal fällt aus dem Fernsehen von vorneherein heraus.
Nicht so bei Plasberg. Zunächst: Plasberg hat das Wörtchen "brauchbar" nur zitiert. Und zwar an der Stelle seines Buches "Der Inlandskorrespondent", wo er sich an die Einführung von Hartz IV erinnert: "Arbeitsloseninitiativen und Schuldnerberatungen bekamen hektische Anrufe der Medien, die nach brauchbaren Schicksalen für ihre Berichterstattung fahndeten." Es ist völlig selbstverständlich, dass jeder Dramaturg - und Journalisten sind auch Dramaturgen - nach Stoffen greift, mit denen sich eine Geschichte erzählen lässt, und dass er andere Stoffe, mit denen sich keine Geschichte erzählen lässt, links liegenlässt. Das kann man dem Jornalisten nicht vorhalten, das gehört zum Einmaleins des Handwerks. Die Frage ist allein, ob der Handwerker das Handwerk im Griff hat oder ob es umgekehrt ist: ob das Handwerk den Handwerker im Griff hat. Im letzteren Fall spricht man von déformation professionnelle.
Plasberg ist - bis jetzt - von derlei Deformation frei. Er hat sich die Fähigkeit erhalten, hinter seine Geschichten zurückzutreten und sie gleichwohl anzuleiten. Ihn interessieren die Schicksale, mit denen er beruflich zu tun hat, nicht als Techniker einer fertigen Dramaturgie, sondern als Künstler, der sich durch seinen Stoff verblüffen lässt und die dramaturgische Vorlage im Zweifel auch über den Haufen schmeißen kann, wenn die Schicksale nach einer anderen Dramaturgie als der vorbereiteten verlangen. Ebendeshalb darf man Plasberg einen begnadeten Dramaturgen nennen. Das ist jedenfalls der Eindruck, wenn man regelmäßig seine Sendung "Hart aber fair" sieht, die glücklicherweise demnächst ins Hauptprogramm der ARD kommen wird. Und das ist auch der Eindruck, den man gewinnt, wenn man Plasbergs Buch "Der Inlandskorrespondent" liest, ein Buch, in dem er besonders aussagekräftige Geschichten, die er für das Fernsehen recherchierte, uns noch einmal in schriftlicher Form vorstellt und kommentiert.
"Manchmal lohnt es sich", schreibt er in diesem Buch, "genauer hinzuschauen und vor allem über einen längeren Zeitraum, damit ein Beispiel mehr als einen flüchtigen Eindruck oder nur einen Beleg für eine vorgefasste Meinung liefert." Es ist dieser genaue Blick, der Plasbergs Sendungen auszeichnet, sein Wille, herauszubekommen, wie sich ein Fall in Wirklichkeit verhält - jenseits von den Stimmungen der politischen Korrektheit und völlig unabhängig von der im Grunde ja sehr unjournalistischen Ansicht, wonach eine Story schon dann als gelungen gilt, wenn sie sich als juristisch wasserdicht erweist. "Wer das Interesse der Zuschauer an Themen mit Gesprächswert befriedigen will, der muss eben selbst Lust an Geschichten und vor allem am Weitererzählen haben. Und genau da fängt im Fernsehen das Problem oft an: Ist die Story einfach und plastisch genug, um sie kompakt erzählen zu können? Oft heißt die Antwort: ,Toller Stoff, funktioniert aber nicht bei uns.'". Das Tolle an Plasberg ist, dass er sich durch solche Antworten nicht ins Boxhorn jagen lässt. Er realisiert immer wieder auch Storys, die bei anderen nicht funktionieren würden. Das vorliegende Buch gibt davon beredte, bisweilen atemlos machende Zeugnisse.
Eine einzige dieser faszinierenden Geschichten ist nicht verfilmt worden, steht also nur im Buch. Es ist die Geschichte, die unter der Überschrift "Wo kommen wir denn da hin?" zugleich von hoher literarischer Qualität ist. Erzählt wird darin der Leidensweg des Unternehmensberaters Thomas W., der im Bemühen, in eigener Regie ein Wohnatelier für seine Familie und seine Arbeit zu bauen, tief in den Sumpf der widersinnigen Behördenlogik gerät. Aber diese Geschichte blieb nicht etwa deshalb unverfilmt, weil sie Plasberg zu komplex gewesen wäre - sie ist wahrhaftig komplex! -, sondern weil ihre Hauptfigur um Vertrauensschutz gebeten hat und diesen Schutz auch erhielt.
Mit anderen Worten: Plasberg gehört nicht zu den Recherchemaschinen, nicht zu jenen Getriebenen, die heute euphorisch eine Geschichte hochziehen, die sie morgen schon wieder vergessen haben. Er lässt es sich nicht nehmen, seine Geschichten auch zu durchdenken, Spielraum für ein Urteil zu gewinnen, das über den Tag hinaus Bestand hat. Deshalb macht er mit den Schicksalen, die ihm begegnen, nicht einfach kurzen professionellen Prozess, sondern lässt sie in ihren Widersprüchen zu Wort kommen, gewichtet, was an ihnen verallgemeinerungsfähig ist und was gerade nicht. "In politischen Diskussionen", schreibt er, "können Beispiele trotz ihrer Beliebigkeit wichtige Argumente sein. Sie ersetzen keine Statistiken, und sie widerlegen keine Konzepte, aber sie erinnern Volksvertreter daran, warum sie so heißen. Gerade dann, wenn Politiker auf Automatik schalten und ihre Mauer vorgefertigter Textbausteine aufschichten, können Beispiele etwas Wohltuendes bei ihnen auslösen: sprachloses Erstaunen. Das sind - auch wenn sie selbst es vielleicht anders empfinden - nicht ihre schlechtesten Momente. Ich gebe gerne zu, dass ich diebische Freude empfinde, wenn ich erlebe, wie eine mit hohem Erregungspegel geführte Diskussion aus den Höhen politischer Rhetorik durch ein lebendiges Beispiel auf den Boden der Tatsachen zurückstürzt."
Es ist diese diebische Freude, die sich den Zuschauern von "Hart aber fair" ebenso mitteilt wie den Lesern dieses Buches. Bei alledem vermeidet Plasberg jedes Gewese um "Betroffenheit". Er nähert sich den Betroffenen nicht mit der Betulichkeit der "Einfühlung", die aus manchem Fernsehmoderator einen Anstandswauwau macht. Plasberg legt es nicht darauf an, in seinen Gesprächspartnern "Vertrauen aufzubauen", er interessiert sich einfach für sie. Deshalb vertrauen sie ihm. Deshalb schauen wir ihm zu. Und können ihn - in diesem Buch hier - jetzt auch lesen.
Frank Plasberg: "Der Inlandskorrespondent". Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft. Mit Klaus Frings. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 200 S., geb., 14,80 [Euro].
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