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Der grosse Gatsby
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Produktdetails
- Verlag: Ullstein Buchverlage
- ISBN-13: 9783550101540
- Artikelnr.: 28994080
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Der Engel als Lohnschreiber
Finanzen und Nachruhm des F. Scott Fitzgerald
In der amerikanischen Volkskultur hat F. Scott Fitzgerald einen sicheren, staubfreien Platz: Man pflegt ihn als Ausstattungsstück der "Roaring Twenties", und am liebsten denkt man ihn sich als blonden Engel, der strahlend über der wüsten Szene schwebt und am Ende eindrucksvoll in die Tiefe stürzt. Bis heute verstellt die spektakuläre Schauseite seiner Existenz den Blick auf den Literaten, was nicht zuletzt an den armselig geschriebenen Biographien liegt, in denen ehrfürchtig leere Flaschen gezählt und nostalgische Ortsbegehungen durchgeführt werden.
Francis Scott Fitzgerald wurde am 24. September 1896 in St. Paul/Minnesota geboren.
Finanzen und Nachruhm des F. Scott Fitzgerald
In der amerikanischen Volkskultur hat F. Scott Fitzgerald einen sicheren, staubfreien Platz: Man pflegt ihn als Ausstattungsstück der "Roaring Twenties", und am liebsten denkt man ihn sich als blonden Engel, der strahlend über der wüsten Szene schwebt und am Ende eindrucksvoll in die Tiefe stürzt. Bis heute verstellt die spektakuläre Schauseite seiner Existenz den Blick auf den Literaten, was nicht zuletzt an den armselig geschriebenen Biographien liegt, in denen ehrfürchtig leere Flaschen gezählt und nostalgische Ortsbegehungen durchgeführt werden.
Francis Scott Fitzgerald wurde am 24. September 1896 in St. Paul/Minnesota geboren.
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Als Kind war er sehr hübsch und außerordentlich unsympathisch. Fitzgerald père, der sich ohne Erfolg in der Herstellung von Korbmöbeln versucht hatte, verlor seinen Posten als Handlungsreisender für die Firma Procter & Gamble, als sein Sohn zwölf Jahre alt war. Die ehrgeizige Mutter fing das wirtschaftliche Versagen auf: Sie erbte genug Geld, um den Siebzehnjährigen nach Princeton zu schicken, und vermutlich weckte sie in ihm nicht nur die Gier nach gesellschaftlicher Anerkennung, sondern auch die ungute Neigung zu Posen und Angeberei. Besonders litt Fitzgerald darunter, daß er wegen seiner geringen Größe und seines zarten Körperbaus immer ein mäßiger Sportler blieb; bis zum Ende seines Lebens sah er sich in seinen Träumen als Kapitän der Football-Mannschaft.
Die Ursituation seines späteren literarischen Werks ist schlicht. Sie besteht darin, daß ein Junge aus dem Mittleren Westen auszieht, um eine wunderschöne Frau aus reichem Hause zu gewinnen. In Fitzgeralds Fall ist die Erfüllung des Traums so direkt mit dem Schreiben verbunden, daß sie eher an einen leicht anrüchigen Handel denken läßt: Im März 1920 nämlich veröffentlicht der Scribner-Verlag seinen Debütroman "Diesseits vom Paradies", dessen erste Auflage innerhalb von vierundzwanzig Stunden verkauft ist; sieben Tage später heiratet Fitzgerald die verwöhnte Südstaaten-Schönheit Zelda Sayre, die ihn ein Jahr zuvor abblitzen ließ, weil er ihr nichts zu bieten hatte.
Für alle, die mitfeiern dürfen, sind Scott und Zelda das paradigmatische Paar der zwanziger Jahre. Tatsächlich betreiben die beiden, die auf irritierende Weise wie Bruder und Schwester aussehen, ihren Ruin erst miteinander, dann gegeneinander. Bis zum Börsenkrach und dem endgültigen Ausbrechen von Zeldas unheilbarer Geisteskrankeit bleiben ihnen neun Jahre, eine Zeit, in der sie Parties geben, Rolls-Royce fahren, heftig streiten - und zu Alkoholikern werden.
Es ist schwer, sich in Zeiten des Sparpakets die Verführung vorzustellen, die in Fitzgeralds schnellem Erfolg gelegen haben muß. Sein Geburtsjahr markiert den Beginn einer neuen Epoche. Die Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents ist abgeschlossen, das letzte leere Land umzäunt, die amerikanischen Städte wachsen zu Metropolen. In New York wird das erste Kino eröffnet, und zum ersten Mal erklingt der Ragtime. Fitzgerald pflegte zu scherzen, er hüpfe dem neuen Jahrhundert stets vier Jahre voraus, doch er hatte genau zum richtigen Zeitpunkt die Bühne betreten: unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, der ihn nicht interessierte und von dessen Folgen er profitierte wie kein anderer Schriftsteller seiner Generation.
Aus literarischen Gründen muß man "Diesseits vom Paradies" nicht unbedingt lesen, ebensowenig wie Fitzgeralds zweiten Roman "Die Schönen und Verdammten" von 1922. Doch diese episodenhaften, stilistisch unebenen period pieces verraten, wie entschieden sich die neue Generation von der alten absetzt. Ihr Lebensgefühl, das den Viktorianismus des späten neunzehnten Jahrhunderts auf den Kopf stellt, läßt sich dank der wirtschaftlichen Prosperität nach dem Ersten Weltkrieg rasch kommerzialisieren und in Gestalt von Mode und Kosmetik in die Konsumentenkultur zurückleiten. Scott Fitzgerald ist so jung wie das Publikum, für das er schreibt. Seine Figuren rauchen, trinken, tanzen und hören Jazz. Nach Zelda modelliert er den "Flapper": Der neue Frauentyp benutzt Lidschatten und grellen Lippenstift, trägt gerade geschnittene Röcke, Bubikopf und gibt sich so blasiert wie unmoralisch.
Die schönsten Hemden des Abendlandes.
Könnte man sich Fitzgeralds Leben anders wünschen, würde man um mehr Ruhe bitten. Dem Achtundzwanzigjährigen genügen1924 zehn ungestörte Monate in Paris, um sein Meisterwerk "Der große Gatsby" zu schreiben. Den entscheidenden Impuls verdankt er Joseph Conrad. Im Vorwort zum "Nigger von der Narcissus" heißt es, der Romanautor müsse mit seiner Sprache an alle Sinne appellieren; nur durch die "vollkommene Einheit von Form und Substanz" könne "das Licht magischer Suggestionskraft die banale Oberfläche der Worte für einen flüchtigen Augenblick überspielen".
Eine treffendere Beschreibung der ästhetischen Wirkung des "Gatsby" ist schwer denkbar. Wie nach einem schweren Rausch, der grelle, beunruhigend wiederkehrende Visionen verursacht, erinnert sich der Erzähler des Romans an jenen Sommer, in dem er die Bekanntschaft Gatsbys macht, eines Mannes, dessen Aufstieg im dunkeln liegt und der seine fabelhaften Parties für Hunderte von Fremden nur gibt, um eine Frau wiederzugewinnen, die ihn fünf Jahre zuvor um eines Reicheren willen verlassen hat. Gatsby, der Mann, der sich selbst erschuf, besitzt jene Unschärfe, die ihm inmitten von Oberflächlichkeit und Vulgarität einen romantischen Zauber beläßt. Daß seine Jugendliebe Daisy Buchanan seine Anstrengungen nicht wert ist, daß sie vielmehr genau den Dummkopf verdient, den sie zum Mann hat, tut nichts zur Sache. Fitzgeralds so klingender wie geschmeidiger Stil verwandelt die ganze Szenerie; und er macht die Figuren zu komplexeren Persönlichkeiten, als ihren mehrheitlich unangenehmen Charakteren auf den ersten Blick zuzutrauen wäre. Komplizenhaft steht die Sprache des Buchs im Dienst einer durch verschwenderischen Reichtum erzeugten Illusion, die alle Figuren blendet und manche von ihnen zerstört.
Berühmt ist die Szene, als es Gatsby gelungen ist, Daisy unter Stammeln und Herzklopfen in seinen Palast zu locken. Er will ihr vorführen, was er in den Jahren des Wartens gekauft und arrangiert hat; das Ensemble soll Gatsbys Liebe so vollkommen beglaubigen, wie seine Worte es nicht können. Nachdem alles gezeigt ist, was sich zeigen läßt, der Garten, das herrschaftliche Portal, die Treppenaufgänge, die zahlreichen Schlafzimmer, öffnet Gatsby zwei imposante Wandschränke, nimmt in großen Stapeln seine Hemden heraus und wirft sie eines nach dem anderen auf den Tisch: Leinen, Seide, feinen Flanell, mit phantastischen Mustern, mit Streifen oder Karos. Während Daisy noch die einen bewundert, lassen schon die nächsten den üppigen, vielfarbigen Haufen höher wachsen - bis die Umworbene "mit einem gequälten Laut" ihren Kopf in die Hemden wühlt und hemmungslos zu weinen beginnt: ",So wundervolle Hemden', schluchzte sie halb erstickt aus den Falten hervor. "Es macht mich ganz traurig, ich habe im Leben nicht solche - solche wundervollen Hemden gesehen.'"
,Der große Gatsby" handelt von der Vergänglichkeit. Stets mahnen Uhren an die verrinnende Zeit, und über vierhundert Zeitwörter geben der Darstellung von Ennui und Materialismus einen moralischen Ernst, der Fitzgeralds Einschätzung, er sei im Grunde ein "Prediger", gerechtfertigt erscheinen läßt. Daß der Autor den Höhepunkt seiner Kunst erreicht hat, begreifen zumindest seine Schriftstellerkollegen. T. S. Eliot schreibt in einem Brief, für ihn sei "Der große Gatsby" der erste Schritt, den der amerikanische Roman seit Henry James getan habe. Und Jean Cocteau läßt durch seinen französischen Übersetzer ausrichten, "Gatsby" sei "ein göttliches Buch".
Das göttliche Buch bringt seinem Autor kaum etwas ein. Daß sich Romane finanziell nicht lohnen, wird zum Grundmuster seiner Arbeit. Der nächste Versuch, "Zärtlich ist die Nacht", läßt neun Jahre auf sich warten. Fitzgerald kann mit Geld nicht umgehen, und in dieser Beziehung richtet die Heirat mit Zelda ein Desaster an. Die Verwaltung der Finanzen liegt in den Händen seines literarischen Agenten Harold Ober, der immense Summen zur Verfügung stellt, auch wenn ihnen keine entsprechenden Einkünfte gegenüberstehen. Auf diese Weise gleitet Fitzgerald unmerklich in eine Verschwendung, die ihn zwingt, minderwertige Geschichten für Magazine zu schreiben.
Die Einkünfte aus seiner Arbeit, die er im einen Augenblick als handwerkliche Schulung verteidigt, dann wieder als Lohnschreiberei denunziert, kennen wir auf Dollar und Cent genau. Um sich zu einer gewissen Ausgabendisziplin zu erziehen, legt Fitzgerald ein großformatiges Hauptbuch an, das er von den frühen zwanziger Jahren bis 1937 gewissenhaft führt - ein bemerkenswertes Dokument, das sowohl der Literatur- wie der Sozialgeschichte angehört. Es enthält zum Beispiel eine vollständige, detaillierte Liste von Fitzgeralds Werken, darunter rund 160 Kurzgeschichten. Eingetragen wurden Datum oder Zeitraum der Entstehung, der Name des Magazins, in dem sie erschienen, und das Datum der Veröffentlichung. Die letzte Spalte gibt an, was mit der jeweiligen Erzählung geschehen sollte - ob sie für würdig befunden wurde, in einen Sammelband aufgenommen zu werden oder nicht.
In letzterem Fall gab es zwei Möglichkeiten: Waren Teile, Motive oder Formulierungen für einen Roman noch zu gebrauchen, wurde die Erzählung ausgenommen wie ein altes Autowrack, und die geretteten Teile wanderten zur späteren Verwendung in separate Notizbücher. Andernfalls lautete der Vermerk lakonisch: "endgültig begraben". Der zweite Teil des Hauptbuches verzeichnet das Einkommen jedes Jahres, aufgesplittert in sämtliche Einzelzahlungen, Vorschüsse, Honorare und Tantiemen. Ein dritter Teil ordnet das Ganze chronologisch und bildet eine Art Autobibliographie, aus der sich ersehen läßt, in welchem Rhythmus Fitzgerald schrieb und wie sich seine Popularität in Zeitschriftenhonoraren niederschlug. Schwankten sie 1920 noch zwischen 35 und 900 Dollar pro Erzählung, kletterten sie 1922 über die 1000-Dollar-Marke und erreichten 1925 zum ersten Mal 2000 Dollar. (Um die heutige Kaufkraft zu ermessen, multipliziere man die Zahlen mit sieben.)
Gelitten und gestorben wie ein alter Mann.
Es war nichts Ehrenrühriges, für die slicks, die Hochglanzmagazine, zu schreiben. Doch bei Fitzgeralds Lebensstil war die Bindung an die führenden (also zahlungskräftigsten) Zeitschriften schiere finanzielle Notwendigkeit. Der Hauptabnehmer war das populäre, moralisch konservative Wochenmagazin Saturday Evening Post, dessen Auflage zwischen 1899 und 1937 auf über drei Millionen Exemplare anschwoll. In siebzehn Jahren veröffentlichte Fitzgerald 65 Geschichten in der Post; einige seiner besten wie "Vertrackter Sonntag" wurden abgelehnt. 1929 hatte sein Honorar pro Text 4000 Dollar erreicht, also gut drei Jahresgehälter eines Industriearbeiters oder den Gegenwert von 130000 Eiern (Erzeugerpreis). Er hielt dieses Honorar ohne Mühe weit über den Börsenkrach hinaus bis in das Jahr 1932. Der Markt spricht über den Künstler Fitzgerald ein klares Urteil: Während er im Jahre 1929 mit acht Erzählungen für die Post 30000 Dollar verdient, bringen ihm sämtliche Bücher zusammen nur 31,77 Dollar ein. "Der große Gatsby" schlägt mit 5,10 Dollar zu Buche.
Fitzgeralds Abstieg ist oft beschrieben worden, meist zu seinem Nachteil - Alkohol-Exzesse, Prügeleien und der anschließende Kater ergeben keine schöne Geschichte. Für Zeldas Pflege im Sanatorium und die Ausbildung seiner Tochter Scottie sorgt er allerdings bis zu seinem Ende. Nachdem die Honorare bei der Post kontinuierlich gesunken sind, druckt die Zeitschrift ab 1937 nichts mehr von ihm. Esquire, der neue Abnehmer, reißt ihm zwar alles aus der Hand, zahlt aber nur 250 Dollar pro Geschichte. 1937 läßt er sich nach Hollywood locken. Er ist nicht der erste großartige Schriftsteller, der in der Filmindustrie kläglich versagt; sein Name taucht nur im Abspann eines einzigen Films auf. Trotz erwiesener Erfolglosigkeit wird er im Januar 1939 noch einmal engagiert, um bei "Vom Winde verweht" die Dialoge zu bearbeiten. Eine absurde Bedingung zwingt ihn, ausschließlich Wörter zu verwenden, die auch in Margaret Mitchells Roman vorkommen. Will er eine neue Dialogzeile erfinden, muß er die Vorlage wie das Evangelium nach heiligen Wörtern absuchen.
Dennoch setzt sich in den letzten vierzehn Monaten seines Lebens, als die körperlichen Reserven fast verbraucht sind, der Romanschriftsteller wieder gegen den Lohnschreiber durch. Der Beweis ist der unvollendete Roman "Der letzte Tycoon", dessen stilistische Qualität stellenweise so berauschend ist, daß man ihn getrost an die zweite Stelle hinter "Gatsby" setzen kann. Das Buch erzählt von dem genialen, arbeitsbesessenen Filmproduzenten Monroe Stahr und dessen Liebe zu einer Frau, die für kurze Zeit an die Stelle der verstorbenen ersten zu treten scheint; doch Stahr, trotz seiner Skrupellosigkeit der rätselhafte Vertreter einer unberührbaren privaten Moral, läßt die Gelegenheit verstreichen.
Zeitgenossen hatten keine Mühe, in Fitzgeralds Figur Irving Thalberg zu erkennen, der mit zwanzig die Universal Studios leitete und mit vierundzwanzig Mitbegründer von Metro Goldwyn Mayer wurde, wo er für fünfzig Filme pro Jahr verantwortlich zeichnete. Zum romantischen Helden prädestinierte Thalberg, daß er jünger war als Fitzgerald selbst, noch früher Erfolg gehabt hatte - und wegen eines Herzfehlers wahrscheinlich früher sterben würde.
Die Idee des Romans überlebt beide. Scott Fitzgerald stirbt am 21. Dezember 1940, im Alter von vierundvierzig Jahren, in Los Angeles an seinem dritten Herzinfarkt. Die makabre Kunst des Bestattungsunternehmers verschafft dem aufgebahrten Leichnam unziemlich frische Wangen, die so kräftig leuchten, daß ein Zeuge schreibt, nur an den kleinen, faltigen Händen sei zu erkennen, daß Fitzgerald wie ein alter Mann gelitten habe und als alter Mann gestorben sei. Die Tantiemen dieses Jahres betragen 13,13 Dollar. Die Nachrufe behandeln ihn herablassend, als zerschlissenes Requisit einer endgültig versunkenen Ära. Heute ist "Der große Gatsby" Pflichtlektüre an Schulen und Universitäten. Jahr für Jahr werden in Amerika über dreihunderttausend Exemplare verkauft.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Ursituation seines späteren literarischen Werks ist schlicht. Sie besteht darin, daß ein Junge aus dem Mittleren Westen auszieht, um eine wunderschöne Frau aus reichem Hause zu gewinnen. In Fitzgeralds Fall ist die Erfüllung des Traums so direkt mit dem Schreiben verbunden, daß sie eher an einen leicht anrüchigen Handel denken läßt: Im März 1920 nämlich veröffentlicht der Scribner-Verlag seinen Debütroman "Diesseits vom Paradies", dessen erste Auflage innerhalb von vierundzwanzig Stunden verkauft ist; sieben Tage später heiratet Fitzgerald die verwöhnte Südstaaten-Schönheit Zelda Sayre, die ihn ein Jahr zuvor abblitzen ließ, weil er ihr nichts zu bieten hatte.
Für alle, die mitfeiern dürfen, sind Scott und Zelda das paradigmatische Paar der zwanziger Jahre. Tatsächlich betreiben die beiden, die auf irritierende Weise wie Bruder und Schwester aussehen, ihren Ruin erst miteinander, dann gegeneinander. Bis zum Börsenkrach und dem endgültigen Ausbrechen von Zeldas unheilbarer Geisteskrankeit bleiben ihnen neun Jahre, eine Zeit, in der sie Parties geben, Rolls-Royce fahren, heftig streiten - und zu Alkoholikern werden.
Es ist schwer, sich in Zeiten des Sparpakets die Verführung vorzustellen, die in Fitzgeralds schnellem Erfolg gelegen haben muß. Sein Geburtsjahr markiert den Beginn einer neuen Epoche. Die Besiedlung des nordamerikanischen Kontinents ist abgeschlossen, das letzte leere Land umzäunt, die amerikanischen Städte wachsen zu Metropolen. In New York wird das erste Kino eröffnet, und zum ersten Mal erklingt der Ragtime. Fitzgerald pflegte zu scherzen, er hüpfe dem neuen Jahrhundert stets vier Jahre voraus, doch er hatte genau zum richtigen Zeitpunkt die Bühne betreten: unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, der ihn nicht interessierte und von dessen Folgen er profitierte wie kein anderer Schriftsteller seiner Generation.
Aus literarischen Gründen muß man "Diesseits vom Paradies" nicht unbedingt lesen, ebensowenig wie Fitzgeralds zweiten Roman "Die Schönen und Verdammten" von 1922. Doch diese episodenhaften, stilistisch unebenen period pieces verraten, wie entschieden sich die neue Generation von der alten absetzt. Ihr Lebensgefühl, das den Viktorianismus des späten neunzehnten Jahrhunderts auf den Kopf stellt, läßt sich dank der wirtschaftlichen Prosperität nach dem Ersten Weltkrieg rasch kommerzialisieren und in Gestalt von Mode und Kosmetik in die Konsumentenkultur zurückleiten. Scott Fitzgerald ist so jung wie das Publikum, für das er schreibt. Seine Figuren rauchen, trinken, tanzen und hören Jazz. Nach Zelda modelliert er den "Flapper": Der neue Frauentyp benutzt Lidschatten und grellen Lippenstift, trägt gerade geschnittene Röcke, Bubikopf und gibt sich so blasiert wie unmoralisch.
Die schönsten Hemden des Abendlandes.
Könnte man sich Fitzgeralds Leben anders wünschen, würde man um mehr Ruhe bitten. Dem Achtundzwanzigjährigen genügen1924 zehn ungestörte Monate in Paris, um sein Meisterwerk "Der große Gatsby" zu schreiben. Den entscheidenden Impuls verdankt er Joseph Conrad. Im Vorwort zum "Nigger von der Narcissus" heißt es, der Romanautor müsse mit seiner Sprache an alle Sinne appellieren; nur durch die "vollkommene Einheit von Form und Substanz" könne "das Licht magischer Suggestionskraft die banale Oberfläche der Worte für einen flüchtigen Augenblick überspielen".
Eine treffendere Beschreibung der ästhetischen Wirkung des "Gatsby" ist schwer denkbar. Wie nach einem schweren Rausch, der grelle, beunruhigend wiederkehrende Visionen verursacht, erinnert sich der Erzähler des Romans an jenen Sommer, in dem er die Bekanntschaft Gatsbys macht, eines Mannes, dessen Aufstieg im dunkeln liegt und der seine fabelhaften Parties für Hunderte von Fremden nur gibt, um eine Frau wiederzugewinnen, die ihn fünf Jahre zuvor um eines Reicheren willen verlassen hat. Gatsby, der Mann, der sich selbst erschuf, besitzt jene Unschärfe, die ihm inmitten von Oberflächlichkeit und Vulgarität einen romantischen Zauber beläßt. Daß seine Jugendliebe Daisy Buchanan seine Anstrengungen nicht wert ist, daß sie vielmehr genau den Dummkopf verdient, den sie zum Mann hat, tut nichts zur Sache. Fitzgeralds so klingender wie geschmeidiger Stil verwandelt die ganze Szenerie; und er macht die Figuren zu komplexeren Persönlichkeiten, als ihren mehrheitlich unangenehmen Charakteren auf den ersten Blick zuzutrauen wäre. Komplizenhaft steht die Sprache des Buchs im Dienst einer durch verschwenderischen Reichtum erzeugten Illusion, die alle Figuren blendet und manche von ihnen zerstört.
Berühmt ist die Szene, als es Gatsby gelungen ist, Daisy unter Stammeln und Herzklopfen in seinen Palast zu locken. Er will ihr vorführen, was er in den Jahren des Wartens gekauft und arrangiert hat; das Ensemble soll Gatsbys Liebe so vollkommen beglaubigen, wie seine Worte es nicht können. Nachdem alles gezeigt ist, was sich zeigen läßt, der Garten, das herrschaftliche Portal, die Treppenaufgänge, die zahlreichen Schlafzimmer, öffnet Gatsby zwei imposante Wandschränke, nimmt in großen Stapeln seine Hemden heraus und wirft sie eines nach dem anderen auf den Tisch: Leinen, Seide, feinen Flanell, mit phantastischen Mustern, mit Streifen oder Karos. Während Daisy noch die einen bewundert, lassen schon die nächsten den üppigen, vielfarbigen Haufen höher wachsen - bis die Umworbene "mit einem gequälten Laut" ihren Kopf in die Hemden wühlt und hemmungslos zu weinen beginnt: ",So wundervolle Hemden', schluchzte sie halb erstickt aus den Falten hervor. "Es macht mich ganz traurig, ich habe im Leben nicht solche - solche wundervollen Hemden gesehen.'"
,Der große Gatsby" handelt von der Vergänglichkeit. Stets mahnen Uhren an die verrinnende Zeit, und über vierhundert Zeitwörter geben der Darstellung von Ennui und Materialismus einen moralischen Ernst, der Fitzgeralds Einschätzung, er sei im Grunde ein "Prediger", gerechtfertigt erscheinen läßt. Daß der Autor den Höhepunkt seiner Kunst erreicht hat, begreifen zumindest seine Schriftstellerkollegen. T. S. Eliot schreibt in einem Brief, für ihn sei "Der große Gatsby" der erste Schritt, den der amerikanische Roman seit Henry James getan habe. Und Jean Cocteau läßt durch seinen französischen Übersetzer ausrichten, "Gatsby" sei "ein göttliches Buch".
Das göttliche Buch bringt seinem Autor kaum etwas ein. Daß sich Romane finanziell nicht lohnen, wird zum Grundmuster seiner Arbeit. Der nächste Versuch, "Zärtlich ist die Nacht", läßt neun Jahre auf sich warten. Fitzgerald kann mit Geld nicht umgehen, und in dieser Beziehung richtet die Heirat mit Zelda ein Desaster an. Die Verwaltung der Finanzen liegt in den Händen seines literarischen Agenten Harold Ober, der immense Summen zur Verfügung stellt, auch wenn ihnen keine entsprechenden Einkünfte gegenüberstehen. Auf diese Weise gleitet Fitzgerald unmerklich in eine Verschwendung, die ihn zwingt, minderwertige Geschichten für Magazine zu schreiben.
Die Einkünfte aus seiner Arbeit, die er im einen Augenblick als handwerkliche Schulung verteidigt, dann wieder als Lohnschreiberei denunziert, kennen wir auf Dollar und Cent genau. Um sich zu einer gewissen Ausgabendisziplin zu erziehen, legt Fitzgerald ein großformatiges Hauptbuch an, das er von den frühen zwanziger Jahren bis 1937 gewissenhaft führt - ein bemerkenswertes Dokument, das sowohl der Literatur- wie der Sozialgeschichte angehört. Es enthält zum Beispiel eine vollständige, detaillierte Liste von Fitzgeralds Werken, darunter rund 160 Kurzgeschichten. Eingetragen wurden Datum oder Zeitraum der Entstehung, der Name des Magazins, in dem sie erschienen, und das Datum der Veröffentlichung. Die letzte Spalte gibt an, was mit der jeweiligen Erzählung geschehen sollte - ob sie für würdig befunden wurde, in einen Sammelband aufgenommen zu werden oder nicht.
In letzterem Fall gab es zwei Möglichkeiten: Waren Teile, Motive oder Formulierungen für einen Roman noch zu gebrauchen, wurde die Erzählung ausgenommen wie ein altes Autowrack, und die geretteten Teile wanderten zur späteren Verwendung in separate Notizbücher. Andernfalls lautete der Vermerk lakonisch: "endgültig begraben". Der zweite Teil des Hauptbuches verzeichnet das Einkommen jedes Jahres, aufgesplittert in sämtliche Einzelzahlungen, Vorschüsse, Honorare und Tantiemen. Ein dritter Teil ordnet das Ganze chronologisch und bildet eine Art Autobibliographie, aus der sich ersehen läßt, in welchem Rhythmus Fitzgerald schrieb und wie sich seine Popularität in Zeitschriftenhonoraren niederschlug. Schwankten sie 1920 noch zwischen 35 und 900 Dollar pro Erzählung, kletterten sie 1922 über die 1000-Dollar-Marke und erreichten 1925 zum ersten Mal 2000 Dollar. (Um die heutige Kaufkraft zu ermessen, multipliziere man die Zahlen mit sieben.)
Gelitten und gestorben wie ein alter Mann.
Es war nichts Ehrenrühriges, für die slicks, die Hochglanzmagazine, zu schreiben. Doch bei Fitzgeralds Lebensstil war die Bindung an die führenden (also zahlungskräftigsten) Zeitschriften schiere finanzielle Notwendigkeit. Der Hauptabnehmer war das populäre, moralisch konservative Wochenmagazin Saturday Evening Post, dessen Auflage zwischen 1899 und 1937 auf über drei Millionen Exemplare anschwoll. In siebzehn Jahren veröffentlichte Fitzgerald 65 Geschichten in der Post; einige seiner besten wie "Vertrackter Sonntag" wurden abgelehnt. 1929 hatte sein Honorar pro Text 4000 Dollar erreicht, also gut drei Jahresgehälter eines Industriearbeiters oder den Gegenwert von 130000 Eiern (Erzeugerpreis). Er hielt dieses Honorar ohne Mühe weit über den Börsenkrach hinaus bis in das Jahr 1932. Der Markt spricht über den Künstler Fitzgerald ein klares Urteil: Während er im Jahre 1929 mit acht Erzählungen für die Post 30000 Dollar verdient, bringen ihm sämtliche Bücher zusammen nur 31,77 Dollar ein. "Der große Gatsby" schlägt mit 5,10 Dollar zu Buche.
Fitzgeralds Abstieg ist oft beschrieben worden, meist zu seinem Nachteil - Alkohol-Exzesse, Prügeleien und der anschließende Kater ergeben keine schöne Geschichte. Für Zeldas Pflege im Sanatorium und die Ausbildung seiner Tochter Scottie sorgt er allerdings bis zu seinem Ende. Nachdem die Honorare bei der Post kontinuierlich gesunken sind, druckt die Zeitschrift ab 1937 nichts mehr von ihm. Esquire, der neue Abnehmer, reißt ihm zwar alles aus der Hand, zahlt aber nur 250 Dollar pro Geschichte. 1937 läßt er sich nach Hollywood locken. Er ist nicht der erste großartige Schriftsteller, der in der Filmindustrie kläglich versagt; sein Name taucht nur im Abspann eines einzigen Films auf. Trotz erwiesener Erfolglosigkeit wird er im Januar 1939 noch einmal engagiert, um bei "Vom Winde verweht" die Dialoge zu bearbeiten. Eine absurde Bedingung zwingt ihn, ausschließlich Wörter zu verwenden, die auch in Margaret Mitchells Roman vorkommen. Will er eine neue Dialogzeile erfinden, muß er die Vorlage wie das Evangelium nach heiligen Wörtern absuchen.
Dennoch setzt sich in den letzten vierzehn Monaten seines Lebens, als die körperlichen Reserven fast verbraucht sind, der Romanschriftsteller wieder gegen den Lohnschreiber durch. Der Beweis ist der unvollendete Roman "Der letzte Tycoon", dessen stilistische Qualität stellenweise so berauschend ist, daß man ihn getrost an die zweite Stelle hinter "Gatsby" setzen kann. Das Buch erzählt von dem genialen, arbeitsbesessenen Filmproduzenten Monroe Stahr und dessen Liebe zu einer Frau, die für kurze Zeit an die Stelle der verstorbenen ersten zu treten scheint; doch Stahr, trotz seiner Skrupellosigkeit der rätselhafte Vertreter einer unberührbaren privaten Moral, läßt die Gelegenheit verstreichen.
Zeitgenossen hatten keine Mühe, in Fitzgeralds Figur Irving Thalberg zu erkennen, der mit zwanzig die Universal Studios leitete und mit vierundzwanzig Mitbegründer von Metro Goldwyn Mayer wurde, wo er für fünfzig Filme pro Jahr verantwortlich zeichnete. Zum romantischen Helden prädestinierte Thalberg, daß er jünger war als Fitzgerald selbst, noch früher Erfolg gehabt hatte - und wegen eines Herzfehlers wahrscheinlich früher sterben würde.
Die Idee des Romans überlebt beide. Scott Fitzgerald stirbt am 21. Dezember 1940, im Alter von vierundvierzig Jahren, in Los Angeles an seinem dritten Herzinfarkt. Die makabre Kunst des Bestattungsunternehmers verschafft dem aufgebahrten Leichnam unziemlich frische Wangen, die so kräftig leuchten, daß ein Zeuge schreibt, nur an den kleinen, faltigen Händen sei zu erkennen, daß Fitzgerald wie ein alter Mann gelitten habe und als alter Mann gestorben sei. Die Tantiemen dieses Jahres betragen 13,13 Dollar. Die Nachrufe behandeln ihn herablassend, als zerschlissenes Requisit einer endgültig versunkenen Ära. Heute ist "Der große Gatsby" Pflichtlektüre an Schulen und Universitäten. Jahr für Jahr werden in Amerika über dreihunderttausend Exemplare verkauft.
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