gekommen ist bei der bisherigen Diskussion die Philosophie als klassische Verwalterin des Determinismus- und Willensfreiheitsproblems. Vor allem sind philosophische Überlegungen vernachlässigt worden, welche die wechselseitige Ausschließung von Determination und Willensfreiheit bestreiten und damit eine Folgerungsreihe der Kontroverse in Frage stellen, die sich auf die negativen oder positiven Auswirkungen einer deterministischen Position für Anthropologie, Ethik und Jurisprudenz beziehen.
Der vorliegende Sammelband unter prominenter theologischer und philosophischer Herausgeberschaft vereinigt überarbeitete und erweiterte Vorträge einer öffentlichen Tagung zum Thema. "Ist es ausschließlich im Rahmen des Indeterminismus oder vielleicht auch im Rahmen des Determinismus sinnvoll, dem Menschen Freiheit zuzuschreiben, und wie ist diese Freiheit näherhin zu bestimmen?" fragen die Herausgeber im Vorwort. Deutlich ist eine Tendenz der Beiträge, die Freiheitsproblematik praktisch zu fassen, als Frage nach dem Sachverhalt und, wenn ja, der Art, in der menschliche Verantwortlichkeit besteht. Willensfreiheit im engeren Sinne und Handlungsfreiheit werden gebündelt in der Frage: Gibt es Entscheidungsfreiheit und sind damit Entscheidungen zurechenbar? Ebenso praktisch ist das Bedürfnis, etwa bei Thomas Buchheim, den Begriff "Freiheit" nicht einfach als Verneinung von Determination zu bestimmen, sondern qualitativ zu füllen.
Durchgehend ist die Neigung, Verantwortlichkeit auch innerhalb eines deterministischen Rahmens zu bejahen, allerdings mit einem Fächer von Antworten. Er reicht von der traditionellen Begründung von Kontingenz, und damit Verantwortlichkeit, aus der Möglichkeit alternativer Handlungsentscheidungen bis zur Weise menschlicher Selbsterfahrung, daß die Vorfindlichkeit unseres Selbst für unser Bewußtsein zwar als Determination, nicht aber als Aufgezwungenheit eines Fremden erfahren werden kann. Mithin wären unsere Handlungen aus unserem gegebenen Selbst "determiniert" und wir trotzdem für sie als unsere Handlungen - und nicht als die eines Fremden - verantwortlich. Allerdings scheint mir hier die Position des Determinismus verengt, denn abgesehen vom Unterschied zwischen metaphysisch gedachter und naturgesetzlich gedachter Determination kann etwas erzwungen und doch nicht determiniert sein, und es kann etwas determiniert und doch nicht erzwungen sein.
Soweit ich sehe, vertritt keiner der Beiträger dieses Bandes den Standpunkt einer unbedingten Freiheit, der als Popanz in der Polemik naturwissenschaftlich geprägter Deterministen umgeht. Als systematischen Mangel empfinde ich, daß zwar Positionen der vorkritischen Philosophie von der Scholastik bis zu Leibniz und des deutschen Idealismus von Hegel bis zu Baader und dem späten Schelling kritisch aufgenommen werden, die Position Kants in der Willensfreiheitsdiskussion aber in einem Beitrag (Steinvorth) zwar angerissen wird, aber nicht zum Tragen kommt. Problematisch ist auch, daß ohne wissenschaftstheoretische Reflexion eine schlichte Nebeneinanderordnung von Beiträgen stattfindet, deren Argumentationsbedingungen und -rahmen sehr verschieden sind: teils historisch theologisch, so die Abhandlungen über Luther (Friedrich Hermanni unter Kritik an Luther) und Calvin (Eberhard Mechels), teils philosophisch ohne Voraussetzung Gottes, teils philosophisch mit Voraussetzung Gottes (besonders Peter Koslowski und Armin Kreiner, bei denen die alte Theodizee-Frage der Metaphysik vortritt).
Zweifellos kann genau so stringent unter Voraussetzung Gottes argumentiert werden wie ohne diese Voraussetzung, aber die Weisen der Stringenz liegen auf verschiedenen Ebenen. Ich sehe in der Opposition von Denken mit versus ohne Gottesvoraussetzung ein größeres Verständigungshindernis bei der Willensfreiheitsdiskussion als zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern.
GERHARD KAISER
Friedrich Hermanni, Peter Koslowski (Hrsg.): "Der freie und der unfreie Wille". Philosophische und theologische Perspektiven. Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 235 S., br., 22,90 [Euro].
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