Dekadenzthriller an Edgar Wallace erinnert.
Die mit der Veröffentlichung des Werks beabsichtige Vernichtung des Bloomsbury-Kreises ist Lewis gleichwohl mißglückt, sein unerbittliches Buch wird kaum mehr gelesen. Ein Fall von Siegergeschichtsschreibung, könnte man meinen, wäre da nicht der Umstand, daß auch die Partei der Angegriffenen dem großen Vergessen einige Opfer hat bringen müssen.
Das bedauerlichste unter diesen wird jetzt auch in Deutschland dem Nichts entrissen: der Feenroman "Lud-in-the-Mist" von 1926. Seine Verfasserin, von der uns die Literaturgeschichte ein reichlich unscharfes und fleckiges Bild vermittelt, war die flamboyante und rätselhafte Hope Mirrlees (1887 bis 1978), die fast nur noch als "Einfluß" weiterlebt, etwa bei T.S. Eliot und neueren Fantasy-Autoren wie Michael Swanwick und John Crowley.
Ihr großes Buch, neben einem in der Woolfschen Hogarth Press erschienenen Gedichtband ihre einzige literarische Hinterlassenschaft, handelt vom urbritischen "cant" und den seltsam spießig-schnurrigen Zuständen von Lud-in-den-Nebeln - natürlich London -, der Hauptstadt des Landes "Dorimare", das ans Feenland angrenzt, in dem wir die Reste der Welt Miltons oder Shakespeares erkennen dürfen, die von der Moderne mit Eisenbrücken und Sachlichkeit überbaut wurden. Es herrscht ein reger Schmuggel mit verwunschenem Obst aus dem Land der Zauberwesen ins prosaische Diesseits, der die neue, effiziente Lebensweise bedroht und dessen Proto-Hippie-Einfluß bis in die Familie des Bürgermeisters reicht. Die Magie ist hier also auch eine Droge, etwas Chemisches, das so nur im zwanzigsten Jahrhundert entstehen konnte.
Die jetzt unter dem Titel "Flucht ins Feenland" erschienene sorgfältige Übersetzung von Hannes Riffel folgt einer neuen englischen Edition im Rahmen einer Bibliothek der Fantasy-Meisterwerke vor und nach Tolkien, es gelingt ihr, das in ein Netz von hochartifiziellem Modernismus und romantischen Echos verstrickte Webwerk des Originals fast unbeschädigt ins Deutsche zu retten: Ein schönes altes wird hier zu einem schönen neuen, jungen Buch.
Das Vorwort des Fantasy-Autors Neil Gaiman und vor allem das ausführliche literarhistorische Nachwort von Michael Swanwick lohnen die Anschaffung des Buchs aber selbst für Kostverächter des Phantastischen, die doch vielleicht auch einmal wissen wollen, ob die Moderne nicht einen weit höheren Anteil Traumstoff in ihren Fundamenten aufbewahrt, als revisionistische Geschichtsschreibung und die Anbetung des Gottes "Modernismus" zulassen wollen: Feen-Erbschaft, liebliches Irisieren chemischer Irrealitäten, traurig-archaische Schönheit. In solchen Texten, samt eigentümlichem Humor-Repertoire, lacht innigste, englischste Blasphemie.
DIETMAR DATH.
Hope Mirrlees: "Flucht ins Feenland". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hannes Riffel. Piper Verlag, München 2003. 407 S., geb., 19,90 Euro.
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