achtziger Jahren in der DDR und im fünften Roman seit 2014 von Max Annas, den der 1963 in Köln geborene Autor - ein Späteinsteiger im Genre, der sich rasant entwickelt hat - soeben vorgelegt hat. "Morduntersuchungskommission" ist der Auftakt einer Serie, Band zwei ist in Arbeit. Annas bringt historische Anschauung mit: In den Achtzigern hat er sich nach eigenen Angaben im Arbeiter- und-Bauern-Staat herumgetrieben, bis man ihm die Einreise verweigerte, als es beinahe schon zu spät war - 1989.
Diese Erfahrung nutzt er auf angenehm zurückhaltende Weise. Die Atmosphäre dieser schon bleiern werdenden Zeit evoziert er vorsichtig, er tupft, anstatt zu prunken. Weder wird mit Biersorten oder Zigarettenmarken Echtheit behauptet, noch knattern ständig Plaste- und-Elaste-Bomber durch die Seiten - DDR-Nostalgie hat bei Annas keinen Raum. Stattdessen ein schlankes Glossar, darin Begriffe wie "Erster Angriff", was "Sicherung des Auffindungs- oder Tatortes, gegebenenfalls Festnahme oder Fahndung" bedeutet.
Aber viel ist nicht mehr zu holen bei dieser übel zugerichteten Leiche, welche die MUK nahe den Bahngleisen findet. Ein Schwarzer, einer jener 90 000 Vertragsarbeiter, die von den siebziger Jahren an aus Angola, Kuba, Vietnam, Algerien und Moçambique ins Land geholt wurden, um den Sozialismus aufzubauen. Aber ein Mord an einem Vertreter eines Brudervolkes? Sieht so Völkerfreundschaft aus? Man wird der Familie schreiben: Arbeitsunfall, schrecklich zugerichtet, besser den Sarg nicht öffnen.
Es ist nicht der einzige Leichenfund in diesem Roman, aber der zentrale. Denn als die MUK den Fall abgeben muss, macht Otto allein weiter. Was er nicht bedenkt, ist, dass er vielleicht selbst überwacht werden könnte bei seinen Privatermittlungen. Denn das Schicksal des Schwarzen lässt ihm keine Ruhe. Und so kommt er mit klassischer Polizeiarbeit Schritt für Schritt zu der Erkenntnis, dass er es mit Tätern zu hat, die es offiziell in der DDR gar nicht gibt - Nazis.
Annas rekurriert auf einen bis heute nicht vollständig aufgeklärten echten Fall aus dem Jahr 1986. Manuel Diogo, dem er das Buch widmet, wurde in einem Zug von Berlin nach Dessau von Neonazis ermordet. Der Elan, diesen und ähnliche Fälle nach der Wiedervereinigung aufzuklären, scheint bei den Staatsanwaltschaften nicht stark ausgeprägt gewesen zu sein. Und so ist Annas' Roman auch ein Bemühen um Gerechtigkeit gegenüber dem Leiden Diogos, der im Buch Teo Macamo heißt. Dass das Setting im dreißigsten Jahr des Mauerfalls und angesichts der politischen Lage im deutschen Osten punktlandet, schadet der Aufmerksamkeit gewiss nicht.
Und Annas bleibt seinem Thema, der Ausländerfeindlichkeit, treu, dem er sich nach zwei Romanen, die in Afrika spielten ("Die Farm", "Die Mauer"), auf deutschem Grund und Boden zugewendet hat ("Illegal" und "Finsterwalde"). Einen ähnlichen Fall hat zuletzt Philipp Reinartz in "Fremdland" verhandelt (F.A.Z. vom 4. März 2019). Annas schreibt einen schlackenlosen Stil, der nicht nach Cliffhangern schielt und nicht zu sehr auf die Noir-Tube drückt. Er entwickelt die Geschichte aus dem Alltag der Polizeiroutine, folgt Otto Castorp ins Familienleben und zu einer Geliebten, die mehr ist, als sie vorgibt zu sein.
Im Kern geht es darum, dass Castorp ein guter Bulle ist. Und um ein solcher zu bleiben, riskiert er seine Laufbahn. Als er zur Rede gestellt wird, warum er trotz anderslautenden Befehls weiter ermittelt, sagt er: "Es gibt diese Momente, die gehen einfach über das hinaus, was wir in der Ausbildung und im Studium lernen." Man sieht den Schwierigkeiten, in die er im nächsten Fall geraten wird, gelassen entgegen.
HANNES HINTERMEIER
Max Annas:
"Morduntersuchungskommission". Roman.
Rowohlt Verlag,
Hamburg 2019.
352 S., geb., 20.- [Euro].
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