Familien haben, kommt natürlich daher, dass Familien so etwas wie eine Kummer-Produzier-Maschine sind. Egal, ob Groß- oder Kleinfamilie, ob mit zwei Erziehungsberechtigten oder nur einem, mit Geschwistern oder keinen, irgendeinen Familien-Frust gibt es immer. Vor allem auch dann, wenn die Kinderzeit zu Ende geht und die Pubertät ihre Schatten vorauswirft. Bei Nike in dem Roman von Anna und Thomas Lyrevik fängt diese Zeit gerade an, wohingegen Ute Wegmanns Luisa schon in die Weltschmerz-Phase eingetaucht ist. Beide Bücher haben ein taffes Mädchen zur Hauptfigur und gehen - zeitverschoben - von einer ähnlichen Grundsituation aus; beide enden auch zur Erleichterung der Leser zuversichtlich und heiter.
Der beste Samstag der Welt in dem gleichnamigen Roman beginnt in einem Altersheim. Dort arbeitet Nikes Mutter. Aber hauptsächlich handelt er von einem Ausflug mit der alten Frau Möller auf den Rummelplatz. Wider Erwarten stimmt es zwischen der alten Frau im Rollstuhl und Nike auf Anhieb, und ihre Unterhaltungen kreisen ums Eingemachte: die Beschwernisse des Kindseins, die Beschwernisse des Altseins, was tun, wenn einem die Blase zu platzen droht, der Tod und die Liebe. Die Lyreviks präsentieren das alles mit schwedischer Lakonik, die den ernsten Unterton mit leicht verrückten Details und in witzigen Dialogen aufhellt. Am Ende lockt die Aussicht auf den besten Sonntag der Welt, mit Josef am Meer.
So ganz leichthändig geht es in Ute Wegmanns "Weit weg ... nach Hause" nicht zu. Die Geschichte beginnt bereits mit einem bedrückenden Traum Luisas. Ihre Traum-Flucht endet mit einem harten Aufprall. Dann klingelt der Wecker, und es beginnt der wie immer mühselige Tag. Keine Freude am Unterricht in der Schule, keine Freundin unter den Klassenkameradinnen. Kein einziger Erwachsener, ob Lehrerin, ob Eltern, scheint zu verstehen, warum sie so vergesslich, so harsch in ihren Reaktionen, so leicht zu verdrießen und zu verletzen ist. Aus Luisas Traum-Flucht wird so ganz ungeplant ein richtiger Ausreißversuch, der sie beinahe das Leben kostet. Am Ende führt der weite Weg in die Ferne wirklich nach Hause. Aber dieser Ort ist auf einmal voller Geborgenheit.
Die altbekannte Zwiespältigkeit der bürgerlichen "Familienbande", die Heranwachsende häufig als einengend empfinden, wird hier einmal auf Schwedisch und einmal auf Mittelständisch-Deutsch durchgespielt. Familien haben Macken und Probleme. Aber sie sind auch unschlagbare Kummer-Überwindungs-Einrichtungen.
WILFRIED VON BREDOW
Anna und Thomas Lyrevik: "Der beste Samstag der Welt". Aus dem Schwedischen übersetzt von Angela Kutsch. Mit Bildern von Anke Kuhl. Carlsen Verlag, Hamburg 2007. 108 S., geb., 7,90 [Euro]. Ab 8 J.
Ute Wegmann: "Weit weg . . . nach Hause". Mit Vignetten von Rotraut Susanne Berner. Reihe Hanser im Deutschen Taschenbuch Verlag, München 2007. 143 S., br., 7,-[Euro]. Ab 8 J.
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