nachrevolutionären Präsidenten ging, plädierte der Autor dafür, dem Kandidaten der Muslimbrüder, Muhammad Mursi, eine Chance zu geben. Der sei immer noch besser als Ahmad Schafiq, der Kandidat der alten Garde. Die später erfolgte Wandlung zum Unterstützer von Sisi, dem General der Konterrevolution, war symptomatisch für die Verwirrung, die sich der ägyptischen Intellektuellen im Lauf der Umwälzungen bemächtigt hatte. Es wäre jedoch unfair, dies Autoren wie al-Aswani zum Vorwurf zu machen. Er hat nur wie ein Seismograph die Meinungswechselbäder der Ägypter selbst aufgezeichnet. Als Romancier einen Schritt zurück in die Vergangenheit zu tun scheint vor diesem Hintergrund ein Akt literarischer Klugheit.
Das neue Buch spielt also Ende der vierziger Jahre, kurz vor der Revolution der Freien Offiziere um Gamal Abdel Nasser von 1952. Die Parallelen zur Zeit vor 2011 sind offensichtlich: Der Willkürherrschaft einer kleinen, korrupten und dekadenten Elite, die mit dem Westen (im Roman vertreten durch die Engländer) im Bunde ist, stehen die Armut und Rechtlosigkeit der einfachen Leute gegenüber. Der Ort, an dem die diversen Schichten der ägyptischen Gesellschaft aufeinandertreffen und ihre Konflikte wie unter einem Brennglas austragen, ist der Automobilclub.
"Sollten Ägypter Mitglied werden dürfen?" Der Direktor gibt Antwort: "Das Auto ist eine Erfindung des westlichen Mannes, und so kann er allein Beschlüsse darüber fassen. Von einem Ägypter erwarte ich nicht mehr, als dass er sein Auto kauft und sich hineinsetzt." Der Club - "eine exakte Kopie des berühmten Carlton-Clubs in London" - ist im Roman (und war in Wirklichkeit) das bevorzugte Spielcasino des Königs Faruk, der von der CIA heimlich als "fat fucker" bezeichnet wurde. Das ist er auch im Roman: frauen- und fresssüchtig, dekadent bis zur Ekelhaftigkeit.
Sein allmächtiger Kammerdiener, Kô genannt, beaufsichtigt die Angestellten des Clubs und unterjocht sie erbarmungslos. Doch auf den Straßen, angeführt von der Wafd-Partei und einigen Kommunisten, formiert sich Widerstand gegen die englandhörige Monarchie. Als dann nach langen Diskussionen selbst die von der Untertanenmentalität zutiefst geprägten Angestellten des Automobilclubs von Kô verlangen, auf die Prügelstrafe zu verzichten, kommt es zum Showdown. "Wer bist denn du, dass du dem Kô vorschreiben könntest, was er tun darf und was nicht?" - "Ich bin ein Mensch!"
Al-Aswani schreibt mit postkolonialem Bewusstsein eine Art sozialistischen Realismus, der sich einer an die Telenovela erinnernden Erzähltechnik bedient. Jedes Kapitel ist aus der Sicht bestimmter Personen erzählt und endet mit einem Cliffhanger. Der Roman ist nicht nur schreibtechnisch vom Fernsehen inspiriert, er übt sich auch stilistisch in telephiler Komplexitätsreduktion. Die simple Erzählweise, die einfache Sprache und die erlebte Rede als einziges Mittel zur Schilderung der Personen nehmen Rücksicht auf das ägyptische Publikum, welches - jenseits einer kleinen Schicht Intellektueller - das Lesen mit Autoren wie al-Aswani überhaupt erst wieder entdeckt hat.
Wie ein schwerer, allzu langer Güterzug braucht das Buch eine ganze Weile, bis es mit seiner grob geschnitzten Erzählfracht an Fahrt gewinnt. Überraschenderweise fesselt es allmählich aber auch den skeptischen, anfangs zum Überblättern neigenden Leser, vor allem dank der eigenwilligen Charaktere und der zahlreichen, die Intimitäten der ägyptischen Gesellschaft ausleuchtenden Binnengeschichten.
Da mutiert der begriffsstutzige Machmud, von einer älteren Engländerin verführt, allmählich zu einem Callboy, der unter den Witwen der Kairoer High Society herumgereicht wird. Da versucht der englische Direktor des Automobilclubs seine Tochter zu einem Stelldichein mit dem König zu bewegen, um sich so dessen Gunst zu erwerben. Da wird die bildungsbeflissene, aber aus einem armen Elternhaus stammende Saliha an einen reichen Geschäftsmann verheiratet, der zum Geschlechtsverkehr gar nicht in der Lage ist, aber in die Scheidung partout nicht einwilligen möchte. Und da ist ihr Bruder, der Student Kamil, die Lichtgestalt des Romans, der am Ende - natürlich! - verhaftet und gefoltert wird.
Da "Der Automobilclub von Kairo" in den vierziger Jahren spielt und damit den erzählerischen Kosmos von Nagib Machfus tangiert, beschwört er den für al-Aswani ungünstigen Vergleich mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers herauf. Vor allem ein Roman von Machfus, "Das junge Kairo" ( F.A.Z. vom 9. Dezember 2011), schildert auf ähnliche Weise dieselbe Epoche, braucht aber nur zweihundertfünfzig Seiten dafür. Die eigentliche Absicht von al-Aswanis neuem Roman ist freilich nicht primär die Schilderung der vierziger Jahre, sondern verbirgt sich in dem, was die Ägypter aus dem Vergleich jener Zeit mit der Gegenwart lernen können: dass die in der Monarchie entstandenen unterdrückerischen Strukturen bis heute ununterbrochen fortwirken.
STEFAN WEIDNER.
Alaa al-Aswani: "Der Automobilclub von Kairo". Roman.
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015. 656 S., geb., 24,99 [Euro].
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