worüber man gefahrlos lachen durfte. Ein kleiner Schimpanse, der im Sylvesterprogramm 1952 vor laufender Kamera Faxen machte, kam da als ideologisch unverdächtiger Spaßkumpan gelegen. Vor allem in Köln stieg Petermann schnell zum bejubelten Maskottchen auf.
Das Affenkind traf den Kölner Humor, der traditionell ohne Witz und Pointe auskommt, wie schon der Bonner Gelehrte Heinrich Lützeler festgestellt hat. Während Lützeler darin allerdings keinen Mangel erkannte, formuliert Filz nun deutlich schärfer: "Der Kölner Humor (geht) runter wie Öl, und keine Bedeutungsballaststoffe machen ihn schwer verdaulich." Wie bei Kleinkindern hege der rheinische Frohsinn "ein lustvolles Interesse an Ausscheidungsvorgängen" und habe selbst "etwas Affenartiges".
Kein Wunder also, dass der Schimpanse Petermann, kaum der Flasche entwachsen, in der Session 1953/54 zur Hauptattraktion der Karnevalssitzungen wurde. Man steckte ihn in Gardeoffiziersuniform, in Kellner-Montur, ins Ballett-Tutu und setzte ihm bei seiner Paraderolle als "Pitter" neben dem Büttenredner Peter ("Pitter") Schumacher den Seppelhut auf. Im Sektglas des minderjährigen Primaten befand sich nur Honigwasser, und abends um zehn wurde er aus Jugendschutzgründen in den Zoo zurückgebracht.
Filz zeichnet in seiner Köln-Chronik der Wirtschaftswunderjahre das Bild einer präzivilisierten Metropole, die Ende der Fünfziger nicht ohne Grund "Chicago am Rhein" hieß. Sowohl bei den Verkehrsunfällen (nicht selten mit Todesfolge) als auch bei den Gewaltdelikten lag die Domstadt damals im bundesdeutschen Vergleich weit vorn auf Platz eins. Es gab regelrechte No-Go-Areas wie das Stadtviertel Mühlheim, in deren Kneipen die Fäuste flogen. Statistisch gesehen war jeder neunte Bürger kriminell.
Ähnlich wie in seinen preisgekrönten Radio-Features nimmt der Kulturjournalist Filz auch in seinem ersten Sachbuch ein Alltagsphänomen zum Anlass, gesellschaftliche Mythen zu entzaubern. Der Fall Petermann dient ihm als Aufhänger, um mit dem kölschen Image der Weltoffenheit und Fremdenfreundlichkeit aufzuräumen. Denn letztlich, so lautet das wenig schmeichelhafte Resümee des Autors, würden die Kölner bis heute von jedem zugereisten "Exoten" dasselbe erwarten, was sie auch schon dem armen Affen abverlangt hätten: Assimilation bis zur Selbstaufgabe. Man könnte diese Strategie offensiver Scheintoleranz als eine Art Verbrüderungstrick beschreiben. So möchte der Kölner, der stolz auf die zweitausendjährige Geschichte seiner Stadt ist, einen Nicht-Kölner eigentlich gar nicht erst kennenlernen. Zu sehr ist er überzeugt davon, dass alles, was anderswo passiert, in Köln immer auch schon und viel großartiger stattgefunden hat. Seine Gastfreundlichkeit entpuppt sich als gut getarnte Gleichgültigkeit, die jeden "Imi" (kölsch für: "Zugezogener") von vornherein bedauert. Gönnerhaft drückt er den bemitleidenswerten Fremden fest an die eigene Brust - so fest, dass dieser wehrlos wird.
Als besonders bizarres Beispiel für den freundlichen Kolonialismus erwähnt Filz den Besuch Josephine Bakers 1953. Die amerikanische Jazzsängerin war zu diesem Zeitpunkt ein international gefeierter Weltstar, was den Karnevalstrupp "Löstige Afrikaner" aber nicht davon abhielt, sie als "Eingeborene" mit schwarzer Schminke im Gesicht, Baströckchen und Wumba-Tumba-Trommel zu empfangen. "Wir wollten zeigen, dass wir es nicht für unter unserer Würde halten, uns mit den Sitten und Gebräuchen afrikanischer Stämme zu befassen", verkündete Truppführer Alois Liesenfeld freudestrahlend. Baker lächelte - perplex - zurück.
Wer als Besucher hingegen weniger erfreut auf die eigene Herabwürdigung reagiert, dem kann der sonst so lockere Rheinländer ziemlich unlocker entgegentreten. Wie eben dem pubertierenden Petermann, der irgendwann genug von Verkleidungsmätzchen hatte und Zoobesucher nicht mehr nur drollig mit Bananenschalen, sondern auch mit eigenen Exkrementen bewarf. So sperrte man ihn 1957 in einer Zehnquadratmeterzelle weg, die er achtundzwanzig Jahre lang nicht mehr verlassen durfte. Doch selbst als toter Affe kam Petermann immer noch nicht aus dem vereinnahmenden Klammergriff der Kölner los.
Die linksalternativen "Sofa-Revolutionäre" der Südstadt rund um den BAP-Sänger Wolfgang Niedecken stilisierten das Tier postum zum Märtyrer ihres eher harmlosen Hausbesetzer-Protests, der anders als die Kreuzberger Straßenkrawalle ohne Schwerverletzte und Tote verlaufen war. Ein erschossener Menschenaffe, der angeblich noch kurz vor seinem Exitus die linke Faust gen Himmel gereckt hatte, konnte hier ein bisschen über das Fehlen eines heroischen Freiheitskampfes hinwegtäuschen. Denn selbst für die Berufsnörgler Kölns ist - so die böse Logik von Walter Filz - nur schwer vorstellbar, dass es in ihrer Stadt einmal etwas nicht gegeben haben könnte, was anderswo stattgefunden hat.
GISA FUNCK
Walter Filz: "Der Affe zu Köln oder Petermanns Rache".
Greven Verlag, Köln 2010. 240 S., geb., 16,90 [Euro]
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