offengelegt werden.
Manche mögen freilich sagen: "Aber das ist doch nur Spielerei und Selbstverliebtheit! Keine ernsthafte Philosophie, keine gründliche Exegese!" Doch der Sache fehlen weder Ernst noch Gründlichkeit, dafür lag sie dem vor sechs Jahren verstorbenen Derrida zu sehr am Herzen. Spielerei und Selbstbezogenheit sind nicht Selbstzweck. Wem etwa die Schlüsselszene - Derrida sieht sich nackt von seiner Katze angesehen und schämt sich über seine Scham darüber - zu idiosynkratisch oder vertrackt scheint, der kann bei der Lektüre erfahren, wie sich diese Szene Schritt für Schritt erschließt.
Die Herausgeberin der französischen Originalausgabe Marie-Louise Mallet hat vier Texte versammelt, die in der Tat zusammengehören. Der erste Text mit dem Titel "L'animal que donc je suis (à suivre)" - "Das Tier, das ich also bin (weiterzuverfolgen)" - wurde 1997 für eine Tagung geschrieben, der zweite Text geht auf dieselbe Tagung zurück. Es folgen der einige Jahre später veröffentlichte Text "Und wenn das Tier antworten würde?" und die Transkription eines Tonbandmitschnitts. Der Eingangstext ist sozusagen Derridas Diskurs über die Methode, das Augenmerk richtig zu lenken, um die anthropologische Differenz zu erforschen, die übrigen sind Versuche, diese Methode auf Descartes, Kant, Lévinas, Lacan und Heidegger anzuwenden.
Zunächst nimmt Derrida die Alternative von Assimilationismus und Differentialismus ins Visier. Dieser behauptet die Existenz einer entscheidenden Differenz zwischen Mensch und Tier, jener leugnet sie. Derrida wünscht dieser Alternative zu entkommen, wobei seine Skepsis insbesondere der "privativen Zoologie" gilt, das heißt der Neigung, das Tier als Wesen zu sehen, das im Vergleich zu uns durch einen entscheidenden Mangel charakterisiert ist. Wir sollten nicht mehr fragen, ob die Grenze zwischen Mensch und Tier durchlässig ist oder nicht, sondern "was aus einer Grenze wird, wenn sie abgründig ist, wenn die Grenze nicht eine einzige unteilbare Linie bildet, sondern mehr eine Linie, die sich in weiteren Linien verabgründigt". Was bedeutet das?
Derrida richtet seinen Blick auf die Begriffe "der Mensch" und "das Tier". Warum sollten wir annehmen, dass der Mensch eine Eigenschaft hat, die ihn trennscharf vom Tier abscheidet? Gibt es denn nicht viele Trennlinien, wie Sprache, Vernunft, Geschichte, Lachen, Trauer, Bestattung und so weiter? Können Menschen diese trennenden Eigenheiten nicht bisweilen ganz abhandenkommen? Mehr Gewicht legt Derrida auf "das Tier", auf dieses Wort, das "alle Lebenden einschließt, die der Mensch nicht als seinesgleichen, als seine Nächsten oder seine Brüder anerkennen würde". In Derridas Augen ist der aufgeladene Gebrauch dieses Wortes eine der "größten - und systematischsten - Dummheiten" (bêtise). Sein Buch kann als Protest gegen dieses Wort verstanden werden, und ein Instrument dieses Protests ist der Neologismus "animot". Das Wort "animal" lautet im Plural "animaux", Plural und Neologismus unterscheiden sich also nicht für das Ohr, sondern nur für das Auge. "Animot" ist ein Singular, der den Plural verdeckt. Es ist das Wort (mot) "Tier", das den Plural verbirgt, und das "TierWort" (animot) bringt dies zum Ausdruck. Das ist zwar Spielerei, doch nie an der Sache vorbei.
Aber was wir "Tier" nennen, so könnte man einwenden, bildet doch eine reale Einheit. Alle Tiere, ja alle Lebewesen sind Nachfahren eines Urahns. Doch offenbar ist mit "Tier" nicht die sich entwickelnde Vielfalt des Lebens gemeint, sondern eine metaphysische oder begriffliche Einheit, das Tier als solches, und es ist unmöglich, ein Kriterium anzugeben, das alle Tiere unter diesen Begriff fasst, es sei denn die hierarchische Opposition zu "Mensch". Und genau diese Opposition ist für Derrida entscheidend.
Man könnte auch dagegenhalten, dass die Vielfalt der Unterschiede durch den entscheidenden Unterschied erklärt wird, eben die anthropologische Differenz. Das sieht Derrida durchaus und nennt die Sprachfähigkeit als Kandidatin. Doch erstens setzt dies das TierWort voraus, weil es ja um den Unterschied zu dem Tier geht. Zweitens ist das Tier aus der Perspektive nicht nur der Philosophie stets ein Wesen minus bestimmter Eigenschaften, und der Philosoph agiert als privativer Zoologe mit einem einzigen, eben "dem Tier". Drittens kehrt die vermeintliche Differenz in uns selbst wieder. Auch wir sind Tiere, doch wir können sprechen und "ich" sagen. Wie verhalten sich also mein Sprechen und mein Ich-Bezug zu meinem Tiersein? Sollte ich sagen, dass ich mich mit "ich" auf einen Sprecher beziehe, der kein Tier ist, und auch noch auf ein Tier, das sich zwar am selben Ort befindet, aber durch einen Abgrund getrennt? Hier blitzt ein Aspekt des auf Descartes' "Ich denke, also bin ich" anspielenden Titels auf.
Derridas Textlektüren folgen diesen drei Problemen, dabei ist insbesondere die Auseinandersetzung mit Heidegger von Interesse. Derrida steht zu Heidegger, wie dieser zu Nietzsche. Heidegger sah in Nietzsche den letzten Denker der Metaphysik. Doch erst mit der Tierproblematik sieht sich Derrida in der Lage, Heidegger als Fortsetzer der metaphysischen Tradition zu lesen. Denn Metaphysik ist für Derrida Logozentrismus und dieser "zuallererst eine These über das Tier, über das Tier, das des logos, des Logos-haben-Könnens beraubt ist".
Insofern entpuppt sich die anthropologische Differenz bei Derrida als jene Opposition, die allen anderen zugrunde liegt. Dies macht auch die vielen Verweise auf frühere Werke verständlich, die Derrida einstreut: Man kann und soll sein Werk rückblickend als eine dekonstruktive Arbeit an der anthropologischen Differenz lesen. Das ist Selbstbezüglichkeit, doch nicht an der Sache vorbei.
Derrida legt dabei Spuren, denen nachzugehen sich lohnt, sofern man nur darauf verzichtet, ihn imitieren zu wollen. "Tierphilosophie" schlägt Derrida als Namen für dieses Projekt vor. Es ist weiterzuverfolgen.
MARKUS WILD
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