Veröffentlichung, noch als Gymnasiast, war eine "Ode auf den Cognac", für die er fast vom Internat der Benediktiner flog, später, inzwischen war er bekannt mit Kurt Tucholsky, Max Reinhardt und Stefan Zweig, schrieb er Chansons, Opernlibretti, Drehbücher und immer wieder Gedichte und Satiren für den "Simplicissimus". Und dann, 1926, diesen einen einzigen Roman, "Das Städtchen", der gerade neu aufgelegt worden ist und es besiegelt: Hans Adler war einer der letzten Bohemiens des Bösen in der deutschsprachigen Literatur.
Gier und Geifer
Es ist der Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, kurz bevor die Habsburgmonarchie mit matt gewordenem Pomp untergehen wird, irgendwo in den Voralpen, drei Zugstunden von Wien entfernt, als Baron von Seylatz seine Straußenledertasche bedächtig aus dem Coupé Erster Klasse nimmt, aussteigt und sich umsieht: vor ihm Schwaden von chemischgelbem Nebel, der die Sonne verschlingt und das Pflaster glitschig bestreicht, verfallene Häuser lehnen müde aneinander, aus düsteren Kellerkneipen dringen Grölen, Schweiß und das Geleier einer Ziehharmonika, verkümmerte Bäume wachsen in einen dunkelbraunen Himmel, der niedrig über den schiefen Dächern des Städtchens hängt.
"Die Trostlosigkeit des Tages verwandelte sich in eine träge und verfrühte Nacht", notiert Seylatz knapp, schüttelt die Beklemmung ab, die aus dem halbgefrorenen Boden nach ihm greift, und beschließt, seine degradierende Versetzung als Abenteuer zu nehmen: "Beobachter bleiben, Stoff sammeln, literarisieren: Kränkliche Kastanien, von eisernen Miedern künstlich gestützt!", denkt er, von sich selbst gerührt. Warum nicht wieder ein paar gefühlvolle Gedichte schreiben, denn schließlich ist er nicht einfach nur Justizbeamter, sondern Künstler?
Das ist auch sein Jugendfreund Titus Quitek, den Seylatz drei Schritte die verdreckte Promenade hinunter trifft, ein Maler, der nach Paris wollte, es aber nie weiter als bis in die Weinstube geschafft hat und daher als Zeichenlehrer sein Dasein fristet: "Die Möglichkeit ersprießlicher Bekanntschaften mit wohlgeformten Aktmodellen, intime kleine Feste in gut geheizten Ateliers!" Auf einen Schnaps folgen fünf weitere, und schon werden nach drögen Stadttheatervorführungen, ausufernden Betriebsfeiern und kläglichen Straßenfesten tagein, tagaus höhere Töchter, Dienstmädchen und Fabrikantengattinnen in schäbigen Séparées verführt - mal trotz, mal wegen ihrer wurstigen Beine, ihrer Schlichtheit und ihrem Gänseblick, immer aber, weil sie sonst wohl im Bett eines anderen lägen.
Exzesse, Gier und Geifereien, erzählt von einem grantigen Wiener im gutsitzenden Anzug - schön, kann man denken, schräger Sarkasmus, Zwanziger-Jahre-Zirkus und Avantgarderomantik, aber kennt man das nicht schon, und überhaupt, wird es nicht seinen Grund haben, dass Hans Adler fast ein Jahrhundert lang zu den unbekannteren Autoren der Zeit gezählt hat? Warum soll sich das nun ändern?
Hans Adler schreibt mit einer Schärfe, wie man sie heute kaum noch kennt: seine Boshaftigkeiten über die Existenz stecken im Mantel sprachlicher Schönheit. "Das Städtchen" ist nämlich nicht einfach die brutale, wilde, zerfetzte Karikatur vom Rand der Normalität einer vergangenen Zeit, sondern variiert, wie Schnitte in Endlosbelichtung, einen Gedanken: "Wie gewöhnlich das alles ist."
Heißt das aber nicht, dass man hinter dieser Exzessprosa etwas suchen sollte, große Themen, Lebensgier, Lethargie, und Illusionslosigkeit; dass man einmal wieder kurz den Argumentationshammer der Moderne schwingen sollte, demzufolge all das um die Jahrhundertwende über die Menschheit gekommen ist; dass man, weiter, vermuten sollte, hier nehme einer die böse Gelassenheit eines Thomas Bernhard vorweg, verweise auf die gereizte Melancholie eines Arthur Schnitzler und erinnere in seiner kühlen Brutalität der Darstellung an die spitzen Pinselstriche eines Otto Dix oder George Grosz?
Schön und brutal
Vielleicht. Aber dann liest man weiter, liest von Wachmännern, die mit geröteten Bernhardineraugen hinter Bürgermädchen herblinzeln und ihre borstigen ergrauenden Schnurrbärte durch kunstreiches Heranziehen von Backenbarthaar martialisch verbreitern, trifft auf Oberkommissare mit vom Alkohol gebeizten, fleischigen Gesichtern, auf halbglatzige Realschullehrer, die ihre faden Reden mit französischen Wörtern würzen, und auf fleischige Tenöre, deren dickfaltige Hälse in Wellen übers Revers perlen, und begegnet all den anderen Gestalten dieses Städtchens, die einem ungeheuerlich schön und böse erscheinen, so dass es ist, als wäre man in eine Geisterbahn geraten. Man fragt sich, ob man sich nun fürchten oder freuen soll, weil das alles fast unerträglich lächerlich ist. Schlägt man das Buch dann zu, wieder im Licht der Gegenwart, ist eines klar: "Das Städtchen" schildert das Böse als eine Gegebenheit des Lebens, die hinzunehmen ist, etwas, das einen verärgern, erheitern, verblüffen kann, ohne dass dahinter irgendetwas Unmenschliches stecken muss.
Und genau das ist das Schöne an dieser Literatur: Sie vermeidet es zu kritisieren, eine Gesellschaft, eine Ideologie, eine Ästhetik, sie beschreibt einfach und verschließt sich damit auch der Vorstellung, ein wiederentdecktes Buch sei eine verstaubte Ausgrabung, die nur, wie es bei Adler heißen könnte, mit der leisetreterischen Inbrunst eines von Bildung verfetteten Studienrates zu feiern wäre.
"Das Städtchen" heute zu lesen bedeutet, eine Literatur der Boshaftigkeit zu entdecken, nicht wieder, sondern ganz neu. Hans Adler hat seine Sprachspitzen so geschnitzt und geworfen, dass sie einfach treffen, in diese Welt, auch noch fast hundert Jahre später.
MARA DELIUS
Hans Adler: "Das Städtchen". Roman. Lilienfeld-Verlag, 376 Seiten, 21 Euro
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