Das Publikum war entzückt über das unerwartete Auftauchen eines Fräuleinwunders und begeistert über den glaubwürdigen Ton der Abrechung eines Kindes der 68er, das über das dominierende Lebensgefühl seiner Generation berichtete: Angst, Haltlosigkeit und der Verlust des Urvertrauens. Zu den literarischen Zutaten dieses Erfolgs kamen die Lust an der Selbstinszenierung und ein geschicktes Spiel mit den Medien. Doch danach ging es nur noch bergab.
Die nächsten beiden Romane, "Der Ruf des Muschelhorns" (2000) und "Ein schnelles Leben" (2002) wurden von der Kritik einhellig verrissen, auch der Verkaufserfolg hielt sich in Grenzen. Der Aufbau Verlag, zu dem Zoë Jenny wechselte, verkaufte von ihrem dritten Roman 60 000 Exemplare. Der Jungstar war mit einem attraktiven finanziellen Angebot von der Frankfurter Verlagsanstalt weggelockt worden. Nach Unstimmigkeiten mit dem Aufbau Verlag kehrte Zoë Jenny jetzt mit ihrem vierten Buch zu ihrem Entdecker zurück, dem Verleger Joachim Unseld. Sollen über diesen Umweg nochmals die seligen Anfänge beschworen werden?
Der Sturz vom Sockel demonstriert die exemplarische Karriere eines Jugendidols. Der Weg vom Höhenflug zum Katzenjammer ist auf diesem Feld erstaunlich kurz. Je größer der Erfolg, desto mehr Hohn und Häme drohen beim kleinsten Fehler. Insofern verrät der Fall Zoë Jenny viel über den teils gedankenlosen, teils gnadenlosen Umgang der Branche mit Talenten. Die Crux ihres neuen, vierten Romans zeigt sich allerdings schon im Stoff. Bestechend an ihrem Erstling war, dass er die erbärmlichen Seiten der 68er Helden entlarvte und die Beschädigungen der Kindergeneration nachvollziehbar transportierte. Genau dies missrät mit der Künstlernovelle "Das Porträt". Die Geschichte der jungen Künstlerin Helen, die den steinreichen R. porträtieren soll, der sein Geld mit dubiosen Geschäften in Russland gemacht, und jetzt durch Kunst nobilitiert werden will, entpuppt sich als ein künstlich mit Bedeutung aufgepumptes Konstrukt.
Dabei wäre der Grundgedanke durchaus brauchbar. Zoë Jenny möchte die Figur eines unnahbaren, undurchschaubaren Egozentrikers zeichnen, der die junge Malerin zuerst mit einem atemberaubenden finanziellen Angebot verführt und sie dann in seiner pompösen Villa gefangen nimmt. Immer wieder brechen durch den harmlosen Text irritierende Misstöne, die ahnen lassen, dass der Autorin das komplizierte Psychogramm einer zerrissenen Figur vorschwebte, die nie ganz zu fassen ist und deren abgründige Motive im Dunkeln bleiben. Ein ambitiöser Plan. Allein, um den zwischen Gut und Böse, zwischen Gletscherkälte und Feuer, zwischen Grausamkeit und Hilflosigkeit oszillierenden Charakter zu entwerfen, fehlen der Schriftstellerin die sprachlichen und gestalterischen Mittel. Das ist die Generalschwäche, welche die Kraft des Textkörpers von Anfang an untergräbt.
Die Malerin Helen und ihr Bruder, der Pianist Gabriel, wachsen als Schwesterlein und Brüderlein in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihre Beziehung ist symbiotisch. Was der Bruder mit dämonischem Spiel zum Klingen bringt, will die Schwester mit dem Pinsel auf die Leinwand bannen. Zoë Jenny spricht von Kunst und Wahnsinn - in ihrem Text gerinnt dieser Anspruch zum platten Klischee. Viel zu unschuldig ist die Geschichte, die sich jetzt entspinnt. Schon als Kind beobachtet Helen mit Vorliebe die Tiere im Zoo und zeichnet sie. Mit der Zeit entwickelt sie daraus eine regelrechte Manie. Trifft sie Menschen, setzt sie ihnen in Gedanken Tierköpfe auf. Wo auch immer sie hinschaut, sieht sie Schildkrötenhälse, Froschaugen, schütteres Hyänenhaar oder Affenschädel. Gewiss, ein origineller Einfall, aber die Naivität, mit der er sprachlich umgesetzt wird, lässt den Effekt wie eine Seifenblase zerplatzen.
Naivität grundiert auch Kulisse und Fortgang der Geschichte. Der alte Despot trifft auf die junge Frau, nachdem sie einen Künstlerwettbewerb gewonnen hat. Er bietet ihr einen Vertrag an, der sie verpflichtet, so lange in der Dienstbotenwohnung seines protzigen Anwesens zu wohnen, bis sie sein Bild vollendet hat. Der glitzernde Reichtum, mit dem das Mädchen im Kristallleuchterimperium konfrontiert wird, verstört es nachhaltig. Trotzdem ist es gegenüber dem Geld nicht unempfindlich, sondern lässt sich bereitwillig verführen. Mit der Zeit gerät Helen in eine unerklärliche Abhängigkeit. Einmal will sie fliehen und kehrt aus unerfindlichen Gründen zurück. Die frostige Indifferenz des Kunsthändlers stößt sie ab, sein Hang zu gefühlloser Härte verrät sich, ach Gott, definitiv, als Helen im Garten einen Vogel mit gebrochenem Flügel entdeckt. Während sie das verletzte Tier bergen will, findet er rasch eine effiziente Lösung. Er nimmt den Vogel in die Hand, zerdrückt ihn und wirft ihn der Katze zum Fraß vor. Solche Episoden sind gut gemeint und treuherzig geschrieben, also literarisch völlig unzulänglich. In diesen Passagen touchiert die Schriftstellerin ihre Grenzen. Der Stoff bleibt sperrig, die Figurenzeichnung unglaubhaft, die Atmosphäre unecht, das Drama erzwungen. Authentizität war das Markenzeichen ihres furiosen Debüts - an der Künstlichkeit scheitert sie in ihrem vierten Roman.
PIA REINACHER
Zoë Jenny: "Das Porträt". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt. Frankfurt am Main 2007. 205 S., geb., 20,50 [Euro].
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