der Gegenwart. Nah vielleicht doch durch seine Brüchigkeit und Montagetechnik, durch Zynismus, radikale Zivilisationsskepsis und metaphysische Sehnsüchte. Und was die Abgehobenheit angeht: Auch bei den deutschsprachigen "modernen" Dichtern ging es seinerzeit oft recht verstiegen zu - wie hoch schwang sich der Kammerton von George, Hofmannsthal, Borchardt oder Rilke (die "Duineser Elegien" erschienen ein Jahr nach dem "Waste Land") über die Niederungen des Expressionismus. Doch aus europäischer Sicht gehören diese Lyriker wohl eher zum fin als zum debut de siècle.
Eliots Kurzepos bezieht dagegen in raffinierter stilistischer Antiphonie und unablässig wechselnder Vielstimmigkeit hohe und niedere Stil- und Lebenslagen aufeinander. Die zentralen Themen von Dürre und Durst, Leidenschaft und Liebesverrat, Nihilismus und Sinnsuche werden mit Anklängen an Buddha, die Bibel, antike Mythen, die Gralssage, Dante, die elisabethanischen Dramatiker oder Baudelaire durchgespielt - aber auch in jazzartigen Rhythmen, im Pub- und Cockneymilieu, in parodistischen, von fremdsprachigen Zitaten durchschossenen, schroff gegeneinandergesetzten Sprachblöcken.
Das zum Fragment stilisierte Ganze, vom Autor abwiegelnd als "Stück rhythmischer Quengelei" bezeichnet, ist nicht zuletzt auch Zeugnis einer privaten Ehe- und Lebenskrise - und zugleich das große Nachkriegsgedicht Europas im Angesicht seiner Zertrümmerung. In einem editorischen Geniestreich hat Ezra Pound, der Freund und Förderer, mehr als die Hälfte des zunächst ausufernden Textes gnadenlos gestrichen und so seine dichterische Größe, seine ureigene Rhythmik und Bildwelt erst richtig ans Licht gebracht. Der Leser ist aufgerufen, sich höchst aktiv auf dieses faszinierend vertrackte Konglomerat einzulassen, unterstützt (oder verwirrt) durch den umfänglichen Anmerkungsteil, den der Dichter gleich mitliefert; er sei viel populärer geworden als der Text selbst, bemerkt Eliot einmal mit einem Seitenblick auf das Heer seiner akademischen Ausleger.
Es versteht sich, dass ein solches Werk enorme Anforderungen an seine Übersetzer stellt. Insgesamt ist die deutsche Eliot-Rezeption einigermaßen diffus verlaufen. Die letzte Ausgabe seiner Gesammelten Gedichte nennt im Impressum nicht weniger als achtzehn verschiedene Übersetzer; entsprechend schwankend ist die Qualität der Sammlung. Weder die achtbare frühe Übertragung des "Waste Land" durch Ernst Robert Curtius noch die spätere, ausdrucksstarke, aber zuweilen zwischen Preziosität und Schnoddrigkeit schlingernde Version von Eva Hesse konnte das Gedicht bei uns einbürgern. Ein gewisser übersetzerischer Handlungsbedarf war also gegeben. Früher oder später musste sich eine neue Generation an dieser poetischen Herausforderung bewähren.
Norbert Hummelt, geboren vierzig Jahre nach Erscheinen des "Waste Land", als Dichter eher unaufregend, greift bei seinen Lyrikübertragungen gern nach den Sternen. So hat er die erste Gesamtausgabe von Yeats' Gedichten betreut und maßgeblich mitübersetzt; vor kurzem legte er im "Schreibheft" seine Fassung von Eliots komplexem Spätwerk "The Four Quartets" vor; und dieses Jahr, wieder zuerst im "Schreibheft", danach, leicht verbessert, im Nobelclub der Bibliothek Suhrkamp, sein "Ödes Land". Die Übertragung verdankt sich einer Ausschreibung des Literaturhauses Bremen für ein im Internet zu realisierendes Projekt. Sie wurde in nur drei Monaten verfertigt und in zwölf wöchentlichen Lieferungen ins Netz gestellt. Lange schon verspürte der Übersetzer die Faszination Eliots, hat die Schauplätze der "Four Quartets" gewissenhaft bereist und bekennt in einem Gedicht: "leicht angewinkelt nur um / einzuschlafen hör ich bei nacht die eliot-cassetten / halboffnen munds verwundert unverwandt". Georgesche Kleinschreibung, Interpunktionslosigkeit und willkürliche Schnitte, die Prosa in Vers verwandeln, verraten die experimentelle Neigung.
Auf der Rückseite des Suhrkampschen Schutzumschlags prangt als repräsentative Kostprobe des Ganzen der berühmte Auftakt "April is the cruellest month" in eben der Formulierung, die über dieser Rezension steht. Wrong from the start, möchte man mit Ezra Pound rufen, und Hummelt weiß das auch. In einer seiner Fußnoten im "Schreibheft" bekennt er den Verstoß der Zeile gegen Rhythmik und Wörtlichkeit, aber die Version "stellte sich ein und will seither nicht weichen". Mit seinem Adjektiv für die Grausamkeit des Frühlings greift er ebenso beherzt daneben wie wenig später mit der Behauptung, dieser mische "Erinnerung mit Lust" (mixing memory and desire): solches Begehren quält, statt zu beglücken.
Der vers libre, hinter dem man im Original immer den Blankvers der Shakespeare-Zeit spürt, geht dem Übersetzer auf weite Strecken ganz flüssig von der Feder, nicht ohne hie und da in ärgerliche Arhythmien zu stolpern. Der abenteuerlich verästelte Satzbau großartiger Passagen, im Deutschen ohnehin schwer nachzubilden, wird kurzerhand zurechtgestutzt. Mit gereimten Textstellen kann Hummelt - das hat er bei Yeats und in den "Four Quartets" zur Genüge bewiesen - leider gar nicht umgehen: Da gibt es fast nur verbalen Krampf oder Reimverlust. Ein ironisches Sonett, das in Parodie des petrarkistischen Liebeskultes eine banale Sexszene schildert, verschwindet bei ihm, was die Form angeht, spurlos.
Zusätzlich zu ihrer besonderen Gedichtform ist die Passage auch noch in recht gehobenem Stil gehalten: "he . . . / endeavours to engage her in caresses / Which still are unreproved if undesired / . . . His vanity requires no response, / And makes a welcome of indifference." Anders als Eva Hesse löst Hummelt die Eleganz in Plattitüden auf: "Er wagt es, ihr mit Zärtlichkeit zu kommen, / Lust hat sie keine, doch sie schimpft nicht sehr . . . / Solche Borniertheit braucht kein Gegenüber, / Sie fühlt rein nichts und er sich aufgenommen." Die Plattheit macht an anderem Ort auch vor den raren Ekstasen der Liebe nicht halt: "my eyes failed, I was neither / Living nor dead, and I knew nothing" wird zu "ich sah auch nichts mehr, ich fühlte mich weder / Tot noch lebendig, und alles war weg." Die Antiklimax präsentiert sich als Übersetzer-Zutat.
Die vielen fremdsprachigen Einsprengsel, die weithin sichtbar die triste Gegenwart mit der großen europäischen Tradition überblenden, scheinen Hummelt eher zu stören. So lichtet er die polyglotte Fragmenthäufung in der Coda des Gedichts, indem er einen Dante-Vers eindeutscht, "durchaus mit Unbehagen an Eliots Zitatenberg", oder er übersetzt, aber nur teilweise, eine Zeile Baudelaires - nach welchem Prinzip? (Dafür dürfen wir Eliots Anmerkungen zweisprachig lesen: sie haben einst die Publikation auf Buchlänge gestreckt, und ihr Original dient hier offenbar demselben Zweck.)
Ein besonderes Problem bieten die häufigen Zitatbezüge auf die ältere englische Literatur, die dem deutschen Leser meist unvertraut sind. Wie soll man sie markieren? Hummelt bringt die Zeit- und Stildifferenz, auf die es ankäme, durch entschlossene Aktualisierung zum Verschwinden. Wenn die Abschiedsworte nach einem Pub-Abend in die Rede der wahnsinnigen Ophelia übergehen ("Ta ta. Goonight . . . good night, ladies, goodnight, sweet ladies"), heißt das bei ihm "Gut's Nächtle . . . Gute Nacht, Mädels, gute Nacht, ihr Süßen . . ." Wenn der Schluss der schäbigen Verführungsszene Goldsmiths Lied einer Verführten anzitiert, die ihre Schande nicht überleben will ("When lovely woman stoops to folly"), so wird daraus, ebenso zeitgemäß wie widersinnig, "Wenn Pretty Woman sich getäuscht hat . . .". "Warum auch nicht, passt schon. Hieronymo dreht wieder durch." Dies der unüberbietbare Schlussvers der Übersetzung, dem man seine Herkunft aus einem vorshakespeareschen Drama über Liebe und Wahnsinn nicht mehr ansieht. Na wenn schon - es gibt ja noch die Anmerkungen.
- T.S. Eliot: "Das öde Land". Englisch und deutsch. Übertragen und mit einem Nachwort versehen von Norbert Hummelt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 71 S., geb., 16,80 [Euro].
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