Tanguy Viel
Gebundenes Buch
Das Mädchen, das man ruft
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Laura, bildschön und Anfang zwanzig, ist wieder in die Bretagne zurückgekehrt. Nun braucht sie erstens eine Wohnung und zweitens einen Job. Dass der Bürgermeister persönlich bei seinem alten Freund im Casino ein gutes Wort für sie einlegt, bleibt nicht folgenlos. Ihr Vater Max, einst französischer Boxmeister, steigt nach Jahren wieder in den Ring. Es sind noch einige alte Rechnungen offen in der kleinen bretonischen Stadt am Meer, in der diese Tragödie um Sex und Macht, Schicksal und Gerechtigkeit die Figuren unausweichlich zu Dominosteinen macht. Als Laura Monate später den nun ehemal...
Laura, bildschön und Anfang zwanzig, ist wieder in die Bretagne zurückgekehrt. Nun braucht sie erstens eine Wohnung und zweitens einen Job. Dass der Bürgermeister persönlich bei seinem alten Freund im Casino ein gutes Wort für sie einlegt, bleibt nicht folgenlos. Ihr Vater Max, einst französischer Boxmeister, steigt nach Jahren wieder in den Ring. Es sind noch einige alte Rechnungen offen in der kleinen bretonischen Stadt am Meer, in der diese Tragödie um Sex und Macht, Schicksal und Gerechtigkeit die Figuren unausweichlich zu Dominosteinen macht. Als Laura Monate später den nun ehemaligen Bürgermeister schließlich anzeigt, ist das Urteil längst gesprochen. Denn: Sie wollte es doch auch ...Tanguy Viel macht ein brutales, aktuelles Thema konkret, indem er es in die Provinz verschiebt. Er vergrößert, indem er verkleinert. Sein einzigartiger Stil erzwingt eine beunruhigende Untergrundspannung, fokussiert genau, lässt Bewegungen und Blicke sprechen. Ein Roman über Ohnmacht und Macht,ein stilistisches Kunstwerk, ein politisches Statement.
Tanguy Viel, geboren 1973 in der Bretagne, ist noch immer am liebsten dort. Beziehungsweise bei gutem Wind auf einem Segelboot vor deren Küste. Er lebt, liebt, liest und schreibt meist in Tours und Beaugency, nur selten in Paris. Er wurde mit dem Prix Fénéon und dem Prix de la Vocation ausgezeichnet und war mit seinem Roman 'Das Mädchen, das man ruft' für den Prix Goncourt nominiert. Mit Hinrich Schmidt-Henkel haben seine hochgelobten, stilistisch ausgefeilten Romane ihren idealen Übersetzer gefunden.
Produktdetails
- Quartbuch
- Verlag: Wagenbach
- Originaltitel: Das Mädchen, das man ruft
- Artikelnr. des Verlages: 3345
- Seitenzahl: 154
- Erscheinungstermin: 15. März 2022
- Deutsch
- Abmessung: 219mm x 144mm x 20mm
- Gewicht: 304g
- ISBN-13: 9783803133458
- ISBN-10: 3803133459
- Artikelnr.: 62901490
Herstellerkennzeichnung
Wagenbach Klaus GmbH
Emser Strasse 40/41
10719 Berlin
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Niklas Bender findet Gefallen an diesem düsteren neuen Polit- und Boxerroman des französischen Schriftstellers Tanguy Viel. Er erzählt zwei miteinander verbundene Geschichten vor der Kulisse der vielgesichtigen Bretagne: der erste Teil des Buches umfasst die Geschichte der zwanzigjährigen Laura Le Corre, die bei einer Polizeibefragung rückblickend davon erzählt, wie sie Opfer des Ministers für maritime Angelegenheiten wurde. Der zweite Teil befasst sich mit der Boxerkarriere von Lauras Vater und tragischerweise auch Initiator des Kontakts zwischen der Tochter und dem Minister, erklärt Bender. Die vielleicht nicht sonderliche komplexe Handlung funktioniert ihm zufolge durch die angedeutete und gut aufgebaute Spannung, Auch, wenn ihn der erste Teil des Buches deutlich mehr mitgerissen hat als der absehbare zweite, so findet der Rezensent das Buch insgesamt sehr lohnend und reflektiert, vor allem hinsichtlich der Frage, was Einverständnis bedeutet, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Die subtilen Tricks des Lüstlings
Tanguy Viel erzählt in seinem Politroman "Das Mädchen, das man ruft" von einem Sexskandal in der französischen Provinz
Tanguy Viel hat in etwas mehr als zwanzig Jahren ein feines OEuvre geschaffen, das den Leser mit jedem neuen Roman ins Herz der Finsternis verschifft (ja, ein Skipper ist Viel auch). Nur liegt das nicht in einem fernen exotischen Dschungel, wie Joseph Conrad oder Francis Ford Coppola vermutet haben, sondern in der eher frischen Bretagne. Eine vielgesichtige Region, der Viel - an Claude Chabrols Kino geschult - neben pittoresken Elementen vor allem eine geschichtete Sozialwelt abgewinnt: traditionelle Codes, spätfeudal-großbürgerliche Verhaltensweisen. Das zeigt
Tanguy Viel erzählt in seinem Politroman "Das Mädchen, das man ruft" von einem Sexskandal in der französischen Provinz
Tanguy Viel hat in etwas mehr als zwanzig Jahren ein feines OEuvre geschaffen, das den Leser mit jedem neuen Roman ins Herz der Finsternis verschifft (ja, ein Skipper ist Viel auch). Nur liegt das nicht in einem fernen exotischen Dschungel, wie Joseph Conrad oder Francis Ford Coppola vermutet haben, sondern in der eher frischen Bretagne. Eine vielgesichtige Region, der Viel - an Claude Chabrols Kino geschult - neben pittoresken Elementen vor allem eine geschichtete Sozialwelt abgewinnt: traditionelle Codes, spätfeudal-großbürgerliche Verhaltensweisen. Das zeigt
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sein neuester Roman, "Das Mädchen, das man ruft", durch einen früheren Titel, den der Autor erwogen hatte: "Ancien Régime". Auch erahnt man hinter der befestigten Stadt am Meer Saint-Malo als Setting. Dem provinziellen Rahmen zum Trotz dockt Viels Roman an MeToo- Aktualitäten an - freilich dreht er die Schwarz-Weiß-Tendenz der Debatte in eine subtile Untersuchung von Grauzonen.
Der Titel des Romans ist die Übersetzung des englischen Fachausdrucks "Callgirl". So bezeichnet sich ironisch die zwanzigjährige Laura Le Corre, als sie auf dem Polizeirevier erscheint und Anzeige erstattet gegen den bekanntesten Sohn des Städtchens: Quentin Le Bars, vor Kurzem noch Bürgermeister, jetzt Minister für maritime Angelegenheiten. Ein Gutteil des Romans wird im Rückblick der polizeilichen Befragung erzählt, ein Vorgehen, das der Leser aus Viels Vorgängerroman "Selbstjustiz" kennt; allerdings wurde dort in einem Verhör der Weg eines Mörders zu seiner Tat nachgezeichnet.
Laura ist das Opfer: tragischerweise von Max, ihrem eigenen Vater, in Le Bars' Fänge getrieben, unwissentlich und wider Willen. Denn als seine Tochter in die Heimatstadt zurückkam, hatte Max als Fahrer des Bürgermeisters gehofft, Letzterer könne ihr zu einer Wohnung verhelfen. Le Bars hatte sie im Casino seines Spezis Franck Le Bellec untergebracht und ihr einen Job als Animierdame verschafft. Der Preis der Gefälligkeit: tägliche Bezahlung in Natur, während Max nichts ahnend im Dienstwagen wartete. So weit Plot eins.
Doch Viel fährt zweigleisig: Die Geschichte von schlüpfrigem Amtsmissbrauch verflicht er mit einer Boxerstory. Max, 2002 französischer Meister im Halbschwergewicht, will es mit vierzig noch mal wissen; sein Manager: ausgerechnet Le Bellec. Max' erste Laufbahn hatte dessen Aufstieg begründet und endete dank Le Bellecs Schwester Hélène - diese "fatalste aller Nutten an der bretonischen Küste" hatte den Boxer in ein Nachtleben ohne Morgen gerissen. Jetzt, sieben Jahre später, verdirbt eine welkende Hélène auch das Comeback: Sie informiert Max darüber, was der Chef mit seiner Tochter treibt. Max verliert seinen Kampf, wird schwer verletzt, sinnt auf Rache.
Im Aufbau ist der knappe Roman simpel: Der erste Teil berichtet die Geschichte von Lauras Verführung bis zu dem Punkt, wo Hélène Max die Augen öffnet. Teil zwei zeigt, wie Max verliert - eine traurig-schöne Szene von großer körperlicher Intensität -, seinen Krankenhausaufenthalt, Lauras Versuch, ihm zu helfen, ihren Gang zur Polizei und schließlich einen kleinen Showdown mit immerhin symbolischer Vergeltung. "Das Mädchen, das man ruft" funktioniert also nicht über komplexe Architektur, sondern durch eine per Andeutung gut aufgebaute Spannung und anschwellenden dramatischen Druck.
Der Spannungsbogen entspricht der doppelten Handlung: Erst verfolgt man ängstlich, ob Laura Le Bars' Manipulationen erliegt; dann hofft man auf die Revanche des Boxers. Allerdings ist der erste Teil weit mitreißender, die Boxer-Geschichte wirkt absehbar. Denn wenn Viel mehrere Paradestücke gelingen, ist das größte doch, wie präzise er die subtilen Tricks zeigt, dank derer es dem 48 Jahre alten Le Bars gelingt, eine junge Frau zu Intimitäten zu zwingen, die sie gar nicht will. Laura ist als ehemaliges Fotomodell der leicht und unbekleideten Art bereits erfahren und hellsichtig; dennoch bringt Le Bars sie in die psychologischen Grau- und Gleitzonen, die etwas selbstverständlich erscheinen lassen, was eigentlich abwegig ist.
Zweitens zeigt Viel den Doppelmissbrauch der Körper, den des Mannequins und den des Boxers, als Klassenphänomen: "Seinerzeit hätten sie sich beinahe auf benachbarten Plakaten begegnen können, Vater und Tochter an den Granitwänden, den Körper weitgehend entblößt, der magnetische Blick dazu bestimmt, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dabei einander entgegengesetzt, da sie jeweils die archetypischen maskulinen und femininen Signale ausstrahlten - er das muskelbepackte Biest, dessen geschwollene Adern Kraft und Virilität verströmten, sie ganz laszive Kurven und gebleichte Zähne, mit denen sie sich auf die Unterlippe biss." In der Unterschichtsfamilie verkauft man seinen Leib, auf die eine oder andere Weise, und nie ganz freiwillig.
Schließlich durchkämmt Viel eindringlich provinziellen Filz und Klüngel. Politik und Halbwelt treffen sich im "Neptun", der Bürgermeister und Le Bellec intrigieren, "zwei Spinnen, deren Netze schon seit so langer Zeit miteinander verwoben waren, dass beide nicht mehr feststellen konnten, welche Drüse den Faden gesponnen hatte, der sie zusammenhielt". Mit einem "geringen Wortschatz" - "dessen konkrete Bezüge in abseitigen Winkeln ihrer Rede verborgen waren" - setzen sich die zwei ins Vernehmen. Französische Rezensenten haben nicht zufällig mehrere Politikskandale der letzten Jahre wiedererkennen wollen. Auch wenn das die Karikatur streift: Viel ist eine schöne schwarze Fabel gelungen, nicht ganz so komplex wie "Paris-Brest", aber sehr klug in der Reflexion auf die Frage, was Einverständnis bedeutet und wie man es erzwingen kann. NIKLAS BENDER
Tanguy Viel:
"Das Mädchen, das man ruft". Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-
Henkel. Wagenbach-Verlag, Berlin 2022.
160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Titel des Romans ist die Übersetzung des englischen Fachausdrucks "Callgirl". So bezeichnet sich ironisch die zwanzigjährige Laura Le Corre, als sie auf dem Polizeirevier erscheint und Anzeige erstattet gegen den bekanntesten Sohn des Städtchens: Quentin Le Bars, vor Kurzem noch Bürgermeister, jetzt Minister für maritime Angelegenheiten. Ein Gutteil des Romans wird im Rückblick der polizeilichen Befragung erzählt, ein Vorgehen, das der Leser aus Viels Vorgängerroman "Selbstjustiz" kennt; allerdings wurde dort in einem Verhör der Weg eines Mörders zu seiner Tat nachgezeichnet.
Laura ist das Opfer: tragischerweise von Max, ihrem eigenen Vater, in Le Bars' Fänge getrieben, unwissentlich und wider Willen. Denn als seine Tochter in die Heimatstadt zurückkam, hatte Max als Fahrer des Bürgermeisters gehofft, Letzterer könne ihr zu einer Wohnung verhelfen. Le Bars hatte sie im Casino seines Spezis Franck Le Bellec untergebracht und ihr einen Job als Animierdame verschafft. Der Preis der Gefälligkeit: tägliche Bezahlung in Natur, während Max nichts ahnend im Dienstwagen wartete. So weit Plot eins.
Doch Viel fährt zweigleisig: Die Geschichte von schlüpfrigem Amtsmissbrauch verflicht er mit einer Boxerstory. Max, 2002 französischer Meister im Halbschwergewicht, will es mit vierzig noch mal wissen; sein Manager: ausgerechnet Le Bellec. Max' erste Laufbahn hatte dessen Aufstieg begründet und endete dank Le Bellecs Schwester Hélène - diese "fatalste aller Nutten an der bretonischen Küste" hatte den Boxer in ein Nachtleben ohne Morgen gerissen. Jetzt, sieben Jahre später, verdirbt eine welkende Hélène auch das Comeback: Sie informiert Max darüber, was der Chef mit seiner Tochter treibt. Max verliert seinen Kampf, wird schwer verletzt, sinnt auf Rache.
Im Aufbau ist der knappe Roman simpel: Der erste Teil berichtet die Geschichte von Lauras Verführung bis zu dem Punkt, wo Hélène Max die Augen öffnet. Teil zwei zeigt, wie Max verliert - eine traurig-schöne Szene von großer körperlicher Intensität -, seinen Krankenhausaufenthalt, Lauras Versuch, ihm zu helfen, ihren Gang zur Polizei und schließlich einen kleinen Showdown mit immerhin symbolischer Vergeltung. "Das Mädchen, das man ruft" funktioniert also nicht über komplexe Architektur, sondern durch eine per Andeutung gut aufgebaute Spannung und anschwellenden dramatischen Druck.
Der Spannungsbogen entspricht der doppelten Handlung: Erst verfolgt man ängstlich, ob Laura Le Bars' Manipulationen erliegt; dann hofft man auf die Revanche des Boxers. Allerdings ist der erste Teil weit mitreißender, die Boxer-Geschichte wirkt absehbar. Denn wenn Viel mehrere Paradestücke gelingen, ist das größte doch, wie präzise er die subtilen Tricks zeigt, dank derer es dem 48 Jahre alten Le Bars gelingt, eine junge Frau zu Intimitäten zu zwingen, die sie gar nicht will. Laura ist als ehemaliges Fotomodell der leicht und unbekleideten Art bereits erfahren und hellsichtig; dennoch bringt Le Bars sie in die psychologischen Grau- und Gleitzonen, die etwas selbstverständlich erscheinen lassen, was eigentlich abwegig ist.
Zweitens zeigt Viel den Doppelmissbrauch der Körper, den des Mannequins und den des Boxers, als Klassenphänomen: "Seinerzeit hätten sie sich beinahe auf benachbarten Plakaten begegnen können, Vater und Tochter an den Granitwänden, den Körper weitgehend entblößt, der magnetische Blick dazu bestimmt, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dabei einander entgegengesetzt, da sie jeweils die archetypischen maskulinen und femininen Signale ausstrahlten - er das muskelbepackte Biest, dessen geschwollene Adern Kraft und Virilität verströmten, sie ganz laszive Kurven und gebleichte Zähne, mit denen sie sich auf die Unterlippe biss." In der Unterschichtsfamilie verkauft man seinen Leib, auf die eine oder andere Weise, und nie ganz freiwillig.
Schließlich durchkämmt Viel eindringlich provinziellen Filz und Klüngel. Politik und Halbwelt treffen sich im "Neptun", der Bürgermeister und Le Bellec intrigieren, "zwei Spinnen, deren Netze schon seit so langer Zeit miteinander verwoben waren, dass beide nicht mehr feststellen konnten, welche Drüse den Faden gesponnen hatte, der sie zusammenhielt". Mit einem "geringen Wortschatz" - "dessen konkrete Bezüge in abseitigen Winkeln ihrer Rede verborgen waren" - setzen sich die zwei ins Vernehmen. Französische Rezensenten haben nicht zufällig mehrere Politikskandale der letzten Jahre wiedererkennen wollen. Auch wenn das die Karikatur streift: Viel ist eine schöne schwarze Fabel gelungen, nicht ganz so komplex wie "Paris-Brest", aber sehr klug in der Reflexion auf die Frage, was Einverständnis bedeutet und wie man es erzwingen kann. NIKLAS BENDER
Tanguy Viel:
"Das Mädchen, das man ruft". Roman.
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-
Henkel. Wagenbach-Verlag, Berlin 2022.
160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Eine kleine Hafenstadt in der Bretagne: Max Le Corre, ein abgehalfterter Boxer, der als Chauffeur des Bürgermeisters Quentin Le Bars arbeitet, legt bei seinem Chef ein gutes Wort für seine Tochter ein. Die 20-jährige Laura ist gerade aus Rennes zurückgekehrt und sucht in ihrer …
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Eine kleine Hafenstadt in der Bretagne: Max Le Corre, ein abgehalfterter Boxer, der als Chauffeur des Bürgermeisters Quentin Le Bars arbeitet, legt bei seinem Chef ein gutes Wort für seine Tochter ein. Die 20-jährige Laura ist gerade aus Rennes zurückgekehrt und sucht in ihrer Heimatstadt nun eine Wohnung und einen Job. Und siehe da: Le Bars lässt seine Beziehungen spielen und besorgt ihr beides innerhalb kürzester Zeit - jedoch nicht ohne Hintergedanken, denn ohne gewisse "Gefälligkeiten" macht so ein Provinzbürgermeister schließlich keinen Finger krumm...
"Das Mädchen, das man ruft" ist der neue Roman des französischen Autors Tanguy Viel, der kürzlich im Wagenbach-Verlag erschienen ist. Der Roman mit dem recht sperrigen Titel ist eine Mischung aus Krimi und Sozialdrama und punktet vor allem durch seine originelle Erzählweise. Denn Viel breitet auf gerade einmal 160 Seiten das gesamte Spektrum seines literarischen Könnens nahezu komplett aus und trifft dabei zumeist den richtigen Ton.
Zugegebenermaßen dauert es eine Weile, bis man sich als Leser:in an die vielen Verschachtelungen und an den Bewusstseinsstrom gewöhnt, an die endlos wirkenden Bandwurmsätze, die zum Teil ganz oben auf einer Seite beginnen und sich manchmal bis über die Seitenmitte hinwegziehen, hier einen Schlenker einlegen, um Boxer Max apathisch in einer Autowaschanlage zu beobachten oder sich plötzlich im Casino der Stadt wiederfinden, wo Bürgermeister Quentin Laura gerade besucht, um sich eine der besagten "Gefälligkeiten" abzuholen und dabei nicht aufgehalten wird, weder von Casino-Inhaber Franck, der aber ohnehin ein recht schmieriges Bündnis mit dem Bürgermeister eingegangen ist, so glauben wir es zumindest, wenn wir uns die erste Szene in Erinnerung rufen, noch von Francks Schwester Hélène, von der man sich dann als Leser:in doch noch eine gewisse Unterstützung für Laura erhoffte, aber Pustekuchen.
Mir gelingt es natürlich nicht einmal ansatzweise, so gut zu formulieren, aber der oben stehende Satz könnte zumindest als exemplarisch betrachtet werden. Nach den geschilderten Anpassungsschwierigkeiten fand ich diesen Erzählstil jedenfalls durchaus gelungen, auch wenn Viel es bei seinen Metaphern manchmal übertreibt und nicht jede davon sitzen mag.
Durch den Schreibstil wirkt die eigentliche Handlung jedoch recht aufgebauscht, denn die Geschichte ist relativ simpel zusammenzufassen: Ein junges Mädchen in Not lässt sich sexuell von einem Machtmenschen ausnutzen, ohne direkt dagegen zu protestieren, während ihr naiver Boxer-Vater den Bürgermeister sogar noch zu diesen Treffen karrt. Ein wenig "MeToo in der Bretagne" und thematisch recht gefällig, denn wer mag schon Widerworte dagegen erheben, dass eine solche Geschichte ihre Berechtigung hat, erzählt zu werden?
Dennoch gelingt es dem Autoren über weite Strecken ziemlich gut, trotz der simplen Handlung einen veritablen Spannungsbogen aufzubauen, denn tatsächlich fiel es mir schwer, vorauszusehen, in welche Richtung sich diese Geschichte denn nun entwickeln wird.
Und so ist die größte Schwäche in meinen Augen auch gar nicht die Handlung, sondern es sind die Figuren, die fast schon erschreckend eindimensional geraten sind. Auf der einen Seite der Bürgermeister, ein korrupter Machtmensch aus dem Lager "Old White Man" und sein Lakai Franck, ein Provinzlude im weißen Anzug - auf der anderen Seite Laura, eine Art Fille Fatale, die sich ihrer Reize durchaus bewusst ist, aber nicht in der Lage scheint, gegen den Missbrauch zu protestieren und ihr völlig verblödeter Boxer-Vater, der offenbar nicht erst im letzten Boxkampf seine finalen Hirnzellen geopfert hat. Gerade Boxer Max ist ein echtes Ärgernis, denn selbst Tanguy Viel scheint keine große Empathie für den armen Tropf übrig zu haben. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass auch ich keinen Zugang zu den Figuren fand und mir ihr Schicksal größtenteils leider egal blieb.
Insgesamt ist "Das Mädchen, das man ruft" trotz dieser Kritikpunkte ei
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