den am meisten beargwöhnten andererseits zählen. Da so gut wie jeder Deutsche es schon einmal mit einem Arzt zu tun hatte, verfügen wir über eine Millionenheer an Insidern bei dieser Thematik: eine potentielle Leserschar, die jedem Verleger das Eurozeichen in die Augen treibt.
Ein Outsider packt ein? Das wäre das Normale. Aber ein auspackender Insider, das ist immer noch das Unnormale, Spektakuläre. Und so kann es natürlich gar nicht anders sein, als dass sich ein studierter und vormals praktizierender Mediziner, der sich längst für den Journalismus als zweiten Berufsweg entschieden hat, als Nestbeschmutzer verkaufen lassen muss, wenn er Auflage erzielen will. Dabei ist Werner Bartens, 1966 in Göttingen geboren und heute als Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung", über diesen Verdacht erhaben. Leider nur hat man sein Buch als "Das Ärztehasserbuch" überschrieben, ein Irreführung der gröberen Art. Denn Bartens hasst seinesgleichen gar nicht, dazu war er zu lange Teil des Systems. Er versteht einfach, was vor sich geht - und das ist schlimm genug.
Niedergeschrieben hat er das in einer Art Glossa continua der alltäglichen Katastrophen aus dem Medizinbetrieb. "Eine seltsame Art der Verrohung, eine stetig anschwellende Gefühllosigkeit, die angehende Doktoren während der Verwandlung vom idealistischen Novizen im Medizinstudium zum abgebrühten Assistenzarzt durchmachen", diese Metamorphose hat Bartens selbst bei sich diagnostiziert, und immer wieder kommt er auf seine privaten Empfindungen zurück (die schließlich dazu führten, dass er sich vom Arztberuf abwandte). Der Befund ist trostlos. So trostlos, dass ihm Bartens durch eine Erzähltherapie zu Leibe rückt. Zwei Drittel seines Buches schreibt er sich in zahlreichen, stets nur wenige Seiten kurzen Fallgeschichten den Frust von der Seele. Alle Fälle, mit denen er seine Medizinkritik illustriert, sollen authentisch sein. Sir reichen von einfachen Benimmpannen bis hin zu gröbsten Fahrlässigkeiten.
Von Menschenhandel und Flurlazaretten wird berichtet; von der gezielten Austrocknung von Patienten, um sie rechtzeitig vor dem Wochenende in eine Klinik abschieben zu können; von flächendeckender Krankrederei und absichtlichen Fehldiagnosen; vom Kongressbetrieb inklusive Pharmastrich und rasender Geldgier; von der Abweisung von Notfallpatienten aus ökonomischen Gründen. Neuzeitliche Marketinginstrumente greifen längst in der Ärzteschaft. Wohlfühl- und Umweltmedizin, Check-ups gegen alles und jeden, Basarmentalität in den Praxen, Barzahler und ausländische Kunden ("Arabergestüt") sind hochwillkommen, Privatpatienten werden bevorzugt.
Dass sich viele Ärzte vom Funktionsrädchen in einem hierarchischen Kliniksystem zum Patientenhasser entwickeln, das hat man als "AOK-Schwein" (Synonym für finanziell uninteressante Krankenkassenpatienten) geahnt; die Deutlichkeit, mit der Bartens diese epidemische Entwicklung herausarbeitet, beunruhigt dann doch, auch wenn keiner der Vorhalte neu ist. Im Gegenteil: "Die Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meinem Vermögen und Urteil, mich davon fernhalten, Verordnungen zu treffen zu verderblichem Schaden und Unrecht" - diese Worte des Hippokrates scheinen gründlich in Vergessenheit geraten zu sein. Wie Bartens die menschlichen Unzulänglichkeiten vieler Mediziner schildert, bleibt nur der Umkehrschluss: sie sind es, die Hilfe bräuchten.
Oder wenigstens eine dauerhafte Weiterbildung im Umgang mit dem Mitmenschen, der sich ihnen anvertrauen muss. Auswege aus der Misere hat auch Bartens keine anderen anzubieten als die gängigen. Eine dreigliedrige Ausbildung für Ärzte, damit endlich die Pseudoforschung ein Ende hat: Klinische Ärzte sollen sich ausschließlich um die Versorgung der Patienten kümmern; wissenschaftlich arbeitende Mediziner treiben in Labors die medizinische Grundlagenforschung voran; klinische Forscher unternehmen Studien mit Patienten, testen neue Medikamente oder Therapieverfahren.
Kein Thema ist ein so zuverlässiger Quotenbringer wie die Gesundheit, das gilt eben auch für das populäre Sachbuch, ein Genre, das Bartens hier gezielt beackert - wohl wissend, dass solche Bücher bei der Medizinerprofession entweder Hochmut oder Nichtbeachtung ernten, obwohl der Autor erkennbar um Fairness und verständliche Darstellung bemüht ist. Wenn er einer breiten Leserschaft zu einem Mehr an Mündigkeit und Selbstbewusstsein verhilft, hat er seinen Zweck schon erfüllt.
Aber Werner Bartens ist nicht der einzige ehemalige Mediziner, der aus dem beständigen Spannungsfeld Arzt-Patient Funken schlagen will. Der ein Jahr jüngere Eckart von Hirschhausen, der auch als Medizin-Kabarettist auftritt, geht das Thema von der lustigen Seite aus an und simplifiziert es zu Tode. In der boomenden Serie von Übersetzungshilfen zwischen Deutsch und Männern, Deutsch und Frauen, Deutsch und Chefs, lag die Arztvariante zu nah, um sie auszulassen. Das Resultat liegt derzeit an vielen Tankstellen und belegt seit fünf Wochen den Spitzenplatz der Taschenbuchbestseller. Von Hirschhausen erklärt Fachausdrücke, lässt dabei aber wenn möglich keinen Kalauer aus - wie etwa den von der "Praxis-Eröffnungs-Salbe", als die Kortisonpräparate gelten, weil man damit kurzfristig "beinahe jede Hautkrankheit" bekämpfen kann. Er bietet Verständnishilfen wie diese: "Arzt sagt: Natürlich sollten wir eine Brucellose ausschließen. Arzt meint: Ich hatte neulich ein Fortbildung über Maltafieber, aber noch nie einen Patienten, der das auch hat." Im Kern liegt diesem Klamauk das gleiche Unbehagen zugrunde, das auch Bartens artikuliert. Wo Bartens nach Lösungen sucht, setzt von Hirschhausen auf den Schenkelklatscher.
HANNES HINTERMEIER.
Werner Bartens: "Das Ärztehasserbuch". Ein Insider packt aus. Knaur Taschenbuch Verlag, München 2007. 240 S., br., 7,95 [Euro].
Eckart von Hirschhausen: "Arzt-Deutsch/Deutsch-Arzt". Langenscheidt Verlag, München 2007. 128 S., br., 9,95 [Euro].
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