Wort durch "Hotel" - die Teheraner Zuschauer, Kinder der Revolution, wussten ohnehin, dass das Pferd keiner Revolution an einem Ort stehenbleiben wird.
So erzählt es Parsua Bashi in ihren "Briefen aus Teheran", einer Sammlung farbiger Pastiches über den Alltag in der quirligen Stadt, aber eben auch über das Schwergewicht des moralisch-politischen Systems, das mitunter skurrile Blüten treibt. Die Autorin und Grafikerin, Jahrgang 1966, balancierte selbst virtuos auf dem Seil der Zensur - meistens mit leisem Triumph: Ihr Bild für Programmhefte etwa verbarg in den Bögen der persischen Buchstaben Herz, Schere oder Messer. Die Figuren verrieten Eingeweihten, dass Stück wie Programm radikale Schnitte über sich ergehen hatten lassen müssen. Parsua Bashis Anliegen ist es, Europäer gleichsam an der Hand in die inneren Speicher dieser Stadt zu führen. Sie erzählt einfühlsam, fast etwas schalkhaft, jenseits westlicher Klischees, von Unterdrückung ebenso wie von Freiheitsbestrebungen.
Die "scheinbar fortschrittliche" Teheraner Gesellschaft blättert sie hier ungezwungen und schillernd auf. Menschen, die nebeneinander gestellt ein komplexes Puzzle ergeben, dessen Teile kaum zueinander passen wollen: durchsetzungsfähige Mitstreiterinnen, die gegen fundamentalistische Tendenzen auf die Straße gehen; blondierte Frauen mit operierten Nasen, die viel Mühe darauf verwenden, ihre hoch aufgetürmte Frisur trotz des erzwungenen Kopftuchs zur Schau zu stellen; den Geschäftsmann, der im vollbesetzten Taxi ungerührt Akten ausbreitet; oder auch den jungen, aufgeschlossenen Provinzler, der frischverliebt in der Eroberungsphase durchaus Gleichberechtigung befürwortet. Kaum aber wird es dem Paar ernst, beharrt er doch darauf, seine Angebetete mit nichts und niemandem teilen zu wollen - vielleicht ohne selbst recht zu wissen, wie er an diesen Punkt gelangt ist. "Ein heftiger männlicher Wunsch nach Besitzergreifung, der plötzlich aus den Tiefen seiner traditionellen Erziehung an die Oberfläche dringt." Ein ganzes Kapitel widmet Parsua Bashi dem komplizierten Gebaren zwischen Mann und Frau, der oft konfliktreichen "Verunmöglichung der Liebe"; ein anderes gilt dem "verbotenen Rausch", der genussfreudige Teheraner zu durchaus abenteuerlichen, heimlichen Weinbrau-Aktionen in den eigenen vier Wänden treibt (beim Traubenkaufen plaudern Kunde wie Händler freilich nur über Essig, nicht über Wein); ein wichtiges Kapitel gilt der "Sehnsucht und Hoffnung" der Islamischen Republik, vor allem der "grünen Bewegung". Und so entsteht allmählich ein Bild von den Menschen, ihrem Mut und ihren raffinierten Arrangements.
Parsua Bashi, selbst 2009 nach sechs Jahren Europa in ihre Geburtsstadt zurückgekehrt, schreibt aus dem Wissen um die westliche wie die östliche Perspektive - wie schon in ihrem 2004 erschienenen Buch "Nylon Road. Eine Iranerin zwischen zwei Welten". Und so nähert sie sich behutsam, aber durchaus kritisch den Abgründen. Sittenpolizei, Hinrichtungen, Widersprüche in den Reden des regierenden Präsidenten Ahmadinedschad - die Texte schildern die Umstände von der Revolution 1979 bis zum massenhaft in Sekundenschnelle sich per Internet verbreitenden, erschütternden Video der sterbenden Iranerin Neda, die im Juni 2009 bei den Demonstrationen nach dem Wahldebakel zur Symbolfigur für den iranischen Widerstand wurde.
Doch wirklich erlebbar wird diese "flussähnliche" Stadt, gegen die nach Empfinden der Autorin die meisten europäischen Städte "stille Seen" sind, durch die vielen kleinen Geschichten, die Parsua Bashi im Magnetfeld von Terror, Protest und der üblichen Großstadthektik aufspürt. Ihre "Briefe aus Teheran" entstehen gleichsam auf den Umgehungsstraßen der Nachrichten, die hierzulande das Iran-Bild prägen. Auch die jüngere Generation kommt zu Wort, in einem langen Gespräch, das Parsua Bashi mit ihrer neunzehnjährigen Tochter führt. Aabi, ausgerüstet mit einem Diplom in Malerei, ärgert sich ein wenig über "dafs" - Frauen der oberen Schicht, reich, ohne besondere Aufgabe im Leben. Und sie mag nicht so gern Frauen, die wie eine "daf" sein wollen. Aabis Probleme und Vorlieben ähneln durchaus anderen aufgeweckten Großstadt-Gleichaltrigen: Sie zieht Fastfood dem iranischen Traditionsgericht Polou aus Reis, Kartoffeln und Tomaten vor; sie schätzt Geld, und lieber als ein guter, armer Mann ist ihr für Ehezwecke ein guter, reicher Mann. Und doch ist Aabis Lebensgefühl durch Erfahrungen der Exilierung geprägt, die sie von Sorgloseren ihres Alters im Westen scheidet. Europäer will sie dringend wissen lassen, dass Hidschab, Kopftuch und Mantel nicht ihre wichtigsten Probleme sind. Die Tiefenbohrungen Parsua Bashis, ihrer Mutter, erzählen zwar auch von Angst, bezeugen aber vor allem einen kraftvollen Willen zur Veränderung des Landes.
ANJA HIRSCH
Parsua Bashi: "Briefe aus Teheran".
Aus dem Persischen von Susanne Baghestani. Kein & Aber Verlag, Zürich 2010. 199 S., geb., 18,90 [Euro].
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