überraschte im Herbst 1994 mit gleich vierzehn Büchern für das Publikum von zwei Jahren an - ein furioses Debüt. Das Programm machte deutsche Bilderbuchliebhaber auf einen Schlag mit Künstlern wie Grégoire Solotareff, Olga Lecaye, Claude Boujon, Elzbieta und Yvan Pommaux bekannt, ohne die wir uns die Bilderbuchszene heute nicht mehr vorstellen mögen. Viele andere kamen im Lauf der Jahre dazu; das Spektrum reicht - um nur wenige zu nennen - von Kristien Aertssens phantastisch-verspielter "Schmusekönigin" über Georg Hallenslebens ausdrucksvolle Bilder eines magisch beleuchteten Alltags ("Nachts auf der Baustelle") bis zu Chen Jianghongs subtilen Botschaften aus der traditionellen chinesischen Kultur.
Vor zehn Jahren bereits war Nadjas "Blauer Hund" dabei - dies Bilderbuch rechne ich ohne Zögern zu den schönsten des 20. Jahrhunderts. Das Urteil der Erwachsenen stimmt in diesem Fall mit dem vieler Kinder überein, die leidenschaftlich und über Jahre an diesem expressiven Buch hängen. Mit der kleinen Charlotte teilen sie die Sehnsucht nach einem Tierfreund und Beschützer ebenso wie die Faszination durch dessen ungezähmten Eigensinn und die Wildheit, die sich bereits im Blau, der Farbe der Ferne, andeuten. Charlottes Geschichte hält wunderbar die Balance zwischen Alltag, innerer Wirklichkeit und Traum. Die Bildtafeln - mit unaufdringlichen Zitaten aus der Malerei der Moderne - leben von leuchtenden Farbkontrasten, wilden und sanften Klängen, vielfach nuancierter Beleuchtung und nicht zuletzt von dem ausdrucksvollen Gesicht des Kindes, in dem Zärtlichkeit, Enttäuschung, Verdrossenheit, Angst und Stolz wechseln. Selten gibt es im Bilderbuch so treffende, unverzerrte Menschendarstellungen wie die, die Charlotte in der Badewanne zeigt, ihre Mutter auf deren Rand sitzend und sich zum Kind beugend, um ihm den fremden Hundefreund auszureden.
Gegen die behütende Familienwelt setzt Nadja Charlottes nächtliches Abenteuer im Wald mit dem Dämon der Dunkelheit und seinem furchtlosen Bändiger, dem blauen Hund. Vor diesem blauen Hund verblassen psychologische Deutungen - er ist nichts als er selbst, ein geheimnisvolles, unentschlüsselbares Symbol der Dichtung und des Bildes.
GUNDEL MATTENKLOTT.
Nadja: "Blauer Hund". Aus dem Französischen übersetzt von Eva Ziebura. Neuausgabe. Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2004. 40 S., geb., 9,90 [Euro]. Ab 4 J.
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