amüsant parlierende Beschreibung noch gründliche Kulturgeschichte.
Es verfolgt nur eine Frage: Welcher Frauentyp versteckt oder offenbart unter welcher Haarfarbe und Frisur welche sexuelle Neigung? Der Leser erfährt, daß "Sexbombenblondheit eine unmißverständliche sexuelle Botschaft übermittelte", Brünette ihre "Sexualität sehr diskret rüberbringen", während rothaarige Frauen "außergewöhnliche Sinnenfreuden versprechen". Aber nicht nur die Farbe, auch die Frisur weiß der Kenner zu deuten: Etwa wenn in hochtoupierten Riesenfrisuren ein "Akt der Unterwerfung" gesehen wird, in dem sich Frauen radikal verwandeln, "um für Männer attraktiv zu werden (genau wie mit hochhackigen Schuhen oder Stütz-BHs)".
Weibliche Dessous und Haartracht scheinen überhaupt der Schlüssel zu den Geheimnissen der Frau zu sein: Farrah Fawcett nämlich "hatte eine neue Methode gefunden, Sex zugänglich, aber nicht bedrohlich wirken zu lassen. Klar, sie trug keinen BH." Was ist daran klar? Immerhin erkennt der Autor (in dem Kapitel, in dem er den Neologismus "Après-Sex-Haare" für üppiges, langes Haar prägt), daß die ihren Haarknoten auflösende schüchterne Büroangestellte, die sich mit wallendem Schopf zur Verführerin wandelt, ein Standardbild aus Hollywood ist.
Wer jedoch Margaret Thatchers "unnachgiebiges Haar" neben Ronald Reagans "üppigem Haarschopf" zum Symbol einer verschwenderischen Fülle, zum Abbild einer ganzen Nation deklariert, erhärtet endgültig den Verdacht, einen Tick am Pony zu haben. Den Grund für die Verirrungen des Autors mag man in einem haarologischen Trauma vermuten, das beiläufig in einer Darstellung Vidal Sassoons und seiner "revolutionären Sichtweise" von "Bob" und "V-Schnitt" Erwähnung findet: McCrackens Freundin hatte sich in den frühen sechziger Jahren den legendären "Five-Point-Cut" Sassoons zugelegt und mit dieser Frisur der Beziehung ein baldiges Ende bereitet: "Plötzlich hatte sich nämlich meine Freundin in eine weltgewandte, elegante Person verwandelt, und ich war genauso plötzlich ein linkischer Zwölfjähriger, der neben ihr herlatschte." Der Autor weiß nicht nur, was Frauen wünschen, sondern auch, was Männer fürchten.
Sonst kommen Männer aber nur am Rande vor, weil sie angeblich dem Autor keine Interviews geben wollten und zu eitel seien, die Geheimnisse ihrer Geheimratsecken preiszugeben. Statt dessen immer wieder nur das eine. Der laut "Forschungen" des Autors auf Marilyn Monroe zurückgehende "Mythos vom dummen Blondchen" findet binnen zwei Seiten die schlichte Erklärung, daß "was die Kritiker für Dummheit halten, sorgfältig kultivierte Zugänglichkeit" ist. So einfältig sind selbst Blondinenwitze nicht.
Am Ende entgleitet dem Autor vollständig der Maßstab, wenn er die angestammten Räume des Haar-Studios verläßt und den Bogen von der Verwandlung des Selbst durch Haar-Styling zu den "metamorphen Technologien" der Computermedien und Gentechnik spannt. Spätestens jetzt möchte man ihm zurufen: Das können Sie Ihrem Friseur erzählen. WERNER BARTENS
Grant McCracken: "Big Hair". Der Kult um die Frisur. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997. 256 S., br., 28,- DM.
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