Josefine Bartok heißt und seit fünfundzwanzig Jahren als Psychotherapeutin an einem Spital in Wien arbeitet.
Natürlich fühlt sich Josefine, Josi genannt, ungerecht behandelt. Sie taumelt. Nach den beiden Schicksalsschlägen, die sie einer kurz nach dem anderen ereilen, liegt sie auf dem Boden ihrer neuen Wohnung in der Piaristengasse im achten Wiener Bezirk und spricht mit den Wänden. Sie hat das Zutrauen zu sich selbst verloren und sucht nach einem neuen Ich. Bald trägt sie nur noch Herrenanzüge und lässt sich von ihren Kindern zu einer Gruppenreise nach Griechenland überreden, auf der ihr der Reiseleiter abends im Olivenhain die Sagen des klassischen Altertums vorliest. Immerhin, denn eine gewisse Aufrichtigkeit hat sie in ihrem Beruf gelernt, weiß sie um das sonderbare Bild, das sie abgibt. Sie weiß, dass sie eine Frau mittleren Alters ohne Brüste ist, die sich nichts mehr wünscht als guten Sex und einen Mann, den sie lieben kann. "Mir genügt es, wenn er mich mag. Ich lass' ihn in der Nacht auch wieder gehen, wenn er will. Männer in seinem Alter wollen allein schlafen." Und das ist nicht einmal gelogen.
Monika Helfer wendet sich in ihrem neuen Roman "Bevor ich schlafen kann" dem größten anzunehmenden Unglück zu. Die österreichische Autorin hat für ihre Heldin ein Szenario entworfen, das grausamer kaum sein könnte und das sich nicht korrigieren lässt. Josis Schicksal ist so böse, dass sie all ihr Wissen aufwenden muss, um nicht in Depressionen zu verfallen. Dabei kommt ihr allerdings auch entgegen, dass sie zu Ironie fähig ist, die zuweilen zwar in Sarkasmus und Rücksichtslosigkeit umschlagen kann. Sie hilft ihr aber dabei, sich in Griechenland mit einer Aura von Geheimnis und Unberechenbarkeit zu umgeben, die auf andere anziehend wirkt. Etwa auf Max, einen großen, kräftigen Apotheker mit grauen Haaren. Und auf Paula, ein zwölf Jahre altes Mädchen, das Josis neue Freundin wird. Beide, jeder auf seine Art, werden Josi helfen, sich in ihrem Schicksal zurechtzufinden.
Am Ende ist dann zwar nichts mehr, wie es einmal war. Aber die Erzählerin überlässt Josi keinesfalls ihrem Schicksal. Der Wille, der bekannten Redensart zu folgen, die in jedem Unglück eine Chance sieht, gehört zur DNA dieses Romans. Vor allem die Figur des Kindes ist in dieser Hinsicht bemerkenswert. Denn Paula, die den gleichen Namen trägt wie die Tochter, die Monika Helfer bei einem Unfall im Jahr 2003 verloren hat, ist mit einem Einfühlungsvermögen, einer Selbständigkeit und einer Klugheit ausgestattet, die keine Zwölfjährige glaubhaft vermitteln kann. Paula aber ist diejenige, die der gebeutelten Josi Versöhnung bringt, und zwar nicht nur, weil sie dafür sorgt, dass sich Max und Josi nach ihrer Rückkehr aus Griechenland in Wien wieder begegnen.
Nun ist zwar nichts dagegen einzuwenden, in einen Roman mit einem solch ernsten Thema märchenhafte Elemente aufzunehmen. Bei Monika Helfer aber wird man den Eindruck nicht los, ihr deus ex machina ist dem verzweifelten Versuch geschuldet, das Gute siegen zu lassen. So verspielt sie Glaubwürdigkeit. Denn natürlich gönnen wir der armen Josi ihren Frieden. Aber wir hätten auch verstanden, wenn so viel Schicksal am Ende einfach das geblieben wäre, was es wahrscheinlich ist: etwas, das nie vollständig bewältigt werden kann.
LENA BOPP
Monika Helfer: "Bevor ich schlafen kann". Roman. Deuticke Verlag, Wien 2010. 224 S., geb. 17,90 [Euro].
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