schlicht nicht festgestellte Lebewesen. Das ist nur ein knapper Auszug aus einer langen Liste, die der vor zehn Jahren verstorbene Philosoph Hans Blumenberg zusammenstellte, um die Verlegenheit vor Augen zu führen, mit der solche Definitionsversuche zu tun haben: den formalen Anspruch auf Allgemeinheit mit der Bescheidung auf einen partiellen Aspekt zu kombinieren. Ganz ernst möchte man dieses Genre nicht unbedingt nehmen, und vermutlich war bereits Platos "ungefiedertes zweibeiniges Lebewesen" eine Ironisierung des Definitionsanspruchs selbst. Aber andererseits wird doch in ihm die Grundfrage verhandelt, deren berühmt knappe Formulierung bei Kant lautet: "Was ist der Mensch?"
Hans Blumenberg war kein Philosoph, der sich angesichts von emphatisch gestellten Fragen zur Vorstellung hinreißen ließ, man hätte diese nun auch zu beantworten. Weit eher ging es ihm um die Behandlung von Fragen, die sich an diese Fragen heften: Was erwarteten wir eigentlich von einer Antwort, als wir diese Fragen stellten? In der Anwendung auf die Frage nach dem Wesen des Menschen kann sie nur lauten: "Was war es, was wir da über uns selbst wissen wollten? Und was kann es sein, was wir auf diese Weise über uns erfahren könnten?" Es überrascht nicht, daß der nun aus Blumenbergs Nachlaß edierte Band, der sich mit philosophischer Anthropologie auseinandersetzt, einschlägige Versuche mit skeptischem Interesse behandelt. Nicht um deren Berichtigung oder gar Überbietung geht es, sondern primär um die Einsicht in die mit ihnen angemeldeten Erkenntnis- und Orientierungsansprüche.
Es handelt sich um die erste Nachlaßveröffentlichung, die nicht auf einen noch von Blumenberg selbst entworfenen Editionsplan zurückgeht. Obwohl er immerhin erwog, die zumindest bis auf die Mitte der siebziger Jahre zurückgehenden Texte, die als Grundlage für Vorlesungen verwendet wurden und in der für ihn charakteristischen Weise durchformuliert sind, zu einem Buch zusammenzufügen. "Phänomenologische Anthropologie" lautete vorerst der dafür ins Auge gefaßte Titel, der später durch "Beschreibung des Menschen" ersetzt wurde. Tatsächlich war der zuerst erwogene Titel etwas mißverständlich, denn Blumenberg hatte die Ausarbeitung einer Anthropologie kaum im Sinn. Im ersten Teil des Buchs widmet er sich vielmehr dem tiefliegenden Gegensatz zwischen phänomenologischer Ausrichtung aufs Subjekt überhaupt und jeder halbwegs triftigen anthropologischen Aussage.
Die zentrale Stellung Husserls für die eigene Positionsbestimmung machten bereits zu Lebzeiten veröffentlichte Bücher Blumenbergs deutlich. Husserls Phänomenologie, das ist für Blumenberg der beeindruckende Versuch, gegen die mit dem neunzehnten Jahrhundert heraufziehenden durchgreifenden Naturalisierungen des Menschen ein philosophisches Projekt der absoluten Vergewisserung des Subjekts und seiner Erkenntnisansprüche zu behaupten. Aber dieses Subjekt, um dessen Etablierung gegen die "Darwin-Welt" es geht, ist gerade mit jenen Kontingenzen und Limitierungen menschlicher Lebensverhältnisse nicht verknüpft, für die Anthropologie sich interessieren muß: Je sicherer das Erkenntnissubjekt im Zentrum seiner mit anderen Erkenntnissubjekten geteilten Welt verankert wird, umso weltloser nimmt es sich aus Sicht anthropologischer Konkretionsbedürfnisse aus.
Blumenberg will Husserl dieses Anthropologieverbot nicht ankreiden, sondern die Schwierigkeiten aufzeigen, in die es Husserl angesichts eines auch nach dessen eigenen Maßstäben unabweisbaren Anthropologiebedarfs bringt. Dieser tritt spätestens dann auf, wenn begreifbar zu machen ist, wie das reine, im intentionalen Vollzug auf seine Gegenstände aufgehende Bewußtsein die reflexive Wendung auf seine eigenen Vollzüge zustande bringt, aus der allein auch die Theoriegestalt der Phänomenologie selbst hervorgehen kann.
Zu Beginn räumt Blumenberg ein Entwicklungsmodell beiseite, nach dem Vernunft eine natürliche letzte Stufe der organischen Entwicklung sei. Man müsse sie vielmehr als letzten Ausweg aus der natürlichen Evolution betrachten dürfen, als "verzweifelten Kunstgriff eines organischen Systems, um mit den Widrigkeiten einer ihm entstandenen lebensbedrohlichen Sackgasse seiner Daseinsbedingungen fertig zu werden". Worauf es Blumenberg ankommt und woran Evolutionstheoretiker auch keinen Anstoß nehmen, ist der Umstand, daß der Mensch sich aus dem Bereich der genetisch basierten Evolution herauskatapultiert und seine Karriere im Medium kultureller Weitergabe seiner errungenen Fähigkeiten absolviert hat. Wir sind, so könnte man es formulieren, dekadente Sprößlinge der Natur.
Das heißt aber auch, daß der Mensch ein phylo- wie ontogenetisch riskantes Lebewesen ist: "Er ist das Tier, das trotzdem lebt." Vor diesem Hintergrund bestimmt Blumenberg die Aufgabe einer philosophischen Anthropologie. Sie hat den "Sachverhalt begreiflich zu machen, daß der Mensch am Ertrag der Evolution als einer Optimierung der Anpassung und Reduzierung des physischen Existenzrisikos nicht mehr teilnimmt". Einsehbar soll also werden, wie der Mensch inmitten der "Darwin-Welt" sein kulturelles Gehäuse einrichtet und sich in ihm die natürlichen Selektionskräfte vom Leibe hält.
Blumenbergs Modell für diesen alles entscheidenden heiklen Übergang der Anthropogenese, der ja auch Evolutionspsychologen, Entwicklungspsychologen und evolutionäre Anthropologen beschäftigt, läßt sich grob so umreißen: Am Anfang steht die reflexhafte Passung von Reiz und unmittelbarer Reaktion. Mit dem Wechsel vom Urwald zur offenen Steppe und zum aufrechten Gang werden die auslösenden Reize jedoch unspezifisch, und nun regiert nicht mehr der Reflex, sondern die komplexe, zeitverzögerte Verarbeitung einer Mannigfaltigkeit von Reizen, mit anderen Worten: es entsteht Wahrnehmung. Möglich wird damit ein Abwägen und verzögertes Reagieren, denn mit der offenen Steppe entsteht die Orientierung an einem Sichtbarkeitshorizont, der die Gefahr auf Distanz zum eigenen Körper bringt. So kommen Intentionalität und Rationalität ins Spiel; letztere verstanden als Instanz der Prävention gegenüber bekannten und unbekannten Gefahren, die den Horizont in jedem Moment überschreiten können. Angebahnt ist damit auch die Möglichkeit der Negation, die intentionale Ausrichtung auf Abwesendes, ohne die Begriffsbildung nicht funktioniert. Negation - die Fähigkeit, Anwesendes als abwesend zu denken - ist auch Bedingung von Selbstbewußtsein, eine Form der Distanz des Bewußtseins zu sich selbst, die auf die Einsicht in die eigene Endlichkeit hinausläuft.
Die Gewinnung eines Horizonts bedeutet eine entscheidende sensorische Erweiterung, die der erfolgreichen Distanznahme zur zunehmend symbolisch verarbeiteten Realität entspricht. Sehenkönnen ist aber durch ein exponiertes Gesehenwerdenkönnen erkauft, und dies bedeutet, daß der Mensch "vom Sehenkönnen der anderen ständig durchdrungen und bestimmt ist, sie als Sehende im Dauerkalkül seiner Lebensformen und Lebensverrichtungen hat". Die Genese des Selbstbewußtseins ist keine einsame Angelegenheit, die auf Distanz gebrachte Welt immer auch schon eine der anderen.
Muß es nun so gewesen sein? Eine solche Frage verkennte, daß es in Blumenbergs Variationen um die Herstellung von Plausibilität geht, die die Maßstäbe offenlegt, an denen sie zu messen ist. Vergleicht man sie mit den Geschichten, wie sie etwa Evolutionspsychologen entwerfen, wird man Blumenbergs Szenarien sogar als die strengeren Anforderungen unterworfenen Übungen der Rekonstruktion ansehen dürfen. Von Details des anthropologischen und paläoanthropologischen Forschungsstands, an dem Blumenberg sich orientierte, hängen sie kaum ab. Das muß man nicht unbedingt nur als Vorteil sehen. Von Bedeutung ist aber der interpretative Mehrwert, den Blumenberg aus seinen unorthodoxen phänomenologischen Variationen gewinnt.
Denn von den grundsätzlichen Überlegungen zur Anthropogenese führen viele und manchmal überraschende Übergänge zu Beschreibungen unserer Welt- und Lebensbewältigung. Vom Prinzip der gelingenden Realitätsvermeidung durch Distanzsetzung ist es zum Beispiel nur ein Schritt zu nüchternen Anmerkungen zur Mediengesellschaft. Der Horizont, an dem die Prävention ansetzt, führt auf Beschreibungen der Phänomene Angst und Langeweile. Die Fähigkeit zur Negation bringt das Geld ins Spiel als Reindarstellung der symbolischen Präsenz von reell Abwesendem, aber auch den Geiz, das Glück, den Tod und den Schlaf. "Durch den Begriff des Endes wird jeder Zeitgewinn von absoluter Kostbarkeit und Unersetzlichkeit. (. . .) Zukunft, sofern sie die immer erst zu gewinnende Gnadenfrist des endlichen Wesens ist, dürfte nicht auch noch unterbrechbar sein durch Schlaf." Das klingt wie ein Seufzer des Autors, der nachts über seinen Texten saß - und dabei etwa darüber nachsann, wie sich mit der Paradieserzählung vom Sündenfall und den Debatten um Inkarnation und Jüngstes Gericht der Stellenwert unserer verleiblichten Existenz erhellen läßt.
Blumenberg hält Fragen offen, die in den institutionalisierten Wissenschaften aus guten Gründen nicht gestellt werden. Schließlich will man dort nicht die Enttäuschung erleben, die darin besteht, daß wir doch eigentlich anderes zu wissen erhofft hatten.
Hans Blumenberg: "Beschreibung des Menschen". Aus dem Nachlaß. Herausgegeben von Manfred Sommer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 656 S., geb., 48,- [Euro].
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