der Lage, seine rhetorische Ausbildung zu finanzieren, zunächst in seiner Heimatstadt und dem nahen Madauros, dann in Karthago, einem intellektuellen Zentrum der lateinischen Welt.
Bald lehrte er selbst in der Heimat, schaffte es aber, stets gut vernetzt, wieder nach Karthago zu kommen, sogar bis Rom. Symmachus, ein führender Vertreter der traditionellen römischen Kultpraxis, empfahl ihn nach Mailand, der kaiserlichen Residenz, wo er mit eben dreißig Jahren zum offiziellen Rhetoriklehrer und Festredner der Stadt wurde. Seine Hauptaufgabe bestand darin, auf den jungen Kaiser Valentinian II. Reden zu halten. Alles sah nach einer großen Zukunft aus: Augustinus war mit höchsten Kreisen bekannt und hatte Aussicht auf eine Ehe mit einer Frau aus guter Familie; so schickte er seine Geliebte, die ihn über Jahre begleitet hatte, weg und behielt den Sohn. Eingehend schreibt Augustinus über seine Trauer, aber kein Wort über das Leid der Frau, die alles verlor. Er selbst nahm sich einstweilen eine andere Konkubine.
Doch die Umstände änderten sich: Nur mit Mühe bewahrte Valentinian II. seine Stellung. Der machtbewusste Bischof Ambrosius attackierte ihn als Häretiker; Maximus, den britannische Truppen zum Kaiser ausgerufen hatten, dehnte seine Herrschaft im Westen des Reiches aus. Die Unterstützung des Mailänders durch den Kaiser im Osten, Theodosius den Großen, blieb lau. Im Jahr 386 wurde Valentinians Schwäche offenkundig, viele wandten sich von ihm ab, so auch der Rhetorikprofessor, der gesundheitliche Gründe angab und sich mit Freunden auf ein Landgut im nahe gelegenen Cassiciacum zurückzog, dort philosophierte, die Bibel las und Psalmen sang, sich schließlich definitiv Ambrosius anschloss, indem er von ihm die Taufe nahm. Die zweite Geliebte verschwand ebenfalls, denn Augustinus sagte dem Geschlechtsverkehr ab. Bald machte er als Priester und Bischof Karriere.
So kann man die Geschichte Augustins erzählen als die eines egozentrischen Ehrgeizlings, der noch rechtzeitig auf das richtige Pferd setzte, die Kirche. Das geben seine Bekenntnisse, die "Confessiones", durchaus her, die gerne, halb richtig und halb falsch, als erste Autobiographie beschrieben werden. Man würde dann jedoch ein zentrales Element ignorieren. Denn Augustinus beschreibt seinen Karriereweg als den eines Suchenden und zugleich Getriebenen voller Zweifel, eines Mannes, der sich auf verschiedene Glaubenssysteme einließ, der sich aus Überdruss von der weltlichen Karriere abkehrte, den aber eigentlich stets Gott auf seinem Weg zum Christentum leitete. Dem hing schon seine Mutter an, die ihren Sohn immer wieder mit Ratschlägen traktierte.
Lebhaft berichtet Augustinus von seinen Sünden: Diese begannen schon bei der Gier des Säuglings nach den mütterlichen Brüsten und entwickelten sich über Ausschweifungen in Karthago bis hin zum Karrierismus in Rom und Mailand. Die Predigten des Ambrosius dort zeigten Augustinus, welches intellektuelle Niveau Christen erreichen. Doch bedurfte es einer wunderbaren Erscheinung, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Unversehens hörte er eine Kinderstimme, die ihm zurief: "Nimm und lies!" Er griff zum Text des Römerbriefs, zufällig zur Hand, las eine Passage, die zur Umkehr aufrief, und wandte sich von seinem bisherigen Leben ab.
Das alles berichtet Augustinus stilistisch eindringlich in den "Confessiones", ihrer Form nach ein langes Gebet. Dieses Werk bildet die Grundlage für Robin Lane Fox' Buch über Augustinus, das keine vollständige Biographie bietet, sondern sein Leben bis zur Abfassung der Bekenntnisse beschreibt, also bis 397 - im Unterschied zu vielen anderen geht Lane Fox davon aus, dass die "Confessiones" in einem Zug geschrieben wurden.
Lane Fox, der lange in Oxford Alte Geschichte lehrte, erweist sich wie schon in seinem Buch über Alexander den Großen als glanzvoller Erzähler. Er begleitet den jungen Augustinus auf seinen Umwegen mit dem Wohlwollen eines erfahrenen akademischen Lehrers, der die Fähigkeiten des jungen Mannes erkannt hat, den manches befremdet, der sich aber daran freut, wie sich das Potential entfaltet, der den Zahn-, Gesäß- und Weltschmerz, die Augustinus peinigen, mitempfindet, aber auch die Neugier auf den Manichäismus und die neuplatonische Philosophie teilt.
Der Autor gibt sich nicht zufrieden mit einfachen Urteilen über Ehrgeiz und Egozentrik; er vermeidet übereiltes Psychologisieren, sondern nimmt den Hochbegabten in seiner Widersprüchlichkeit ernst. Eingeflochten sind Vergleiche mit den Karrierewegen von Zeitgenossen, namentlich des Libanios und des Synesios. So erkennt der Leser die Eigenheiten Augustins und bekommt ein breiteres Bild vom Römischen Reich.
Methodisch ist Lane Fox' Lektüre der "Confessiones" angreifbar: Wir wissen viel über die Selbsterfindung von Menschen in autobiographischen Zeugnissen, auch über die Literarizität der "Confessiones", über die Stilisierung dieses Lebens im Gestus der Ehrlichkeit, während er Augustinus im Zweifelsfalle beim Wort nimmt. Überhaupt könnte man in der Zunft die Stirn runzeln: Das Buch entbehrt jeder Innovationsrhetorik, trägt keine revisionistischen Ansätze zu Markte, bietet kein neues theoretisches Modell feil, schmückt sich nicht mit einer aparten Begrifflichkeit; mit Gusto lässt Lane Fox sich zu Spekulationen hinreißen.
Doch kann man Lane Fox nicht vorwerfen, ein Alterswerk ohne Anbindung an die jüngere Forschung geschrieben zu haben. Er kennt sie gut, erfreulicherweise auch die deutsch- und französischsprachige, und bezieht auch Position, wenn er etwa die Bedeutung des Manichäismus für Augustinus betont. Vor allem aber hat er ein Werk der Bildung im besten Sinne des Wortes verfasst, reich an literarischen Anspielungen, und weitet dadurch den Horizont, für Menschen im Elfenbeinturm und außerhalb. Das ist nicht das Geringste, was eine historische Darstellung leisten kann.
Von dem späteren Leben Augustins als pflichtbewusster Bischof, der sich im theologischen Streit und in Alltagskonflikten aufrieb, braucht Lane Fox nicht mehr zu erzählen. Als der Mann aus Thagaste 430 im Sterben lag, bestürmten vandalische Horden seinen Bischofssitz Hippo Regius an der algerischen Küste. So vieles hatte sich verändert gegenüber seiner Jugendzeit in einer scheinbar unerschütterlichen Welt.
Der Frieden war dahin; seit Jahren lag Italien verwüstet, das Mittelmeer war nicht mehr pazifiziert. Keiner der jungen Männer seiner Gemeinde konnte mehr auf einen so ruhigen Bildungsweg hoffen, wie er ihn, nach außen hin, gegangen war. Trotz der Verwüstungen blieben seine Schriften bewahrt. Die "Bekenntnisse" sind neben der "Vom Gottesstaat" die wirkungsmächtigsten, ein eindringliches Zeugnis frommer Selbstreflexion, das Lane Fox, ein bekennender Atheist, einsichtsvoll in Erinnerung ruft.
HARTMUT LEPPIN
Robin Lane Fox: "Augustinus". Bekenntnisse und Bekehrungen im Leben eines antiken Menschen.
Aus dem Englischen von K. Schuler und H. Schlatterer. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2017. 746 S., geb., 38,- [Euro].
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