herausgelaufen sind. Nur einer, ein Mann mit langem Rock, stand lange genug still. Er ließ sich, so wird heute vermutet, am Straßeneck die Schuhe putzen. So wurde die frühe Stadtansicht am Ende sogar zu einem kleinen Stück Reportage.
Auch Atta Kim richtet seine Kamera auf Straßen. Und er belichtet sogar noch länger als Daguerre, acht Stunden für jedes Bild. Doch ist dies bei ihm nicht technische Notwendigkeit, es ist künstlerische Absicht. Denn auch wenn seine Paris-Ansicht der von Daguerre auf unheimliche Weise gleicht, will Atta Kim gerade nicht das Leben zeigen. Er will, dass es verschwindet.
Die Städte zeigt er wie Architekturfelder: Ansammlungen von Gebäuden, unbewohnt; kilometerlange Straßen, unbefahren. Es ist eine Welt wie aus einem Albtraum, als tappe man unsicher durch Prag oder Berlin, durch Schanghai, Paris oder New York und käme mit jedem Schritt der Erkenntnis ein wenig näher, dass man der letzte Mensch auf Erden sei.
Natürlich müssen es Großstädte sein, vertraute Orte und Plätze, die Atta Kim fotografiert - an erster Stelle der Times Square. Nur dann entfaltet der Schock seine Wirkung. Und doch liegt ein Moment von Zurückhaltung, auch Friede über den Bildern, von denen Atta Kim behauptet, dass sie nur vorwegnehmen, was unausweichlich ist. "Alles wird irgendwann verschwinden", steht gleichsam als Programm über einem gesamten Werk, "zum Schluss sogar die Städte." Zugleich beruhigt er entsetzte Betrachter mit dem Hinweis, dass seine Aufnahmen gerade keine Leere zeigten - sondern: alles.
Natürlich liegt es nah, hinter derlei Gedankenspielen asiatische Lehren lesen zu wollen. Doch Atta Kim weist gern stets darauf hin, dass er weder Buddhist sei noch sonst einer Religion folge. Und warum sollte man hinter einem solchen Werk nicht ebenso gut Spuren des Existentialismus erkennen können?
Gleich zwei gewaltige Bildbände hat nun der Hatje Cantz Verlag dem zweiundfünfzig Jahre alten Künstler gewidmet, der dieser Tage nicht zuletzt durch seine Teilnahme an der Biennale in Venedig geadelt wird. "On Air: Eight Hours" konzentriert sich auf die Stadtporträts und wird zur vielleicht gespenstischsten Weltreise, von der je ein Buch erzählt hat. "Water Does Not Soak in Rain" hingegen blättert das Gesamtwerk Atta Kims auf: von den Porträts asiatischer Mönche über die Nirvana-Bilder und seine mehrfach belichteten Akte bis zu dem jüngsten Projekt, der Indalah-Serie.
Darin zeigt Atta Kim in bestechendster Konsequenz, was es bedeutet, wenn sich die Welt zur Leere addiert. Sie ist wiederum den großen Städten gewidmet, doch hat er dafür jeweils zehntausend verschiedene Motive aufgenommen - und diese am Computer auf jeweils ein einziges Bild gerechnet. Mehr als eine monochrome Fläche bleibt deshalb nicht übrig von den Eindrücken unterwegs. Delhi ist grau. Rom ist grau. New York ist grau, und nicht anders ergeht es Tokio und Moskau, Prag und Paris. Doch abgezogen im riesigen Format, staunen wir nicht weniger angesichts dieser Bilder als die Menschen, die sich vor hundertsiebzig Jahren mit einer Lupe in der Hand über die kleinen Silberplatten von Daguerre beugten.
"On-Air: Eighthours" von Atta Kim. Mit einem Text von Lesley Martin. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009. 168 Seiten, 99 Abbildungen. Gebunden, 68 Euro.
"Water Does Not Soak in Rain" von Atta Kim. Mit Texten von Atta Kim, Jonathan Mills, Richard Vine sowie einem Interview mit dem Künstler von Iris Inhee Moon. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009. 412 Seiten, 259 Abbildungen. Gebunden, 58 Euro.
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