angekündigt, Hauptwerke wie "Pippi Langstrumpf", "Mio mein Mio" und "Ronja Räubertochter" berücksichtigt zu haben, wobei im letzten Fall die Geschichte "so dicht komponiert" sei, daß man das Buch ungekürzt wiedergebe.
Natürlich handelt es sich bei "Ronja Räubertochter" tatsächlich um den späten Höhepunkt im Schaffen der Autorin. Man findet dort die in den Psychodramen "Mio mein Mio" und den "Brüdern Löwenherz" benutzten märchenhaften Strukturen in einmaliger Form auf mehreren Ebenen zusammengewoben. Trotzdem kann es kaum Sinn und Zweck eines Werk-Portraits sein, den gesamten Roman nochmal abzudrucken, zumal auf der anderen Seite zwar nicht ganz so kunstvolle, doch ebenfalls bedeutende Bücher und Figuren wie Kalle Blomquist oder Madita völlig ausgeklammert werden. Genauso unbefriedigend ist es an anderer Stelle für den Leser, daß sich gerade bei den weniger bekannten, kurzen Märchen "Sonnenau" und "Klingt meine Linde", mit denen Astrid Lindgren Ende der fünfziger Jahre erstmals zu den tieferen Erzählschichten vordrang, so wenig Material findet. Denn diese Märchen werden von den Herausgebern zwar als zu Unrecht vergessen bezeichnet - was man sicherlich auch anders beurteilen kann -, im Nachwort von Astrid Surmatz dann aber auch bloß als Entwicklungsstufen der Märchenromane beschrieben, in deren Gegensatz von Idylle und Gewaltherrschaft eine Struktur weiter ausgebaut werde, die Lindgren in manchen Märchen der Sammlung "Klingt meine Linde" bereits verwendet habe.
Aufschlußreich stehen Primär- und Sekundärliteratur bei "Pippi Langstrumpf" nebeneinander. Das Buch wird, auch im Vergleich mit der frecheren, verspielteren Ur-Pippi, gründlich diskutiert. Genauso sorgfältig ist das Material um die Leseproben aus den "Brüdern Löwenherz" angeordnet: Es findet sich die durch dieses Buch angestoßene Debatte um das Thema Tod in der Kinderliteratur in Auszügen wiedergegeben. Was die düsteren Phantasien im Lindgrenschen Werk betrifft, empfiehlt sich auch die Lektüre des Beitrags von Per Olof Enquist. Der Schriftsteller leitet die "dunkle und eigentümliche Tiefenströmung", die ihn am Werk der Lindgren so beeindruckt, aus der privaten Katastrophe Astrid Lindgrens her, die jäh aus ihrer heimatlichen Idylle gerissen wurde, als sie mit achtzehn Jahren unverheiratet schwanger wurde, ihr ganz und gar nicht tolerantes Heimatstädtchen Vimmerby verlassen und das Kind weggeben mußte. Enquist kategorisiert zwei Familienwelten der Lindgren: die glückliche Zeit vor der Katastrophe, wie sie etwa in Bullerbü oder Lönneberga gezeigt wird, und die andere, mit der elternlosen Pippi oder den Brüdern Löwenherz, die sich allein durchschlagen müssen. Es ist plausibel, daß Enquist, dem Erfinder der unheilvollen Kindheitswelten in "Käptn Nemos Bibliothek", ausgerechnet dieser essentielle Aspekt der Lindgrenschen Erzählwelt diskussionswürdig erscheint.
Doch immer wieder gibt es einigermaßen große Einbrüche im Lesevergnügen. Einige Stellungnahmen mehr oder weniger prominenter Lindgren-Leser sind alles andere als gewinnbringend. So teilt Jasmin Wagner, bekannt als Popsängerin "Blümchen", mit, es sei schade, "daß Kindern durch Erziehung ihre Wildheit und Unverstelltheit genommen wird. Dabei ist gerade die Unbändigkeit der Kinder so herrlich!" Auf gehaltvollere Prosa stößt man immer wieder, wenn Astrid Lindgren selbst zu Wort kommt, um sich über ihre Arbeit und ihr Selbstverständnis zu äußern. Die in Hunderten von Interviews geprüfte Schriftstellerin teilt im typischen Lindgren-Sound mit, was sie von Fragen des Tierschutzes hält ("Meine Kuh will auch Spaß haben"), beschreibt in Märchenform das in ihrem Land so besonders brisante Thema der hohen Steuern ("Pomperipossa in Monismanien"), und natürlich fehlt auch nicht die bekannte Antwort auf die bekannte Frage, für wen sie eigentlich ihre Bücher schreibe: "Ich schreibe immer für das Kind in mir."
SILKE SCHEUERMANN
Astrid Lindgren: "Zum Donnerdrummel!" Ein Werk-Portrait. Herausgegeben von Paul Berf und Astrid Surmatz. Verlag Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2001. 908 S., geb., 48 DM.
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